Korruptes Tschechien: Jeder fünfte gibt Bestechung zu
Was auch immer die Länder Albanien, Bolivien, Ghana, die Philippinen, Russland und die Tschechische Republik unterscheidet, eines haben sie gemeinsam, nämlich die Korruption. Jeder fünfte Bewohner dieser Länder gibt zu, im letzten Jahr persönliche Erfahrungen mit Bestechung gemacht zu haben. Zu diesem Ergebnis kommt Transparency International in einer weltweit durchgeführten Studie. Wenn Tschechien damit auch insgesamt weit über dem EU-Schnitt liegt, gibt es bei genauerer Betrachtung der Statistiken in manchen Punkten doch Parallelen zu beispielsweise Österreich oder Deutschland. Sandra Dudek hat sich informiert:
Die Polizei muss davon überzeugt werden, dass bei der firmeninternen Weihnachtsfeier doch kein Gläschen zuviel getrunken worden ist? Die Operation sollte noch in diesem Jahr stattfinden? Der Eintrag ins Grundbuch darf nicht noch weitere vier Monate dauern? Die Lösung dieser Probleme liegt oft im diskret überreichten Kuvert. In Tschechien doppelt so oft wie im weltweiten Schnitt: Nach eigenen Aussagen hat jeder fünfte Tscheche persönliche Erfahrungen mit Bestechung. Weltweit bekennt sich jeder zehnte Mensch dazu. Dies hat eine von der Non-Profit-Organisation "Transparency International" in 64 Ländern durchgeführte Studie ergeben, die am 9. Dezember, anlässlich des Internationalen Tages des Kampfes gegen die Korruption, veröffentlicht worden ist. Der Kampf gegen die Korruption sei aber in den einzelnen Ländern verschieden, genau so wie die Art der Korruption selbst, meint Adriana Krnácová, Direktorin von Transparency International Tschechien. Eine Verallgemeinerung sei nicht möglich. Was aber nun unter Korruption zu verstehen ist, fasst Krnácová zusammen wie folgt:
"Korruption per definitionem bedeutet den Missbrauch der übertragenen Machtbefugnis zum eigenen Zweck, welche Machtbefugnis auch immer darunter verstanden wird."Eine konkretere Beschreibung des Wortes mit Bezug zur Tschechischen Republik formuliert Radka Kovárová, Pressesprecherin des tschechischen Innenministeriums:
"Definitionen vom Begriff Korruption gibt es eine ganze Reihe und die allgemeinste von ihnen meint, dass es sich um ein Verhalten handelt, dass man aus finanziellen oder anderen Vorteilen von formalen Verpflichtungen abweicht oder dass man zum Zweck der Erhöhung des privaten Einflusses Regeln bricht. In den Strafrechtsnormen der Tschechischen Republik ist der Ausdruck Korruption nicht ausdrücklich als eigenständige Straftat definiert, natürlich aber haben wir Straftaten mit Korruptionscharakter, zum Beispiel das Annehmen von Bestechungsgeldern und Bestechungen anderer Art, wie beispielsweise indirekte Bestechungen."
Wo jedoch nun Bestechung - und damit Korruption - genau beginnt, ist schwer zu beantworten, denn das Gesetz legt zum Beispiel keine Grenze fest, ab welchem Betrag es sich um eine Bestechung und damit um eine Straftat handelt. Eine Bonbonniere oder eine Flasche Wein würden in der Tschechischen Republik nicht unter Bestechung fallen, allerdings habe sich aber insgesamt das Verständnis von Korruption bei den Tschechen deutlich geändert, so Radka Kovárová vom Innenministerium:
"Die Menschen aus dem vorigen Regime waren an den Mangel an Waren gewöhnt und damit sie die Waren bekommen haben, haben sie in irgendeiner Form Bestechung geleistet. Dies gibt es heute nicht mehr, aber in anderen Bereichen existiert das weiterhin. Das bedeutet also, dass das, was früher nicht unter Korruption gefallen ist, weil sich alle daran beteiligt haben, mittlerweile als Korruption angesehen und verurteilt wird."
Am verbreitesten ist die Korruption in der Tschechischen Republik bei den politischen Parteien, gefolgt von der Polizei, dem Parlament und den Gerichten. Wie jedoch aus der Studie von Transparency International hervorgeht, werden die politischen Parteien sowohl in Österreich als auch in Deutschland in etwa gleich korrupt bewertet wie jene in Tschechien. Lediglich in den Bereichen Polizei und Gericht sind die Werte niedriger. Und dies nicht unbedingt signifikant. Trotzdem wird in der tschechischen Bevölkerung eine Zunahme an Korruption vor allem bei der Polizei wahrgenommen. Dies aber, so Radka Kovárová, unterscheide sich deutlich von der Realität:
"Wir sind Zeugen einer Erscheinung, die wir "korruptes Paradox" nennen, weil je gründlicher und effektiver unsere Untersuchungen sind, umso mehr korrupte Polizisten werden überführt, umso mehr kann es der Öffentlichkeit vorkommen, dass der Anteil der Korruption in der Polizei steigt, aber das ist natürlich nicht wahr, denn es steigt eher der Anteil der aufgedeckten Korruptionsfälle."
Dass die Aufmerksamkeit in Tschechien generell höher sei, bestätigt Adriana Krnácová von Transparency International Tschechien. Das größte Problem sieht sie in der Gesetzgebung, die nur unzureichend vorhanden sei, um Korruption zu verhindern:
"In der Tschechischen Republik kann man viel machen, denn bisher ist noch nicht viel geschehen. Man muss ganz am Anfang beginnen, im Bereich der Legislative, die Systemveränderungen verhindert oder auch verursacht. Zum Beispiel die Insolvenz: Es würde ein Gesetz reichen, das die Vermögenserklärung reguliert, ein weiteres Problem sind die öffentlichen Aufträge. Und dann der Bereich des so genannten "soft law": Das sind interne Vorschriften für Beamte sowie Firmen, aber auch für gewöhnliche Leute, die mit Beamten in Berührung kommen und die Bewilligungen herausgeben, das alles sollte reguliert werden."
Für die Korruption in Tschechien gibt es also nicht nur genügend Gelegenheiten, es fehlt auch nach wie vor an effektiven Gegenmaßnahmen, um sie zu verhindern. Dabei wurde bereits vor fünf Jahren vom Innenministerium in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts ein Regierungsprogramm gegen die Korruption ausgearbeitet. Und seit 2001 wird die Regierung jährlich in einem Bericht über die Korruption informiert. Ausserdem ist Tschechien seit Anfang 2002 Mitglied der Staatengruppe GRECO, die gegenseitig die Einhaltung der laufenden Antikorruptionsverordnungen des Europarats überwacht. Doch genau diese Überwachung ist vor allem im politischen Bereich schwierig. Die ehemals skrupellose Korruption in großem Stil wurde nur durch undurchsichtige Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft ersetzt. Die Tschechen nennen das "Klientelismus". Dazu gehört beispielsweise, wenn private Waldgesellschaften einflussreiche Abgeordnete zu Jagdausflügen einladen. Freilich, um ebendort die Verabschiedung des neuen Naturschutzgesetzes hinauszuzögern oder zu verhindern. Lobbying ist das Schlagwort für die Durchsetzung von Interessen in der Politik. Allerdings gibt es dafür, im Gegensatz zu den USA oder vielen europäischen Staaten, keinerlei Regeln.
Knapp 80 Prozent der Tschechen sind mit der Korruption im Lande unzufrieden. Das ist, knapp nach der Arbeitslosigkeit, der höchste Unzufriedenheitsfaktor in der tschechischen Bevölkerung. Dies ergab eine vom Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung im Oktober durchgeführte Umfrage. Die höchste Zufriedenheit besteht im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt. Von diesem erwartet sich die Bevölkerung auch nicht nur eine verstärkte, sondern vor allem effizientere Bekämpfung der Korruption. Dazu kann sie auch selbst einen Beitrag leisten, wie Radka Kovárová vom tschechischen Innenministerium ausführt:
"Für die Bevölkerung gibt es verschiedene Antikorruptions-Hotlines, an die sie sich anonym mit ihren Anliegen wenden kann und diese Fälle werden dann veröffentlicht. In nächster zeit wird die Webseite www.korupce.org eingerichtet, wo der Bürger auf einen Blick Informationen findet und auch Hinweise darüber, wie er sich verhalten soll, falls er in so eine Situation kommt oder falls er ein Problem hat oder einen Verdacht, dass es zur Bestechung gekommen ist."
Die Tschechen sind also aufgerufen, selbst in Sachen Korruptionsbekämpfung aktiv zu werden. Wie erfolgreich sie und die Maßnahmen der Regierung dabei sind, wird die nächste Umfrage von Transparency International zeigen.
Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:
www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union
www.euroskop.cz
www.evropska-unie.cz/eng/
www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online
www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt