Tschechische Neonazis nehmen sich deutsche Skinheads zum Vorbild
Sie rasieren sich die Köpfe. Auf ihre Arme haben sie die SS-Runen tätowiert. Sie verehren Hitler und erweisen Rudolf Hess jedes Jahr zu seinem Todestag am 17. August die Ehre. Die Rede ist von Neonazis - doch nicht von solchen aus Deutschland: Auch in Tschechien blüht seit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine rechte Szene, die ihren Hass auf Roma und Juden mit Symbolen des deutschen Faschismus zum Ausdruck bringt. Mit Blick auf die Geschichte der Deutschen und Tschechen klingt das paradox. Über die Wurzeln des tschechischen Neonazismus und die heutige Situation berichtet Anne Lemhöfer im "Forum Gesellschaft".
Sie pflegen einen aggressiven tschechischen Nationalismus - und benutzen Sprache und Symbolik der deutschen Nationalsozialisten: Der paradoxe ideologische Spagat der Rechtsextremisten in Tschechien kommt in den Liedern der böhmischen Neonazi-Rockband "Vlajka" - das bedeutet: "Die Fahne" - zum Ausdruck. "Narode povstan!" heiß der Song, den wir eben kurz angespielt haben. Das heißt: "Nation, steh auf!". Damit meint die Band die tschechische Nation - um dann im Refrain mehrfach auf deutsch "Heil!" zu brüllen.
Dass Adolf Hitler die Slawen einst als "minderwertige Rasse" titulierte, scheint tschechische Neonazis nicht zu stören. Vielleicht hatten etwa die glatzköpfigen Touristen aus Tschechien, die kürzlich ins bayerische Wunsiedel pilgerten, davon auch noch nichts gehört. Jedenfalls marschierten dort rechte Skinheads aus Brünn, Prag und Pilsen in trauter Eintracht und Seite an Seite mit deutschen Neonazis durch den Ort. Das war am 21. August dieses Jahres, zum 7. Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. "Seid euch bewusst, dass ihr Tschechen seid!" skandieren tschechische Neonazis bei ihren eigenen Demonstrationen - wie im Frühjahr 2000 auf dem Prager Wenzelsplatz.
Wie passt dieser tschechische Nationalismus mit der Verehrung führender deutscher Nazis aus der Zeit des Dritten Reichs zusammen? Rein äußerlich könnten die tschechischen Skinheads auch aus Rostock, Berlin oder Hamburg kommen. Sie tragen zu Aufmärschen Reichskriegsflaggen und tätowieren sich Nazisymbole wie das Hakenkreuz auf dem Körper - in einem Land, in dem hunderttausende Menschen während der deutschen Okkupation starben. Zdenek Zboril, Professor am Prager Institut für Internationale Beziehungen und einer der führenden Extremismus-Forscher des Landes, sieht in der speziell tschechischen Ausprägung des Neonazismus eine eigentümliche Verbindung zwischen den Wurzeln des tschechischen und slokwakischen Faschismus der Dreißiger Jahre und dem politischen Transformationsprozess in den Neunziger Jahren:
"Für die Neonazis im heutigen Tschechien sind Hitler und vor allem die SS Helden - auch weil sie im zweiten Weltkrieg gegen die Bolschewisten in Russland gekämpft haben. Darin zeigt sich ein Anti-Kommunismus und eine politische Heimatlosigkeit der jungen Leute, die sich nach dem Transformationsprozess Anfang der Neunziger Jahre entwickelt hat. Ein Anti-Kommunismus, dem heutzutage vor allem junge Männer anhängen, die gar keine Erfahrung mit dem Kommunismus haben. Sie akzeptieren ihn ohne persönlichen Hintergrund und ohne historische Kenntnisse, auch ohne Kenntnisse des Nationalsozialismus. Für sie ist diese Ideologie eine austauschbare Ausdruckform von Hass gegen Juden und Roma, sie haben sie angenommen, wie auch den Ausländerhass, der sich in der ursprünglich unpolitischen Skinheadszene aus England entwickelt hatte. Beides sind kulturelle Importe von außen, die in Tschechien auf die Enttäuschung vieler junger Menschen mit den politischen Parteien treffen und auf ein gleichzeitiges Wiederentdecken des historischen tschechischen und slowakischen Faschismus aus den Dreißiger Jahren."
Der Anti-Kommunismus der Rechtsradikalen ist für Zboril auch der Grund, weswegen sich bis weit in die Neunziger Jahre hinein keine große gesellschaftliche Gegenbewegung gegen die nazistische Skinhead-Organisationen stemmte.
"Viele Menschen waren nicht explizit gegen diese ersten Wellen des Rechtsextremismus, die sich in Tschechien bemerkbar machte. Große Teile der Gesellschaft sahen vor allem das anti-kommunistische Element der Demonstrationen, und da zu diesem Zeitpunkt sich fast jeder als "Anti-Kommunist" bezeichnete, herrschte eine große Toleranz auch gegen Aufmärsche der Rechten."
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs entwickelten sich in ganz Ost- und Mitteleuropa rechtsradikale Szenen - die größten in Tschechien und Ungarn. Neonazismus, Rechtsradikalismus, rassistische und ideologische Gewalt - diese Begriffe sind längst zum festen Bestandteil der gesellschaftlichen Realität in der Tschechischen Republik geworden. Vor allem die europaweit aktive "Blood and Honor"-Bewegung, besitzt hier einen Agitationsschwerpunkt. Die größten landesweiten Zusammenschlüsse von Neonazis sind die Gruppen "Narodni Odpor" (Nationaler Widerstand) und die "Bohemian Hammer Skins".
Ihr Hass richtet sich vor allem gegen Roma und Juden, aber auch gegen die wenigen farbigen Asylbewerber in Tschechien. Die Band "Vlajka", deren Song wir zu Beginn des Beitrags angespielt haben, ist eine von vielen in den Neunziger Jahren gegründeten Rockgruppen, die Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus propagieren und bei ihren Konzerten vor allem junge Männer zwischen 15 und 25 Jahren versammeln.
"Ich finde das seltsam: Die tschechischen Neonazis kommunizieren mit ihren Freunden aus Polen, Ungarn, der Slowakei und sogar mit Neonazis aus Deutschland in englischer Sprache - und nicht auf Deutsch. Sie sprechen kein Deutsch. Sie sind große Bewunderer von Hitler und Rudolf Heß - aber sie sprechen kein Deutsch! Viele wissen nichts über die Zeit des Nationalsozialismus und benutzen ihn lediglich, um ihrem Hass gegen die Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Sie verstehen nicht einmal die Schriften und Reden ihrer eigenen Propheten richtig. Sie können nicht einmal "Mein Kampf" lesen."
Im tschechischen Innenministerium liegen heute detaillierte Daten über die Zahl polizeilich bekannter Rechtsextremisten und deren Aktivitäten vor. Über die Entwicklung der Szene in den vergangenen Jahren und die Bekämpfung neonazistischer Straftaten berichtet Ladislava Tejchmanova aus dem Innenministerium:
"In der polizeilichen Statistik über extremistische Straftäter führen wir derzeit etwa 7000 Personen in Tschechien, dazu zählen zum Beispiel auch Fußball-Hooligans. Der harte Kern der Neonaziszene besteht allerdings aus nicht mehr als 600 Personen landesweit. Neonazis sind in Tschechien marginalisiert, sie haben keine breite Unterstützung in der Gesellschaft. An Aktivitäten registrieren wir vor allem Rockkonzerte und Versammlungen, die meisten erfolgen konspirativ, so dass die Verfolgung nicht immer einfach ist. Wir beobachten außerdem einen Trend zur regionalen Dezentralisierung und eine zunehmende Vernetzung von Neonazis im Internet. Man kann sagen, dass die Zahl der Neonazis in den vergangenen Jahren stagniert. Wir haben keine nennenswerten Zuwächse an Szenemitgliedern, aber auch keine erkennbare Abnahme zu verzeichnen. Die tschechische Politik richtet sich entschieden gegen solche extremistischen Umtriebe."
Tschechien hat aber nicht nur selbst eine starke rechte Szene - das Land ist für Rechtsextremisten aus ganz Europa ein attraktiver Umschlagplatz für verbotene Musik-CDs, illegales Propagandamaterial und militärische Ausrüstung sowie ein beliebter Austragungsort für Rockkonzerte. Gerade aus Deutschland hat sich ein wahrer Fascho-Tourismus ins östliche Nachbarland entwickelt. So versorgen auf Straßenmärkten im böhmischen Grenzgebiet ausgerechnet die vietnamesischen Einwanderer deutsche Neonazis mit CDs und Kassetten von Nazi-Rockgruppen wie "Landser" oder "Kraftschlag", die in Deutschland auf dem Index stehen. Zdenek Zboril berichtet:
"Die Zentren für diesen Schwarzhandel auf den Vietnamesenmärkten sind Nord- und Westböhmen sowie Süd-Mähren - das heißt entlang der Grenzen zu Bayern, Sachsen und Österreich. Die meisten CDs haben die Vietnamesen illegal gebrannt. Das Problem ist, dass die Gerichte nicht wissen, wie sie mit den Festgenommenen umgehen sollen. Viele Prozesse wurden abgebrochen, weil gesagt wurde, die Verkäufer wollten Profit machen und seien nicht ideologisch motiviert. Das ist wahrscheinlich richtig, aber es hilft auch nicht, das Problem in den Griff zu bekommen. Ich weiß, dass es in den vergangenen zwei, drei Jahren in Cheb und in Karlovy Vary etwa 25 solcher Prozesse gegeben hat."
All das zeigt: Rechtsradikalismus und Neonazismus sind in Europa längst zu grenzüberschreitenden Bewegungen geworden. Das stellt auch die Polizei auf eine harte Probe. Gerade Dienststellen im tschechisch-deutschen Grenzbereich sind auf stetigen Austausch an Informationen angewiesen. Im Kampf gegen Neonazis diesseits und jenseits der Grenze funktioniert das heute sehr gut. Silke Specht, Pressesprecherin des Landeskriminalamts Sachsen, berichtet:
"Die Zusammenarbeit zwischen tschechischer und deutscher Polizei funktioniert im Wesentlichen im Informationsaustausch in Folge von Auskunftsersuchen, vorwiegend über das Bundeskriminalamt. Teilweise geschieht dies aber auch im so genannten "kleinen Grenzverkehr" zwischen den Polizeidienststellen, die direkt im Grenzbereich liegen."