Michael Haider, österreichischer Presseattaché in Prag: Das Unvorstellbare wurde Realität.

Michael Haider (Foto: Gerald Schubert)
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Nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Staaten werden gewiss nicht nur von der Diplomatie gestaltet. Wirtschaft und Handel, kultureller Austausch sowie unzählige private Initiativen spielen eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Dennoch fungiert die Diplomatie als Schaltstelle - auch für Bereiche jenseits der Spitzenpolitik und nicht zuletzt beim Austausch von Informationen. Gerald Schubert unterhält sich in der nun folgenden Ausgabe der Sendereihe"Heute am Mikrophon" mit Michael Haider, dem österreichischen Presseattaché in Prag:

Michael Haider  (Foto: Gerald Schubert)
Herr Haider, wie lange sind Sie schon österreichischer Presseattaché in Tschechien?

"Seit November vergangenen Jahres."

Können Sie in ein paar Sätzen umreißen, was die Aufgabe des Presseattachés ist?

"Im Grunde alles, was mit Presse- und Informationsarbeit zu tun hat. Das heißt, sich die Medien hier anzuschauen, für österreichische Medien Ansprechpartner in der Tschechischen Republik zu sein, und umgekehrt Ansprechpartner für tschechische Journalisten, falls diese Informationen aus Österreich brauchen."

Ungefähr in die Mitte Ihrer bisherigen Amtszeit fällt der EU-Beitritt der Tschechischen Republik. Die Perspektive ist natürlich noch ein bisschen kurz. Aber können Sie schon abschätzen, ob sich in den bilateralen Beziehungen, oder vielleicht nur in der wechselseitigen Kommunikation, die Sie ja direkt beobachten und mitgestalten, die Gewichte auf besondere Weise verlagert haben? Und wenn ja, in welche Richtung?

"Ich glaube nicht, dass sich konkret ab dem 1. Mai etwas verlagert hat. Denn schon im Zuge der Beitrittsverhandlungen haben sich zwischen beiden Ländern sehr viele Mechanismen eingespielt. Aber natürlich: Seit dem 1. Mai sitzen wir in Brüssel tatsächlich als gleichberechtigte Partner am selben Tisch, wo wir gemeinsam die Zukunft der Europäischen Union mitgestalten. Dass man da umso intensiver und besser zusammenarbeitet, ist verständlich. Die Zusammenarbeit findet sowohl auf der politischen als auch auf der so genannten technischen Ebene statt: Auf Beamtenebene, wenn es um bestimmte Sachfragen geht, zwischen den hiesigen Landkreisen und österreichischen Bundesländern, und - das ist besonders wichtig - auf der privaten Ebene. Wenn Sie denken, wie viele private Kontakte existieren, was alles an wirtschaftlicher Zusammenarbeit existiert, was an Investitionen und verschiedenen Kooperationen besteht, etwa zwischen mährischen Winzern mit Winzern im Retzerland - all das sind konkrete Beispiele für das gemeinsame Arbeiten in der Union."

Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?

"Fünfunddreißig."

Das heißt, als der Eiserne Vorhang fiel, waren Sie zwanzig. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit? Sie waren damals bereits erwachsen. Ich nehme an, Sie haben nicht gedacht, dass Sie einmal jenseits des damaligen Eisernen Vorhangs als Presseattaché arbeiten werden. Aber vielleicht können Sie aus heutiger Sicht rekapitulieren, wie Ihre ersten Erfahrungen in Tschechien, respektive damals noch in der Tschechoslowakischen Föderativen Republik waren.

"Zunächst muss ich einschränken: Es geht nicht darum, ob ich mir vorstellen konnte, auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs Presseattaché werden zu können. Ich hätte mir vermutlich damals überhaupt nicht vorgestellt, dass ich jemals irgendwo Presseattaché bin. Aber die Erfahrungen sind in der Tat eigenartig. Rückblickend betrachtet bin ich, wie eine ganze Generation oder eigentlich zwei Generationen, in dem Wissen aufgewachsen, dass es zwei Blöcke gibt. Das war Teil einer gelebten Realität, und es war eigentlich nicht abzusehen, dass sich das je ändern würde. In Bezug auf den damaligen Nachbarstaat Tschechoslowakei hatte ich dann eines der spannendsten Erlebnisse relativ bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs: Es handelte sich um eine Theateraufführung, die 1990 stattgefunden hat. Im Jahr 1989 hatten die Wiener Festwochen für das darauf folgende Jahr die Produktion "Elisabeth II.", ein Stück von Thomas Bernhard, eingeladen. Inzwischen aber war Bernhard verstorben, und es gab ein Testament von ihm, das Aufführungen seiner Stücke in Österreich untersagt hat. Mittlerweile gilt das in der Form nicht mehr, aber damals war das eine Katastrophe: Die Festwochen hatten eine Produktion eingekauft, aber konnten sie nicht zeigen. Die Lösung war ganz ungewöhnlich und eigentlich unvorstellbar: Die Festwochen haben im plötzlich sehr offenen Nachbarland kurzerhand ein Theatergebäude gemietet, nämlich die Oper in Bratislava, und haben das Stück dort gebracht. Und sie haben von der Albertina auf der Wiener Ringstraße einen Shuttle-Bus nach Bratislava eingerichtet."

Also etwas, das noch wenige Monate zuvor aus mehreren Gründen unvorstellbar gewesen wäre.

"Absolut unvorstellbar! Eine Gruppe von Österreichern setzt sich an der Wiener Ringstraße in einen Bus, um nach Bratislava zu fahren und dort der Aufführung eines Stückes beizuwohnen, das von einem österreichischen Autor stammt und, damit es besonders lustig ist, in einer Wiener Ringstraßenwohnung spielt. Das Stück ist überdies von einem Autor, dessen Bücher in dem anderen Land noch ein Jahr zuvor vermutlich nicht im freien Handel erhältlich gewesen wären und dessen Theaterstücke zu dieser Zeit wiederum in Österreich verboten waren."

Wie beurteilen Sie nun in großen Zügen die Entwicklung der österreichisch-tschechischen Beziehungen, was Fragen rund um Furcht, Hoffnung, Freundschaft und Animositäten betrifft? Ich glaube, wir können uns darauf einigen, dass es da ja verschiedene Wellen gegeben hat. Kurz nach der Wende war die Begeisterung über die offene Grenze wohl auf allen Seiten sehr hoch. Dann kam Skepsis auf. Skepsis, die sich später in den bilateralen Lieblingsthemen wie "Temelín" oder "Benes-Dekrete" kanalisiert hat. Aber auch hier werden die Konflikte offensichtlich leiser. Wie sehen Sie denn in diesem Zusammenhang die Perspektive?

"Sehr positiv! Es ist ja bereits jetzt so, dass das keine Aufreger mehr sind. Vieles, was an Aufregung da war, ist ja hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Menschen ungenügend informiert sind und Ängste haben. Und dass es andere Menschen gibt, die diese Ängste gerne kultivieren. Je mehr man vom Anderen weiß, je mehr man sich eingebunden fühlt, umso besser laufen die Verhältnisse tatsächlich, und umso mehr rücken Dinge aus der skandalträchtigen Wahrnehmung in eine vollkommen normale Dimension."