Vier Generationen der Wiener Tschechen und Slowaken haben im Prater ihr Jubiläum gefeiert

Das Jahr 2022 wurde in Wien zum Jahr der dortigen Tschechen und Slowaken erklärt. Anlass ist das 150. Gründungsjubiläum des Schulvereins Komenský, der Schuleinrichtungen mit Schwerpunkt Tschechisch und Slowakisch betreibt. In Zusammenarbeit mit allen tschechischen und slowakischen Vereinen in Wien wurden seit Anfang des Jahres schon fast dreißig Veranstaltungen organisiert, unter anderem Gottesdienste in der Wiener Stephanskirche und im Prager Veitsdom, ein festliches Mittagessen im Wiener Rathaus sowie eine Jahresabschluss-Akademie auf der Prater-Bühne. Die Feierlichkeiten fanden am vergangenen Montag im Prater mit einem Festakt ihren Höhepunkt, bei dem auch der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen zu Gast war.

Präsident Alexander van der Bellen | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Das Schulorchester der Komenský-Schulen hat die Feier im Garten des Schweizerhauses im Wiener Prater eingeleitet. Bei überraschend sonnigen Wetter kamen rund 800 Menschen aus vier Generationen der Wiener Tschechen und Slowaken zusammen, um gemeinsam zu feiern. Unter ihnen waren auch mehr als 400 Kinder, die aktuell die Volksschule und das Realgymnasium des Komenský-Vereins besuchen. Bei dem Fest gab es hochrangigen Besuch. Auch der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen nahm die Einladung entgegen:

Jubiläumsfeier im Prater | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

„Ich wünsche dem Schulverein Komenský alles Gute zum 150-jährigen Jubiläum. Ich danke allen, die sich für die Volksgruppen und ihre Communities engagieren. Durch Ihren Einsatz wird die Brücke zwischen uns Nachbarinnen und Nachbarn, zwischen den Menschen erhalten, gepflegt und für Gutes genutzt. Vielen Dank und weiteren Erfolg für die nächsten 150 Jahre.“

Soweit der Geburtstagswunsch, mit dem sich van der Bellen in seiner Ansprache an die Anwesenden wandte:

„So erfreulich der Anlass ist, dieses Jubiläum, so erfreulich ist auch, wie viele Menschen hier sind, wie viele Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Volksgruppen gekommen sind, um dieses Jubiläum gemeinsam zu feiern. Die autochthonen Volksgruppen, die kroatische, slowakische, slowenische, tschechische, die ungarische und die Gruppe der Roma sind in ihrer ganz besonderen Sprache und Kultur ein wichtiger Teil der österreichischen Identität. Und das müssen wir nach Kräften fördern und erhalten.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Van der Bellen: Volksgruppen sind wichtiger Teil der österreichischen Identität

Van der Bellen hob die Rolle der Minderheiten und die Bedeutung des Minderheitenschutzes hervor. Die Tschechen wurden 1976 als autochthone Volksgruppe in Österreich anerkannt. Er erinnerte an seine Redebeiträge, die er bei der UN-Generalversammlung in der vergangenen Woche in New York vortrug:

„Es ist mir ganz wichtig, dass positiv gelebte Minderheitenrechte nicht nur innerhalb eines Landes sondern auch zur Stärkung einer Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen Völkern und Staaten beitragen können. Für mich war immer, was den sogenannten Minderheitenschutz betrifft, das Allerwichtigste das Erhalten der Sprache, der sogenannten Muttersprache. Ich habe es immer sehr bedauert, nur anderthalbsprachig aufgewachsen zu sein, nämlich hochdeutsch mit den Eltern und kaunertalerisch mit den Freunden. Sie alle stehen für das gemeinsame Betreiben und Überqueren dieser Brücke und Sie verhindern dass diese Brücke brüchig wird.“

150 Jahre des tschechischen Schulwesens in Wien

Karel Hanzl spricht zu den Anwesenden | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Seit 1872 setze sich der Verein für das tschechischsprachige Schulwesen und die Vertretung von Tschechinnen und Tschechen in Wien ein, betonte van der Bellen. Er nannte auch einige berühmte Schüler:

„In diesen 150 Jahren besuchten zehntausende von Schülerinnen und Schülern diese Schule, unter anderem der frühere Außenminister der Tschechischen Republik, Karel Schwarzenberg, den ich gut kenne, die Mutter des ehemaligen Präsidenten Václav Havel, oder Ferdinand Lacina, einer der besten Finanzminister der Republik Österreich, den es je gegeben hat.

Komensky Schule,  Gebäude in Wien am Schützengasse 31 | Foto: Peter Haas,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

Vier Phasen hat die Schule durchlaufen, von der Gründungszeit einerseits, über die Schließung aller Schulen, beziehungsweise Zerstörung dieser Schulen während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes bis hin zur Neuorientierung nach der Grenzeröffnung. Heute ist der Schulbetrieb lebendiger denn je, moderner denn je.“

Unsere Komenský-Schule sei in der kaiserlichen Zeit geboren worden, die tschechische Mutter, eine Wienerin, habe sie für ihre Kinder erkämpft. Johannes Amos Comenius habe gewusst, dass in jedem Kind sehr viele Schätze verborgen liegen, die es zu entdecken gilt. So heißt es in der Schul-Hymne, die bei der Feier alle zusammen  gesungen haben.

1872 wurde der Schulverein gegründet. Es dauerte noch zwanzig Jahre lang, bis die erste Schule eröffnet werden konnte. Heute betreibt der Verein einen Kindergarten, eine Volksschule und ein Realgymnasium im 3. Stadtbezirk. Sein Obmann, Karel Hanzl, begrüßte die Politiker, Ehrengäste, Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schülerinnen und Schüler:

„Anwesend sind vier Generationen von Tschechen und Slowaken in Österreich. Vier Generationen, die die Komenský-Schule miteinander verbindet. Und vor diesen vier Generationen erinnern wir uns an weitere vier Generationen, die 1872 den Schulverein gegründet und durch zwei Weltkriege begleitet haben. Getragen vor allem vom Mittelstand der Gewerbetreibenden und Handwerker, die im Laufe dieser 150-jährigen Geschichte des Schulvereins einige Male die Organisation vor dem Untergang gerettet haben. Das letzte Mal vor 30 Jahren. Das sind 150 Jahre im Zeichen von ständigem Geldsammeln einerseits und andererseits dem Überzeugen und Motivieren der Eltern, dass sie die Kinder in diese Schule auch geben. Und das in der Riesenkonkurrenz einer Großstadt wie Wien. Wir müssen immer schauen, dass wir inmitten der vergleichbaren Schulen nach Möglichkeit die besten sind. Und weil wir das nicht immer finanzieren konnten und können, verlangen wir bereits seit 30 Jahren Schulgeld. Trotz dieser Riesenhürde haben wir einen perfekten Aufsprung an der Kinderzahl bekommen. Das sagt, die Eltern würdigen die Qualität von Euch, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Erzieher und Mitarbeiter, und alle Vereinsangehörigen.“

Tschechischer Botschafter Jiří Šitler | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Der tschechische Botschafter in Wien, Jiří Šitler, hat erst vor einigen Wochen sein Amt in Österreich angetreten. Auch er war nun mit dabei:

„Während der sechs Wochen, die ich auf meinem Posten in Wien bin, habe ich schon feststellen können, wie lebendig und aktiv die tschechische Minderheit und ihre Vereine sind. Ich denke, dass die Worte von Herrn Bundespräsident zutreffen, dass die Wiener Tschechen ein Teil der österreichischen Identität seien. Es freut mich sehr, dass eine meiner ersten großen Veranstaltungen hier die Feierlichkeiten zum 150. Gründungsjubiläum des Schulvereins Komenský sind. Ich wünsche dem Verein viele weitere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte des tschechischen Schulwesens in Wien und freue mich auf unsere Treffen und unsere Zusammenarbeit.“

Schweizerhaus – inoffizielle Botschaft der Tschechischen Republik

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Aus dem Kreis Südmähren ist der stellvertretende Kreishauptmann, Jiří Nantl, nach Wien gereist. Er lobte den Einsatz der Vereinsmitglieder:

„Eine Schule zu betreiben ist eine Tätigkeit, die auch für dafür zuständige öffentliche Behörden sehr anspruchsvoll ist. Desto mehr dann für einen Verein. Sie zeigen durch Ihre Tätigkeit, dass es die bürgerliche Pflicht ist, sich um die Bildung nächster Generationen zu kümmern. Diese entspringt aus einer natürlichen Pflege der Eltern und der ganzen Community.“

Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die Feier fand im Schweizerhaus statt, einer Gaststätte, die seit über 100 Jahren von Mitgliedern der ursprünglich aus Böhmen stammenden Familie Kolařík betrieben wird. Der Wiener Landtagspräsident Ernst Woller bezeichnete diese in seinem Grußwort als inoffizielle tschechische Botschaft in Wien. Nach den Festreden und Musik wurden alle Anwesenden zum festlichen Mittagessen eingeladen.