Der erste Jahreswechsel in der EU: Ein Rück- und Ausblick junger EU-Bürger

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Der letzte Feuerwerkskörper ist bereits verglüht und auch die guten Neujahrsvorsätze sind schon wieder Schnee von gestern. Trotzdem gibt der Jahreswechsel immer wieder Anlass, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Insbesondere dann, wenn es, so wie in Tschechien, von einem zeithistorischen Ereignis geprägt ist: dem Beitritt zur Europäischen Union. Sandra Dudek hat sich unter jungen EU-Bürgern umgehört, welche Änderungen das Leben in der EU mit sich gebracht hat und mit welchen Erwartungen sie in die Zukunft blicken:

Der 1. Mai 2004 ist schon längst vorüber und mit ihm offenbar auch die Euphorie, die sich anlässlich des EU-Beitritts in den neuen Mitgliedsländern breit gemacht hat. Dies zumindest ergibt eine von der Europäischen Kommission durchgeführte und im Dezember veröffentlichte Meinungsumfrage. In acht der zehn neuen Mitgliedsländer sind lediglich die Hälfte oder weniger als die Hälfte der Bürger davon überzeugt, dass der EU-Beitritt eine gute Sache ist. Tschechien befindet sich auf der Skala des so genannten Eurobarometers am vierten Platz von hinten und gehört damit zu den größten Europessimisten. Nicht so die Slowakei, in der knapp 60 Prozent der Einwohner der EU gegenüber positiv eingestellt sind. Radio Prag hat einen Blick hinter die statistischen Zahlen geworfen und junge EU-Bürger zu ihrer Einstellung über den EU-Beitritt und seinen Folgen befragt. Zum Thema "Europessimismus" meint Martin Lachout, Universitätsassistent an der Karlsuniversität Prag:

"Dieser Pessimismus kann mehrere Gründe haben: Erstens leiden die Tschechen unter Misstrauen. Man darf nicht vergessen, dass sie 40 Jahre von Russen unterjocht gelebt haben und jetzt haben sie wohl Angst, dass sich ein ähnliches Joch wiederholen könnte. Zweitens hatten sie vielleicht auch nach der Wende ganz andere Erwartungen, was ihren Lebensstandard anbelangt und mit dem Beitritt zur Europäischen Union befürchten sie, dass diese Erwartungen völlig verloren gehen."

Foto: Europäische Kommission
Dem Misstrauen und der Angst vor einer Wiederholung der Geschichte unter anderen Vorzeichen steht die Hoffnung auf Demokratie und Frieden gegenüber. Laut Eurobarometer verbinden rund 40 Prozent der Tschechen die EU-Mitgliedschaft damit. Diese Schlagworte wurden von den befragten Tschechen allerdings nicht erwähnt. Für sie sind es vor allem wirtschaftliche und persönliche Argumente, mit der die derzeit doch sehr europaskeptischen Meinungen begründet werden, wie beispielsweise die Aussage von Martin Lachout zeigt:

"Momentan finde ich wenige Vorteile. Vielleicht in der Zukunft, wenn wir dann die Möglichkeit haben werden, im Ausland zu arbeiten, dann kann man schon über Vorteile sprechen. Momentan würde ich sagen, dass das eher Nachteile für das Land und für die Tschechen sind."

Als großes Problem werden die Preissteigerungen genannt, denen aber keine entsprechenden Lohnerhöhungen gegenüber stehen und somit den Erhalt des Lebensstandards erschweren. Dies betont auch Jirka Hansl, der nach einem Wirtschaft- nun auch ein Sprachstudium absolviert, um seine Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen:

Foto: Jana Sustova
"Die ganz konkreten Vorteile sind eigentlich noch nicht gekommen, weil die tschechische Bevölkerung immer nur von Preiserhöhungen, was die Mehrwertsteuer betrifft, gehört hat. Für einen konkreten Bürger heisst es, abgesehen vom Reisen nur mit Personalausweis, dass man jetzt mehr bezahlen muss."

Die augenscheinlichste Änderung sind also die Preiserhöhungen, die der EU-Beitritt mit sich gebracht hat. Vieles, was sich hinter den Kulissen abspielt, bleibt dem Durchschnittsbürger aber verborgen, wie Viktorie Hanisová, Germanistik- und Anglistik-Studentin, meint:

"Das Problem ist nur, dass sich seit dem Beitritt fast nichts geändert hat, die Preise sind ein bisschen gestiegen, aber sonst sieht man eigentlich kein Ergebnis. Man kann nur mit einem Personalausweis ins Ausland reisen, aber das ist eigentlich die einzige Änderung, die man als normaler Tscheche sieht. Und was die Nachteile betrifft, da würde ich sagen, der größte Nachteil ist das bürokratische System. Man weiß überhaupt nicht, wie das funktioniert, welche Rechte man in der EU hat und so weiter."

Eine umfassende Aufklärung über Rechte und Pflichten erwarten sich die Befragten unter anderem auch von den Medien. Mit der Berichterstattung zeigt man sich generell zufrieden, dennoch gebe es im Europa der 25 ein großes Informationsmanko, denn, so Jirka Hansl:

"Alle Länder der Europäischen Union wissen eigentlich ziemlich wenig übereinander und das sollte eigentlich auch von den Medien in Betracht gezogen werden."

Für jüngere Menschen, vor allem für Studierende, gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, sich mit der Kultur eines anderen EU-Staates selbst vertraut zu machen. Zahlreiche Mobilitätsprogramme, wie zum Beispiel das Erasmus-Stipendium, ermöglichen einen bis zu einjährigen Auslandsaufenthalt. Immer mehr junge EU-Bürger machen davon auch Gebrauch und immer mehr möchten ihren Aufenthalt verlängern. Dies aber bringe vor allem finanzielle Probleme mit sich, wie der Slowake Lubos Hlavena, Student der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien, ausführt:

"Vor dem ersten Mai war es so, dass die Staaten rund um Österreich keine Gebühren zahlen mussten, also die Slowakei, Tschechien, Polen und noch andere Staaten und jetzt ist es so, dass man ab diesem Semester zahlen muss, genau so viel wie die Österreicher, fast 400 Euro. Das ist vor allem für die anderen Staaten ziemlich teuer, auch für mich. Man muss sich vorstellen, wie lange man für das eine Semester arbeiten muss, damit man sich das leisten kann, weil so viel verdient man bei uns in einem Monat nicht."

Das Durchschnittseinkommen in der Slowakei liegt bei rund 350 Euro im Monat und damit noch weit unter jenem Tschechiens. Die Finanzierung des Studiums ist für Lubos Hlavena nur durch zwei Jobs und mit Hilfe der Eltern möglich. Den Aufwand nimmt er jedoch gerne in Kauf, denn, so Hlavena:

"Es ist etwas anderes, wenn man sagt, dass man an einer österreichischen Universität studiert hat. Als ich vor drei Jahren mit dem Studium begonnen habe, dachte ich mir, dass wir auch einmal in der Europäischen Union sind, jetzt sind wir es endlich und wenn man jemandem sagt, ich habe die Uni Wien gemacht, dann ist das besser, denn die Reputation der slowakischen Universitäten ist nicht so gut."

Studieren im Ausland, Reisefreiheit und später mehr Arbeitsmöglichkeiten: Das sind für die befragten EU-Bürger die wichtigsten Vorteile der EU-Mitgliedschaft. Dass sie erst dadurch zu Europäern geworden wären, sehen sie nicht so, denn, so stellvertretend die Studentin Viktorie Hanisova:

"Ich würde sagen, dass ich mich schon immer als Europäer gefühlt habe, weil wir schon bisher ein Staat in Europa waren. Was für mich die Europäische Union bedeutet, ist, dass man viel mehr Studienmöglichkeiten hat und mehr Arbeitsmöglichkeiten, dass man mehr frei reisen kann."

Foto: Jana Sustova
Wie groß aber Europa noch werden soll, darüber sind die Meinungen gespalten. Die zukünftigen Mitgliedsländer Bulgarien und Rumänien scheinen kein Thema zu sein, währenddessen der potenzielle Beitritt der Türkei nur mit Einschränkungen befürwortet wird. Dazu Jirka Hansl:

"Beide Seiten müssen eigentlich vorbereitet sein und das heißt im Falle der Türkei, die Menschenrechte sollten eingehalten werden und es müssen auch andere Bedingungen sowohl politisch als auch ökonomisch harmonisiert werden und die Europäische Union muss sich auch auf den Beitritt der Türkei vorbereiten. Aber ganz generell bin ich dafür."

Eine andere Meinung zum EU-Beitritt der Türkei vertritt beispielsweise der Universitätsassistent Martin Lachout, denn:

"Die Europa-Erweiterung muss auch irgendwo ihre Grenzen haben. Es hat meiner Meinung nach keinen Sinn, die Europäische Union ohne Ende zu erweitern. Umstritten finde ich eben die Frage des Beitritts der Türkei. Wenn wir uns die Landkarte vorstellen, dann liegt der größte Teil der Türkei nicht mehr in Europa, sondern in Asien und die Kultur in dem Lande ist auch völlig anders: die Türkei ist kein Land mit abendländischer Kultur."

Wesentlich wichtiger als die Erweiterung der Europäischen Union sind derzeit aber für die befragten jungen EU-Bürger die erweiterten Studien- und Arbeitsmöglichkeiten. Und dass durch das Ende der Übergangsfristen Tschechien endlich zu einem gleichberechtigten Mitglied wird. Darauf wollen sie aber nicht mehr allzu viele Jahreswechsel warten müssen.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt