Premiere für den tschechischen Regisseur Dusan David Parizek bei den Salzburger Festspielen
Die Salzburger Festspiele in diesem Jahr bedeuten auch für den tschechischen Kulturbetrieb eine Premiere. Denn zum ersten Mal ist für den Nachwuchswettbewerb um die beste Schauspiel-Inszenierung, dem sogenannten "Young Directors Project", ein hoffnungsvoller tschechischer Nachwuchsregisseur nominiert worden: Dusan David Parizek. Menno van Riesen berichtet, wie es zu der Berufung Parizeks gekommen ist, welches Stück er inszeniert und wie er den Festspielen entgegensieht.
Oper, Tanz, Konzert und Schauspiel, das sind die Bestandteile der Salzburger Festspiele, die in diesem Jahr 85 Jahre alt werden. Nicht wegzudenken aus dem Kulturfestival ist, wie in jedem Jahr, gewiss die Aufführung des Theaterstückes "Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal, dessen Uraufführung 1920 unter der Regie von Max Reinhard zugleich die Geburtsstunde der Festspiele bedeutete. Ein noch relativ neuer Bestandteil der Spiele ist das so genannte "Young Directors Project." Dabei handelt es sich um ein eigenes Festival für Nachwuchsregisseure, das im Rahmen der großen Festspiele in diesem Jahr zum vierten Mal präsentiert wird. Mit dabei ist erstmals auch ein tschechischer Jung-Regisseur: Dusan David Parizek, vom Prager Theater "Divadlo Komedie". Parizek erläutert, was gerade in diesem Jahr das Besondere an diesem Theater-Projekt ist:
"Es gibt mit Martin Kusej, einem Österreicher mit slowenischen Vorfahren, einen neuen Schauspieldirektoren, der auch in Deutschland ein sehr bekannter Regisseur ist. Für zwei Jahre kann er nun das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele mitbestimmen. Kusej macht etwas ganz Raffiniertes: Er öffnet für andere Theaterkulturen, die früher einmal zu Habsburg gehört haben, die Tore und sorgt dafür, dass Slowenen, Ungarn, Tschechen und dazu eine junge Sizilianerin beim `Young Directors Project` sein können."
Die beste Inszenierung erhält den von Sponsor "Montblanc" ausgelobten und mit 10.000 Euro dotierten "Young Directors Award". Parizek tritt mit einer Bearbeitung von Robert Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" an. Die Dramaturgin für Schauspiel und Leiterin des "Young Directors Project", Eva Maria Voigtländer, erinnert sich, wie der Kontakt zu Parizek gelingen konnte: "Parizek hat ja bereits in Deutschland studiert und auch inszeniert - dadurch war sein Name uns überhaupt bekannt - und eine Kollegin von uns, die lange auch in Prag gearbeitet hat, konnte uns den Kontakt vermitteln. Sie hat uns sehr viel von ihm erzählt, und dann sind wir nach Köln gefahren, wo Parizek gerade aufgeführt hat, haben uns dort mit ihm getroffen und haben gesehen, wie er arbeitet. Er konnte auch mit unserem thematischen Schwerpunkt sehr viel anfangen, und so haben wir uns recht bald geeinigt."
Die Inszenierungen der diesjährigen Festspiele stehen ganz im Rahmen Europas und geben sich den noch jungen Eindrücken der Regisseure von der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten hin. Parizek begreift die thematische Herausforderung, die der Salzburger Schauspielchef Martin Kusej an die Regisseure stellt, dabei als eine große Chance: "Kusej interessiert dieses Hinterfragen eines Europäers, der sich jetzt plötzlich mit anderen Nationen und Nationalkulturen, mit Angehörigen der - wie ich es immer nenne - `Zweiten Welt`, d. h. mit Menschen aus Slowenien, der Slowakei und Ungarn umgehen muss, sich als Teil einer großen Kollektivseele plötzlich mit ganz anderen Lebensweisen konfrontiert sieht, und sich auf einmal Fragen stellen muss: Das, was vorher noch gewöhnlich, üblich war, gestaltet sich plötzlich ganz anders."
"Wir, die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation": So lautet das programmatische Motto für die Aufführungen bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Die Leiterin des "Young Directors Project", Eva-Maria Voigtländer, erklärt, wie es zu diesem provokant anmutenden Titel kam: "Ganz konkret geht das zurück auf ein Buch des Dichters und Nobelpreisträgers 2003, John Koetzee. Er hat ein Buch geschrieben, das den Titel trägt: `Warten auf die Barbaren`. Es handelt von einem hoch zivilisierten Volk, das in einer Festung lebt und versucht, seine Kultur in die Barbarei, also in die Wüste, voranzutreiben, aber gleichzeitig Angst vor den Barbaren hat. Und dieses ist ein starker Leseimpuls von uns gewesen, zu hinterfragen, wie barbarisch eigentlich unsere eigene Zivilisation ist: Sind das jetzt etwa die neuen Barbaren, die da aus dem Osten kommen, oder sind wir die Barbaren nicht viel eher selber?"
Das Motto für das "Young Directors Project" reisst für die Nachwuchsregisseure viele Fragen auf: Wie können die Menschen in einem neuen Europa, dessen geografische Grenzen sich weiter nach Osten verschoben haben, voneinander lernen, gibt es gemeinsame kulturelle Wurzeln oder gar einen europäischen Grundkonsens? Alle diese Überlegungen findet Parizek in Robert Musils Novelle "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" zu Genüge ausgebreitet. Die Entscheidung für den "Törless" fiel gewissermaßen über Nacht, nach einem Telefonat mit dem deutschen Dramaturgen Konrad Knieling vom Schauspiel Köln, mit dem Parizek hin und wieder zusammen arbeitet: "Ich habe Konrad Knieling angerufen, und über Ideen, die ich hatte, mit ihm gesprochen und gesagt: `Was mir aber wirklich erscheint, ist dieser Musil, über den ich immer wieder stolpere und den ich immer schon auf der Bühne bringen wollte`. Das Telefonat dauerte zwanzig Minuten, dann schlief Konrad darüber, ich habe die ganze Nacht über den `Törless` gelesen, und am nächsten Morgen haben wir beide dann gesagt: Ja, das wäre etwas, das ist der richtige Titel. Den Vorschlag habe ich dann Martin Kusej und seiner Dramaturgin von Salzburg, Eva-Maria Voigtländer, vorgetragen, und beide waren ganz begeistert von der Idee."
In der rund einhundert Jahre alten Novelle schließt sich der heranwachsende Internatsschüler Törless zwei Mitschülern an, die einen Diebstahl ihres Kameraden Basini beobachtet haben, und diesen mittels körperlicher und seelischer Gewalt gefügig machen. Auf dieser literarischen Grundlage baut Parizek auf. Der Bogen, den er in die Gegenwart schlägt, gelingt, da auch in Musils "Törless" Menschen miteinander auskommen müssen, die verschiedene Sprachen sprechen und sich nicht aus dem Wege gehen können. Fungiert also der "Törless" gewissermaßen als eine Art Versuch europäischer Integration auf der Theaterebene? Parizek dazu: "Diese Frage ist ja im Prinzip im Text von Musil mit gestellt: Sie wird gestellt von einem Autor, der heute gemeinhin als Österreicher gilt, der eine Kadettenanstalt in Südmähren besucht hat, und der schließlich in Stuttgart ein Buch herausbringen konnte, nämlich den ` Törless` selbst. Das bedeutet, Musil hat den ganzen mitteleuropäischen Kulturraum bereits selber abgeschritten."
Auch die Novelle spielt in jener Kadettenanstalt, die einst berühmte Autoren wie etwa Rainer Maria Rilke besucht haben, und wo man den jungen Leuten Ordnung, Zucht und Bildung beizubringen suchte. Doch Musil berichtet, dass die harte Erziehung und Sozialisation der Menschen dort auch ihre Schattenseiten mit sich führte. Im "Törless" hinterfragt er - in diesem kleinen Stück Mitteleuropa - den Sinn von Bildung und Schule überhaupt, und das auf einer tiefen und persönlichen Ebene, wie Parizek veranschaulicht:
"Probieren Sie es, ein paar junge Menschen einzuschließen. Zwingen Sie sie, mit sich selber umgehen zu müssen. Sehen Sie sich an, was passiert, wenn Machtspiele zum Thema werden, wenn man sich gerne einen Sündenbock für eine Situation sucht, was passiert, wenn man selber vielleicht keine Verantwortung tragen kann, aber eine Position erringen möchte, in der man Macht ausüben kann. Über all das erzählt Musil, und das ist glaube ich damals wie heute absolut gültig."
Zur Seite stehen wird Parizek auch diesmal der Kölner Dramaturg Konrad Knieling. Knieling will dem Theaterpublikum aufzeigen, wie sich eine Gesellschaft konstituiert, und wie sich verschiedene Machtprinzipien in ihr gestalten können. Er erläutert seine Vorstellungen: "Wie radikal muss man vorgehen mit sich selbst und gegen andere, um zu einem Ziel zu kommen? Das ist das, was Törless ganz vorzüglich beschreibt. Törless rechnet ab, natürlich auch mit einer großen Vergangenheit, mit einem Regime, mit einer merkwürdig restriktiven Art und Weise des Denkens und stößt eine andere Tür auf, nämlich die Tür, hinter der die Frage lauert: Wo liegt meine eigene Verantwortlichkeit? Das ist das, was Törless passiert: Er scheitert, er scheitert brutal, an seiner eigenen, verkrüppelten Emotionalität wie auch an der Brutalität seiner Mitschüler. Nicht ein Problem zu lösen, sondern Problembewusstheit zu schaffen, das ist es, was Musil will. Es gelingt ihm auch über seine sehr klare, genaue Sprache, die sich gerade dem Theater sehr öffnet."
Die Sprache des Stückes wird daher auch die Sprache Musils sein. Das besondere an der Inszenierung von Parizek ist, das er "Törless" zweisprachig anlegt, dass heißt, die Schauspieler tragen das Stück in deutscher und tschechischer Sprache vor. Drei Rollen besetzt Parizek mit deutschen, zwei mit tschechischsprachigen Schauspielern. Und das bedeutet ein großes Experiment, wie Konrad Knieling verrät: "Es ist auch ein Wagnis, das ich noch nie gemacht habe, ein Stück zu besitzen, das über zwei Sprachen funktioniert. Wo eine Metasprache sozusagen noch zwischen deutsch und tschechisch vermitteln muss, wenn man nicht mit Übertiteln arbeiten will, was man auch vielleicht gar nicht muss, weil der Reiz vielmehr darin liegt, trotz der Fremdheit von Sprachen über Verständigung erzählen zu können."
Über Musik, Bilder, Atmosphäre und Spannungsmomente soll sich vieles eben auch ohne Sprache erzählen. Ein abstraktes, klar umrissenes Bühnenbild soll die Botschaften des Stückes transportieren helfen. Die Mehrsprachigkeit der Kulturen gewinnt umso mehr an Bedeutung, als dass Parizek für die Produktion mit dem Deutschen Theater Berlin einen Kooperationspartner gefunden hat, der hilft, das Stück mit deutschsprachigen Schauspielern zu besetzen. So gibt etwa das Nachwuchstalent Alexander Khuon, dem Parizek bereits in Köln die Rolle des Hamlet zugesprochen hatte, mit Törless die Hauptfigur. Parizek erklärt, was ihm die Verbindung bedeutet:
"Die Arbeit, die entsteht, wird also nicht nur für Salzburg produziert und dort einige Male zu sehen sein, sondern auch hier in Prag und in Berlin im Repertoire sein. Damit gibt es zum ersten Mal eine Verbindung zwischen dem deutschen und dem tschechischen Theater, welche die Kommunikation miteinander auf ihre Lebensfähigkeit hin überprüft. Dieser Austausch zwischen beiden Theatern ist auch mit einer großen Verantwortung verbunden, das heißt, ich selber stehe in der Verantwortung und muss alles gut machen."
Nach der Aufführung bei den Salzburger Festspielen im Sommer wird "Törless" im September im Prager Theater "Divadlo Komedie" Premiere feiern, ehe das Stück in der Spielzeit 2005/2006 nach Berlin auf die Bühne des Deutschen Theaters kommen wird.