Prager Theater "Komödie" startet Österreich-Saison mit Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung"

Gabriela Míčová im Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke (Foto: ČTK)

Es war das erste Theaterstück des damals 24-jährigen Peter Handke. 1966 in der Regie von Claus Peymann im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführt, sorgte die „Publikumsbeschimpfung“ für einen handfesten Theaterskandal. Beinahe 45 Jahre später ist das Stück längst kein Aufreger mehr. Für einen mehr als unkonventionellen und durchaus spektakulären Theaterabend reicht es aber allemal. Zurzeit ist Handkes „Publikumsbeschimpfung“ im Prager Theater „Komödie“ zu sehen.

Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke im Theater „Komödie“  (Foto: ČTK)
Stockdunkel ist es zu Beginn des Stückes, allmählich erscheint im angehenden Licht und zwischen dichten Nebelschwaden die Bühne. Bis auf einen großen, quaderförmigen Holzrahmen ist die Bühne leer. Drei Schauspieler mit nacktem Oberkörper treten auf. Eine vierte Schauspielerin tritt kurz darauf hinzu. „Dieses Stück hat keine Handlung“, sagt einer der Protagonisten gleich zu Beginn.

„Sie denken nicht“, ruft der zweite Schauspieler ins Publikum, „Sie denken an nichts.“ Und der Dritte befiehlt zuerst: „Denken Sie nach“ und dann sofort: „Denken Sie nicht nach!“. Immer weiter verfließen im Verlauf des Stücks die Grenzen zwischen Publikum und Schauspielern, zwischen Bühne und Zuschauerraum. Die Darsteller klettern über die Sitzreihen ins Publikum, betreten die Bühne vom Zuschauerraum und sprechen das Publikum immer wieder direkt an.

„Das Stück nötigt die Theatermacher dazu, über sich selbst nachzudenken. Und über die Gesellschaft, in der und für die sie arbeiten. Dasselbe gilt auch für das Publikum. Das Stück ist eine deutliche Aufforderung, ein Appell, über die Funktion des Theaters nachzudenken, darüber, was wir vom Theater erwarten können. Und darüber, welche Funktion wir selbst haben, welche Möglichkeiten wir haben, unsere Existenz und unser Leben zu beeinflussen“, sagte Regisseur Dušan Pařízek im Tschechischen Fernsehen.

Martin Pechlát,  Martin Finger,  Stanislav Majer a Gabriela Míčová im Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ von Peter Handke  (Foto: ČTK)
Die „Publikumsbeschimpfung“ ist Ausdruck von Handkes Ablehnung des klassischen, aristotelischen Theaters und der in den 1960ern vorherrschenden Theaterstoffe. In dieser fundamentalen Kritik gegenüber dem Theater selbst greift der Autor mit der „Publikumsbeschimpfung“ zu einem radikalen Mittel: Im Finale des Einakters treten die Schauspieler zunächst an den Bühnenrand und dann ins Publikum und lassen eine Tirade von Schimpfworten los.

Sind es in Handkes Original vor allem Ausdrücke, die auf die Nazi-Vergangenheit vieler Deutscher und Österreicher Bezug nehmen – etwa „ihr Kriegstreiber“, „ihr Untermenschen“-, hat Regisseur Pařízek in der tschechischen Fassung des Jahres 2010 die Ausdrücke modifiziert: „Ihr rote Genossen“, „ihr Volksmilizionäre“, „ihr Stasi-Spitzel“, aber auch „ihr Samtene Revolutionisten“ oder sogar „ihr Schweinegrippe-Träger“ prasselt da minutenlang auf das Publikum ein, bis alles im von den Schauspielern begonnenen und vom irritierten Publikum zaghaft erwiderten Applaus untergeht. Im Epilog treten die Darsteller mit schwerem Werkzeug bewaffnet noch einmal auf die Bühne und demolieren mit roher Gewalt die spärliche Kulisse. In der Zwischenzeit werden die Zuschauer auf die Bühne gebeten: Das Theaterspektakel endet friedlich, mit Bier und Würstchen für alle.


Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ bildet den Auftakt zur diesjährigen Saison im Prager Theater „Komödie“, die ganz im Zeichen des österreichischen Theaters steht. Die nächsten Aufführungen der „Publikumsbeschimpfung“ („Spílání publiku“) finden am 16. und 23. September sowie am 4. und 24. Oktober statt, jeweils um 20 Uhr im Divadlo Komedie, Jungmannova 1, Prag 1. Karten gibt es online über Ticketprotal: www.ticketportal.cz

Die nächste Premiere im Rahmen der „Österreichischen Saison“ ist Ödön von Horváths „Glaube, Liebe, Hoffnung“ am 15. Oktober.

Außerdem noch in dieser Saison zu sehen sind im Theater „Komödie“ David Jařabs Interpretation von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“, „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, Joseph Roths „Die Legende vom Heiligen Trinker“ und „Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten. Ein Schauspiel“ von Peter Handke.