Die Affären von Premier Stanislav Gross und ihre Folgen für die tschechische Politik
Die jüngst publik gewordene Affäre von Tschechiens Premierminister Stanislav Gross und deren möglichen politischen Konsequenzen sind das Thema unseres heutigen Schauplatzes, den Robert Schuster gestaltet hat.
Fassen wir kurz zusammen: In den vergangenen Jahren hatte Gross, wenn Journalisten nach seiner Wohnung fragten, stets behauptet, er habe sie teils mit Hilfe eines Bankkredits, teils aus Ersparnissen und seinen Einkünften als Abgeordneter finanziert. Diese Version hielt solange, bis eine tschechische Tageszeitung Anfang dieses Jahres nachrechnete, dass Gross als Abgeordneter gar nicht so viel verdienen konnte. Der Stein kam ins Rollen, und bald wurden immer neue Details bekannt. So stellte sich heraus, dass ein Onkel dem damaligen sozialdemokratischen Fraktionschef Gross half und ihm den fehlenden Betrag von 900 000 Kronen (umgerechnet 30 000 Euro) zur Verfügung stellte. Doch auch dabei ist es letzten Endes nicht geblieben, denn kurz danach meldete sich ein ehemaliger Journalist bei den tschechischen Medien und verkündete, er habe Gross´ Onkel die Summe geliehen - wissend, dass das Geld für den damals aufstrebenden Star von Tschechiens Sozialdemokraten bestimmt und daher gut angelegt war. Den Wechsel, der die ganze Transaktion belegte, verkaufte der Journalist jedoch mittlerweile an eine dritte Person, die das Dokument verbrannte. Man kann also gespannt sein, welche Entwicklung die Causa in den kommenden Tagen nehmen wird.
Wir wollen uns jedoch in dieser Sendung nicht mit dem Fall als solchen befassen, sondern wollen versuchen auf dessen politische Dimension einzugehen.
Die Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Wohnungskauf sind bei weitem nicht die einzigen Fragezeichen, die im Zusammenhang mit der Person von Stanislav Gross in den letzten Wochen aufgetaucht sind. Schon zuvor geriet der Regierungschef unter Beschuss der Opposition, als von den Medien Informationen veröffentlicht wurden, wonach Gross in seiner früheren Funktion als Innenminister spezielle Teams von Polizeiermittlern errichten ließ, die die Aufgabe hatten, Fällen von Wirtschaftskriminalität nachzugehen und dabei - entgegen allen Vorschriften - nur Gross persönlich unterstellt waren.
Auf Grund dieser Fälle ist also sicherlich die Frage angebracht, welche Auswirkungen die jüngsten Affären von Premier Gross auf seine Position haben könnten. Werden sie ihn schwächen, oder im Gegenteil stärken? Denn schließlich könnten die Attacken von außen die tief zerstrittene tschechische sozialdemokratische Partei zumindest vorübergehend einen. Darüber unterhielten wir uns mit dem Politikwissenschaftler Ladislav Cabada von der Westböhmischen Universität in Pilsen/Plzen:
"Ein Teil der Frage ist die Situation der Regierung, oder die von Stanislav Gross als Regierungschef. Da muss sich sagen, dass die Koalition von Beginn an sehr schwach war, mit der Mehrheit von einer Stimme im Abgeordnetenhaus. Diese Situation hat sich mit dieser so genannten Affäre nicht geändert. Eigentlich haben wir diese Woche gesehen, dass die beiden kleinen politischen Parteien, die an der Regierungskoalition beteiligt sind, Stanislav Gross unterstützt haben. Eigentlich haben diese Parteien mehrmals nichts gesagt, aber das reicht als Unterstützung. Eine andere Sache ist die Position von Gross in der sozialdemokratischen Partei. Denn man muss immer daran denken, dass die Partei im kommenden Monat ihren Parteitag abhalten wird. Im Moment hat der Herausforderer von Gross, also Sozialminister Zdenek Skromach nichts getan und hat nicht versucht diese Affäre zu nutzen. Aber man wird in den nächsten Wochen sehen, ob es vielleicht eine Gruppierung in der sozialdemokratischen Partei gibt, die versuchen könnte, Stanislav Gross zu denunzieren und entweder die Position für Skromach vorzubereiten, oder auch für eine andere Persönlichkeit, die vor den nächsten Wahlen vielleicht als Parteichef der Sozialdemokraten agieren könnte."Herr Cabada hat bereits angedeutet, dass für Stanislav Gross diese Negativschlagzeilen, mit denen er nun fast täglich konfrontiert wird, zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt gekommen sind. Schließlich will er sich in einigen Wochen zum Vorsitzenden der regierenden Sozialdemokraten wählen lassen und möchte natürlich einen guten Einstand als Parteichef haben. Könnten diese Affären, vor allem die jüngste, wo es um die Wohnung des Premiers geht, auch auf die Partei abfärben und irgendwelche Folgen für das Ansehen der Sozialdemokraten bei den Wählerinnen und Wählern haben? Dazu meint der Politologe Cabada:
"Ja. In Tschechien haben wir gute Erinnerungen an die Jahre 1997 und 1998 - besonders an die Affären der beiden bürgerlichen Parteien, also der Bürgerdemokraten und der Bürgerlichen Allianz, wobei die Konsequenzen für die beiden Parteien unterschiedlich waren. Die Bürgerdemokraten haben trotz ihrer Affären bei den darauf folgenden Wahlen dreißig Prozent erreichen können, aber die Allianz ist bei den Wahlen untergegangen. Da sind also beide Möglichkeiten im Spiel. Wichtig ist jetzt abzuwarten, was die beiden kleineren Regierungsparteien unternehmen werden - also die Christdemokraten und die Freiheitsunion. Denn damals, vor 7 Jahren, hatten die beiden kleineren Partner der Bürgerdemokraten die Regierung von Vaclav Klaus zu Fall gebracht. Das ist im Moment nicht der Fall. Aber man kann davon ausgehen, dass vor allem die Christdemokraten etwas unternehmen müssen, falls die Affäre nicht bald zu Ende geht. Sie möchten ja auch in der nächsten Regierung vertreten sein, die höchstwahrscheinlich von den Bürgerdemokraten angeführt werden wird. Da müsste die Partei dann also rechzeitig zu Erkennen geben, dass sie sich von Gross distanziert."In der abgelaufenen Woche musste sich Gross insgesamt zweimal vor den Abgeordneten im Parlament rechtfertigen. Die rechtsliberale oppositionelle Demokratische Bürgerpartei wollte Gross zunächst am Dienstag per Parlamentsbeschluss zwingen, alle Fakten im Zusammenhang mit seiner Wohnung auf den Tisch zu legen. Das Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der drei Regierungsparteien. So mussten sich die Bürgerdemokraten am Donnerstag damit begnügen den Regierungschef während der regelmäßigen parlamentarischen Fragestunde eine Stunde lang zur Rede zu stellen.
Es ist relativ verständlich, dass die Opposition Gross kritisiert und ihn auch persönlich angreift. Dennoch ist auch der Versuch der Bürgerdemokraten offenkundig, eine Angelegenheit, die mehr oder weniger privater Natur ist, zu einem wichtigen staatspolitischen Problem hoch zu stilisieren. Besteht wirklich die Gefahr, dass der tschechische Regierungschef in seinem öffentlichen Wirken behindert werden könnte? Hören Sie dazu die Meinung des Pilsner Politikwissenschaftlers Ladislav Cabada:
"Eigentlich haben wir in Tschechien immer noch nicht die politische Kultur, die wir zum Beispiel in Westeuropa beobachten können. Da muss ich wiederholen, dass die Bürgerdemokraten gute Erinnerungen an ihre eigene Affäre haben und nun versuchen, dieselben Konsequenzen auch für den politischen Gegner einzufordern. Mit anderen Worten: Sie wollen den Fall der Regierung einleiten. Natürlich könnte man die Affäre mit der Wohnung des Regierungschefs als eine private Angelegenheit bezeichnen. Aber da gibt es im Moment wirklich eine Reihe von Ungereimtheiten, von offenen Fragen. Etwa, ob Gross in der Vergangenheit nicht mit bislang unbekannten Leuten in Verbindung war, die versuchen könnten, den Regierungschef zu korrumpieren, und die vielleicht Einfluss auf seine Entscheidungen haben könnten. Da würde ich als Politikwissenschaftler die Sache nicht ganz als private Angelegenheit betrachten. Denn Gross ist in der öffentlichen Sphäre tätig, und er repräsentiert den Staat im In- und Ausland, sowie in der Europäischen Union. Da würde ich also sagen, dass das keine private Sache ist."Ein bekannter tschechischer Zeitgeschichtler hat einmal gemeint, dass Affären zur Politik gehören, wie das sprichwörtliche Salz zur Suppe. In Tschechien hat es zwar in der Nach-Wende-Zeit einige davon gegeben, doch bislang war noch nie ein hoher Spitzenvertreter des Landes, wie jetzt Regierungschef Stanislav Gross, derart unter Druck von politischen Gegnern und Medien geraten. Lassen sich in diesem Zusammenhang irgendwelche Vergleiche zu anderen postkommunistischen Ländern anstellen? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler Ladislav Cabada von der Westböhmischen Universität in Pilsen/Plzen, der einen nicht uninteressanten Vergleich zwischen Tschechien und Slowenien anstellt:
"Ja, wir können diese Affären in allen so genannten postkommunistischen Ländern beobachten. Aber in Tschechien scheint es mir es so, dass viele von diesen Affären nicht geklärt wurden. In Slowenien war das zum Beispiel anders und die dortigen Affären hatten Konsequenzen. Ein gutes Beispiel liefert der frühere Verteidigungsminister Janez Jansa. Der wurde zwar im vergangenen Jahr Regierungschef des Landes, aber es dauerte elf Jahre, bis er in die oberste Politiketage zurückgekehrt ist. In Tschechien aber ist niemand von den ehemaligen Politikern, die mit der Privatisierung verbunden waren, bestraft worden."