Memoiren zweier Roma-Frauen
Die Lebensgeschichten von zwei Frauen werden in einem neuen Buch beschrieben, das das Museum für Roma-Kultur mit Sitz in Brno/Brünn in diesem Jahr herausgegeben hat. "Memoiren zweier Roma-Frauen" heißt der Band. Über ihn und seine Autorinnen erfahren Sie mehr Sie im heutigen Kultursalon. Am Mikrophon sind Markéta Kachlíková und Silja Schultheis.
"Es ist ein Doppelbuch und heißt 'Memoiren zweier Roma-Frauen'. Das erste Buch heißt 'Karolina - Ein Weg durch das Leben im Zigeunerwagen'. Es ist eine biographische Erinnerung, die von Karolína Kozáková geschrieben wurde. Ihr ursprünglicher Name Ruzicková deutet darauf hin, dass sie zu den böhmischen Roma gehört. Das ist eine der beiden Gruppen, die bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg bei uns lebten und bereits damals in hohem Maß in die Mehrheitsgesellschaft integriert waren. Die böhmischen Roma waren Nomaden, sie zogen noch zu Beginn des 2. Weltkriegs in ihren Wagen durch die Gegend."
"Der Wagen, mit dem wir fuhren, war schön und vor allem leicht. Er war etwa 2,20 m breit und 3,5 m lang. Hinten war ein großes Bett, an der Seite ein Schrank, vorne in der linken Ecke eine Kredenz und eine Bank, rechts ein Ofen - ein weißer Emailofen mit Rosen. Rund um die Platte hatte er einen etwa fünf Zentimeter breiten Metallrand, den meine Mutter jeden Tag putzte, damit er blitzt. ... Weiter gab es dort einen kleineren Tisch, der nach dem Ausziehen einer Platte zum Abwaschen von Geschirr diente. ... Der Wagen hatte eine Besonderheit - vorne unter dem Dach waren über die ganze Länge des Wagens Sitze aus rotem Leder, etwa 70 cm breit; im Sommer konnten dort auch zwei Personen schlafen. Hinten im Wagen war eine ziemlich große Leiter. Mein Vater hatte dort Heu für Pferde und eine Box für die Ziege."So beschreibt Frau Kozáková in ihrem Buch ihr Zuhause. Die Familie zog mit ihrem Wagen bis 1939 durch die Gegend, als die Nazis dem ein jähes Ende setzten. Dann ließ sich die Familie in der Nähe von Pribram in Mittelböhmen nieder:
"Mein Vater war ein Schleifer. Wir sind immer etwa eine Woche an einem Ort geblieben, bis er dort alles geschliffen hatte. Und die Mutter war eine Wahrsagerin. Sie holte in den Häusern Messer und Scheren zum Schleifen ab und dabei sagte sie aus der Hand wahr. Damit haben sie Geld verdient und konnten das erste, später das zweite Haus kaufen, und noch später dann auch ein großes Haus in Prag. Sie haben sich ziemlich emporgearbeitet."Die zweite Erinnerung heißt 'Elina - die Holomek-Familiensaga'. Sie wurde von Emilie bzw. Elina Machálková, geborene Holomková geschrieben. Museumsdirektorin Jana Horváthová:
"Die Autorin gehört in die Gruppe der mährischen Roma, die ebenso eine historische Gruppe der Roma hierzulande darstellen. Die mährischen Roma ließen sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts und sehr intensiv seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Mähren nieder. So war es bei der Familie Holomek, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Mährischen Slowakei, bei Svatoborice lebte. Frau Machálková wurde also in einer sesshaften Roma-Familie direkt im Dorf Svatoborice geboren."
Worüber ihr Buch erzählt, sagte uns Elina Machálková selbst:
"Über unsere Familie, man kann sagen von der Geburt meiner Großeltern an. Ich schreibe über meine Familie, weil ich sie für bedeutend halte. Eigentlich wollte ursprünglich mein Bruder diese Geschichte niederschreiben, der jedoch leider vorzeitig verstorben ist. Und so habe ich versucht, sie zu schreiben, und ich hoffe, dass der Leser erkennt, dass ich sie von Herzen und so geschrieben habe, wie es sich wirklich abspielte."
Eigentlich wollte Elina Machálková ihr Buch "Schmerzhafte Erinnerungen" nennen, ihre Enkelin hat sie jedoch zu dem Titel "Holomek-Familiensaga" überredet. Schmerzhaft sind besonders Erinnerungen an die Zeit der Okkupation:
"Wir waren stark verfolgt. Wir haben keine Lebensmittelscheine bekommen. Wir durften uns nicht weiter als 20 Kilometer von unserer Gemeinde entfernen. Ich wurde zur Zwangsarbeit in einer Fabrik eingesetzt, noch bevor ich 14 Jahre alt wurde. Wir haben es aber mit Unterstützung des Herrn Bürgermeisters und der ganzen Gemeinde überlebt. Sie haben sich sehr um uns gekümmert."
Ein besonders schwerer Augenblick kam für Elina ein halbes Jahr vor Kriegsende:
"Im August 1944, als ich 18 Jahre alt war, habe ich eine Benachrichtigung der Brünner Gestapo erhalten: Ich sollte mich darauf vorbereiten, dass ich zur Sterilisierung vorgeladen werde. Es stand dort wörtlich, damit nicht mehr Zigeuner geboren würden, weil sie eine untergeordnete, sich vor der Arbeit scheuende Rasse seien. Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühlte? Ich ging damals seit vier Jahren zur Arbeit. Ich habe geweint und mein künftiger Mann, mit dem ich damals bereits zusammen war, weinte mit mir. Am nächsten Tag kam ich zur Arbeit und konnte nicht arbeiten. Der Direktor bestellte mich zu sich und sagte: Mädchen, jetzt, wo die Deutschen von der russischen Armee bereits zurückgedrängt werden, jetzt lässt du dich sterilisieren? Versteck dich, ich werde dich decken. An jenem Tag kam meine Tante zu uns und brachte mich in der Nacht nach Olomouc zu ihrer Mutter. Sie hat mich im Keller versteckt. Tief in der Nacht, wenn es dunkel war und alle schliefen, nahm sie mich kurz zu sich in die Wohnung, wo ich mich aufwärmen konnte. Ich habe dort eigentlich den Winter verbracht. Ich war dort sechs Monate. Einmal hat mich dort mein Mann besucht. So wurde ich vor der Sterilisierung gerettet und deswegen wollte ich viele Kinder haben und deswegen habe ich auch vier Kinder."Die beiden Autorinnen stammen aus unterschiedlichen Verhältnissen, trotzdem haben ihre Schicksale aber viele Berührungspunkte, betont Jana Horváthová, die Direktorin des Museums für Roma-Kultur:
"Sie sind beide Persönlichkeiten, Familienmütter und große Autoritäten in ihren Familien, sie haben eine sehr positive Grundeinstellung zum Leben. Das ist meiner Meinung nach auch einer der Gründe, warum sie beide so erfolgreich und glücklich sind. Auch die Motivation, ihre Erinnerungen aufzuschreiben, war bei den beiden Frauen die gleiche: sie wollten durch ihr eigenes Beispiel anderen Roma helfen, den Weg in die Mehrheitsgesellschaft zu finden, sie wollten ein Beispiel geben, wie es möglich ist."