"Manipulacní"

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Strassenbahn-, Bus- und Metrofahren kann man in Prag ausgiebig. Und das öffentliche Verkehrsnetz ist gut ausgebaut. Und alles in allem fährt man auch kostengünstig. Dass aber zum Beispiel das Busfahren nicht immer ein reines Vergnügen ist, davon handelt in unserem heutigen Feuilleton die folgende Glosse von Alexander Schneller.

Foto: Archiv Radio Prag
Klar, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, der Prager Öffentliche Verkehr sucht in Europa seinesgleichen. Man kommt mit Bus, Strassenbahn oder Metro zu jeder Tages- und Nachtzeit nach Hause. Und meistens bequem und auch pünktlich. Aber es gibt da schon eine, sagen wir mal, Besonderheit. An den End- rsp. Anfangshaltestellen von Bussen nämlich. Sie müssen sich Folgendes vorstellen: Jetzt, da uns der Winter wieder einmal fest im Griff hat, es draussen eiskalt ist und oft heftig schneit und der Wind pfeift, komme ich zur Bushaltestelle Starom"stská. Tatsächlich, es stehen zwei Busse an der Haltestelle. Also werde ich gleich in den wohlig geheizten Bus steigen und meine schon arg unterkühlten Glieder wärmen können. Aber natürlich ist das bloss ein Wunschtraum, denn ich weiss ja, dass die beiden Busse fest verschlossen sind, weil sie an der "Manipulacní" (also an der sog. Manipulationshaltestelle) und nicht an der "Nástupní" (der sog. Einsteighaltestelle) stehen. Die beiden Haltestellen liegen wohlgemerkt etwa 5 Meter auseinander. "Manipulacní", da steckt zu Deutsch das Verb manipulieren oder das Substantiv Manipulation drin, was so viel heisst wie: das Verhalten anderer gezielt beeinflussen und steuern. Da wird man den Gedanken nicht los, dass diese Erfindung der Manipulationshaltestelle wohl noch ein segensreiches Überbleibsel vergangener totalitärer Zeiten ist, in denen man die Bürger, zu ihrem eigenen Besten natürlich, noch oft und gerne manipuliert hat. Und segensreich ist sie jedenfalls für den Busfahrer. Denn während wir als potentielle Mitfahrer uns draussen im Schneegestöber den Allerwertesten abfrieren, uns auf und ab bewegen oder gar Turnübungen vollführen müssen, um nicht zu einem Eiszapfen zu erstarren, sitzt der Busfahrer hemdsärmlig im warmen Bus und manipuliert, d.h. er liest in aller Ruhe seine Zeitung oder macht gar ein Nickerchen. Ab und zu kommen auch vor Kälte schlotternde Touristen, die natürlich völlig unbedarft sind, was die Feinheiten des Prager Öffentlichen Verkehrs angeht, und wollen einsteigen. Da die Türen aber fest verschlossen sind, klopfen sie an die Scheiben. Falls der Busfahrer überhaupt reagiert, wirft er den Ungeduldigen einen vernichtenden Blick zu, schüttelt leicht den Kopf ob solcher touristischer Zumutung und vertieft sich weiter in seine Lektüre. Ist er besonders gnädig gestimmt, weist er mit einer lässigen Handbewegung nach vorne, d.h. zur "Nástupní", zur richtigen Haltestelle eben. Wir Prager aber führen inzwischen unsere Turnübungen fort, denn schon beginnen die ersten Zehen abzufrieren. Dann, die Erlösung naht. Der Busfahrer faltet die Zeitung sorgfältig zusammen, guckt auf die Uhr, rückt sein Hemd zurecht, fährt sich mit dem Kamm durchs Haar. Jetzt gehen im und am Bus die Lichter an, und tatsächlich: Langsam, aber sicher rollt der Bus die 5 Meter von der "Manipulacní" zur "Nástupní". Jetzt gehen die Türen auf und ich stürze mich rücksichtslos in die Wärme, im Bewusstein, dem Tod durch Erfrieren noch einmal entkommen zu sein.