"Seitdem glaube ich ans Schicksal" - Ausstellung in der Robert-Guttmann-Galerie
Unter die unzähligen Veranstaltungen und Initiativen zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs reiht sich auch eine Ausstellung ein, die vor kurzem vom Prager Jüdischen Museum eröffnet wurde. Die Ausstellung macht zum ersten Mal auf das Schicksal der Juden aufmerksam, die aus dem Protektorat Böhmen und Mähren in die baltischen Länder verschleppt wurden. Martina Schneibergova führt Sie im folgenden Spaziergang durch Prag in die Robert-Guttmann-Galerie.
Das Schicksal der in diese Länder deportierten böhmischen Juden wurde bislang nicht dokumentiert. Den Mitarbeitern des Prager Jüdischen Museums gelang es, einzigartige Dokumente zusammenzutragen. Darunter sind z. B. Protokolle von Gerichtsprozessen, die Aussagen von Nazis sowie von ehemaligen KZ-Häftlingen enthalten und die in der Zweigstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg bzw. im Archiv in Riga aufbewahrt werden. Nach Dokumenten wurde auch in vielen Privatsammlungen gesucht. Der Anstoß zu dieser Ausstellung kam vom Historiker und Filmemacher Lukás Pribyl. Gespräche mit Augenzeugen, die er aufgenommen hat, sollen 2006 in seinem vierteiligen Dokumentarfilm präsentiert werden. Ein Teil der Materialien, die er bei seinen Forschungen gesammelt hat, wird in der jetzigen Ausstellung gezeigt.
Lettlands Hauptstadt Riga war das Ziel der ersten zwei Transporte, die am 9. und 15. Januar 1942 unter den Bezeichnungen "O" und "P" Theresienstadt verließen. Die Häftlinge des ersten Transports aus Böhmen ersetzten gemeinsam mit deutschen Juden die ursprünglichen Bewohner des Ghettos von Riga. Diese wurden bis auf Ausnahmen bei zwei Massakern in den nicht weit von der Stadt entfernten Wäldern Rumbula und Bikernieki erschossen. Dutzende von jungen Männern wurden zur Arbeit ins Lager Salaspils geschickt. Viele von ihnen starben an der Kälte und den im Lager herrschenden unmenschlichen Bedingungen. Aber auch im Ghetto war das Leben nicht viel einfacher. Die Häftlinge einschließlich Frauen wurden zu den schwersten Arbeiten eingesetzt. Die Lebensmittelrationen waren unzureichend. Nach der Auflösung des Ghettos im Sommer 1943 wurden die Juden, die überlebten, in das neu eingerichtete Konzentrationslager Kaiserwald transportiert. Von dort aus wurde die Mehrheit von ihnen über das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig zur weiteren Sklavenarbeit nach Deutschland geschickt, wo sie die alliierten Truppen befreiten. Ein Teil der KZ-Häftlinge musste in der Umgebung von Stutthof arbeiten. Dort wurden sie von den sowjetischen Truppen im Frühjahr 1945 während der sog. "Todesmärsche" aufgespürt und befreit.
Das Baltikum war auch das Ziel der Transporte mit den Bezeichnungen "Bb" und "Be", die am 20. August und am 1. September 1942 Theresienstadt verließen. Aus dem gesamten erstgenannten Transport hat sich nach dem Krieg niemand gemeldet. Höchstwahrscheinlich wurden alle Tausend Häftlinge damals gleich nach ihrer Anreise ermordet. Der zweite Transport, dessen Zielstation ursprünglich auch Riga sein sollte, wurde weiter nach Estland geschickt, da das Ghetto in Riga angeblich überfüllt war. Auf dem kleinen estnischen Bahnhof Raasik wurde die sog. Selektion durchgeführt, und die Mehrheit der Menschen musste sich in Busse setzen. Auf der Sandebene, genannt Kalevi Liiva, wurden alle Männer, Frauen und Kinder gezwungen, sich auszuziehen und alle Wertsachen abzugeben. Danach wurden sie vor den vorher ausgegrabenen Massengräbern erschossen. Den Krieg überlebte nur eine kleine Gruppe von Frauen, die über das KZ Jägala Ende 1942 und Anfang 1943 nach Tallinn kam. Dort wurden die Frauen z. B. zur Beseitigung von Trümmern und zu Bauarbeiten eingesetzt. Es folgten Aufenthalte in weiteren Konzentrationslagern in Estland, vor allem in Ereda und in Goldfilds. Nach der Evakuierung dieser Lager im Sommer 1944 wurden die Frauen aus Theresienstadt ins KZ Stutthof geschickt, wo sie mit den überlebenden Häftlingen aus Lettland zusammentrafen. Aber dort war ihr Weg noch nicht geendet. Eine große Gruppe von Frauen wurde zur Arbeit in eine Waffenfabrik ins Lager Neuengamme in Ochsenzoll geschickt. Von dort aus wurden sie nach Bergen-Belsen deportiert. Einige von ihnen wurden wieder zurück nach Ochsenzoll berufen. Von dort aus wurden sie noch vor Kriegsende mit einem Evakuierungstransport des Roten Kreuzes über Dänemark nach Schweden gebracht. Die Frauen, denen es gelang, die erschütternden Bedingungen in Bergen-Belsen zu überleben, wurden am 15. April 1945 durch die britische Armee befreit. In der Ausstellung werden zahlreiche bislang wenig bekannte Informationen über Ghettos und Lager auf dem Gebiet von Estland und Lettland präsentiert. Die Kuratoren der Ausstellung zogen authentische Aussagen der Beschreibung historischer Ereignisse vor. Der Besucher kann sich mit Eindrücken und mit individuellen Erfahrungen der Menschen bekannt machen, die diese extremen Situationen erlebten und überlebten. Ausschnitte aus den Aussagen der Zeitzeugen stellen den Schwerpunkt der ganzen Ausstellung dar. Oft betreffen die Erinnerungen ganz übliche Sachen. Der Besucher liest die zahlreichen Zitate von Augenzeugen an den Wänden des Ausstellungssaals und kann sich anhand dessen allmählich eine Vorstellung über das Leben in den Lagern machen. Die Ausstellung, die den Untertitel trägt "Transporte der Protektoratjuden ins Baltikum im Jahre 1942" ist in der Robert-Guttmann-Galerie bis zum 10. Juli geöffnet.