Zweiter Weltkrieg - 60 Jahre danach: Vergangenheit nie vergessen, aber daraus Verantwortung für die Zukunft tragen!

Eingangstor in KZ Theresienstadt
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Anstelle des sonst auf diesem Sendeplatz anzutreffenden Wirtschaftsmagazins haben wir den abschließenden Programmteil der heutigen Sendung der Aktualität dieser Tage angepasst und widmen die nachfolgenden Minuten ein weiteres Mal der Erinnerung an die Beendigung des Zweiten Weltkriegs vor 60 Jahren und der nachfolgenden Auseinandersetzung mit dieser dunklen Epoche der Menschheitsgeschichte. Dazu begrüßt Sie nun Lothar Martin.

Eingangstor in KZ Theresienstadt
Der Zweite Weltkrieg, ausgelöst von den ideologischen Fanatikern des deutschen Nationalsozialismus, hat viel Not und Leid nach sich gezogen auf unserem Planeten. Insbesondere aber in Europa, wo es bis heute noch nicht vollständig gelungen ist, alle in den Krieg involvierten Völker und Volksgruppen miteinander auszusöhnen sowie den Hass bzw. die daraus resultierenden Vorbehalte auf ein Minimum abzubauen. Dennoch sind gerade Zeitzeugen der schrecklichen Vergangenheit sehr bemüht und interessiert, die schon wesentlich geringer gewordene Kluft zwischen den einstigen Kriegsgegnern ganz zu beseitigen, um alle Kraft für das gemeinsame Europa freisetzen zu können. Zu diesen Zeitzeugen gehört die Überlebende des KZ Theresienstadt, Michaela Vidlakova, die der Jüdischen Gemeinde Prag angehört und die sich vor allem bei ihren zahllosen Begegnungen mit jungen Menschen immer wieder für die Aussöhnung unter den Nationen einsetzt. Am Rande eines internationalen Kolloquiums in Dresden hatte ich Gelegenheit, mit Ihr zu sprechen:

Was möchten Sie als Botschaft weitergeben, wenn man über den Zweiten Weltkrieg spricht?

Sie haben es angesprochen: Im Sinne der Versöhnung muss die Geschichte aufgearbeitet werden. Was glauben Sie, wo stehen wir da im deutsch-tschechischen Kontext?

"Ja, das ist eben gerade das, worüber Präsident Herzog gesprochen hat. Das ist nämlich in der Angelegenheit der Sudetendeutschen der Fall, die eine Wiedergutmachung erreichen wollten. Was waren sie? Waren sie die Verräter der Tschechoslowakischen Republik? Oder waren sie Volksdeutsche? Das war so eine zweifelhafte Stellung, die sie da hatten: Von Volkes wegen her waren sie Deutsche, von der Staatsbürgerschaft her wiederum Tschechoslowaken. Also auch hier stellt sich die Frage, ob der erste Stein von ihnen geworfen wurde oder nicht. Aber die Folgen waren dann natürlich so, wie es in der Bibel steht: Auge um Auge, Zahn für Zahn."

Aber ärgert das nicht jemanden wie Sie, dass aus der Geschichte immer solche Polemiken gemacht werden, die dann tagelang die Zeitungen füllen und die Medien beherrschen, dass solche Dinge immer kontrovers diskutiert werden, als vielmehr zur Tagesordnung überzugehen und an den Problemen dieser Welt zu arbeiten...

"Ich glaube eben, das ist die Schuld der Politiker und der Massenmedien, und das ist auch in starkem Maße der Hintergrund, warum die Rechtsextremisten jetzt wieder Boden unter den Füßen finden. Aber ich bin sehr oft in deutschen Schulen unter den Kindern, und da fühle ich etwas völlig anderes als eben bei den Tagungen der verschiedenen politischen Gruppen."

Was fühlen Sie da in den deutschen Schulen? Was begegnet Ihnen da?

"Also, das was mich am meisten betroffen gemacht hat, sind zwei Fragen bzw. Tatsachen. Die erste Frage kommt beinahe immer: Empfinden Sie Hass gegenüber dem deutschen Volk? Ich sage dann immer: Ihr seid ja gar nicht verantwortlich dafür, was vor 60 Jahren passierte. Und öfters ist mir geantwortet worden: Ja, wir sind nicht verantwortlich, aber wir schämen uns dafür. Ich betone dann immer: Schaut nicht so viel in die Vergangenheit, aber tragt die Verantwortung für die Zukunft. Das finde ich am wichtigsten."

Ein wesentlicher Punkt, mit dem man sich heute leider wieder auseinandersetzen muss, ist der in einigen Ländern immer wieder aufflammende Rechtsextremismus, den sich sehr oft unzufriedene junge Menschen zu eigen machen, die sich nicht selten von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen. Michaela Vidlakova sagte dazu:

"Ja, aber wirklich das Wichtigste ist, was ich versuche überall zu sagen: Das Gefährlichste ist nicht die schreiende Minderheit, sondern die schweigende Mehrheit. Und das Wichtigste, was ich finde, ist eben diese Zivilcourage und nicht die Gleichgültigkeit. Ich zitiere dann immer so ein kleines Gedicht, das die jüdische Dichterin Gerti Spieß geschrieben hat:

Was ist des Unschuldigen Schuld? Wo beginnt sie?

Sie beginnt da, wo er gelassen, mit hängenden Armen, Schulter zuckend

daneben steht, den Mantel zuknöpft, die Zigarette anzündet und spricht:

´Da kann man nichts machen´.

Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld!

Also man soll immer etwas machen."

Ein weiterer Zeitzeuge, der in diesen Tagen immer wieder auf die Vergangenheit angesprochen wird, weil er als ehemaliger KZ-Häftling und Zwangsarbeiter sehr viele triste und menschenunwürdige Tage durchlebt hat, ist der tschechische Jude Michal Salomonovic. Von ihm erfuhren die Teilnehmer des bereits erwähnten Kolloquiums u. a., dass er diese schreckliche Zeit nie vergessen werde, er aber statt Hass und Rache schon lange Jahre auf Begegnungen und Aussöhnung setzt. Dennoch fragte ich ihn, was man noch tun könne, dass es eine ungeteilte Aussöhnung auch bald zwischen Tschechen und Sudetendeutschen gibt, die ein eigenständiges Kapitel während der unsäglichen Zeit des so genannten Dritten Reichs geschrieben haben. Dabei sprach ich ihn auch auf die Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen an:

"Ich glaube, die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ist ein Vorbild, und wir sollten daraus lernen, wie man das gelöst hat. Obwohl es für die Tschechen sicher schlimmer war als für die Franzosen, denn die Besetzung der Sudetengebiete nach dem Münchner Abkommen war schlimmer als die Besetzung von Frankreich. Es war nicht dasselbe. Aber es gibt Leute, die wollen diskutieren mit den Sudetendeutschen, die eine Organisation haben. Es gibt aber auch Leute, mit denen rede ich nicht. Es ist so: Wir möchten nicht zulassen, dass sie eine Entschädigung global bekommen. Aber es wäre sicher richtig und man bemüht sich auch darum, dass diejenigen Sudetendeutschen, die gegen den Hitler gekämpft bzw. Widerstand geleistet haben, entweder ihre Vermögenswerte zurückerhalten oder eine Entschädigung bekommen. Und ich bin überzeugt davon, dass das tschechische Parlament solch ein Gesetz durchsetzen wird. Man bemüht sich darum. Aber es sind nur noch sehr wenige, die ein Anrecht darauf hätten. Ja, ich glaube, es gibt schon so gut wie keine überlebenden Opfer mehr."