Experten: Wird sich der Investitionsdruck über die Schönheit des historischen Stadkerns durchsetzen?
In einer der letzten Ausgaben des Spaziergangs haben wir uns mit dem Thema befasst, in wie weit die historische Seele von Prag verschwindet. Dabei haben wir versprochen, diese Debatte fortzusetzen. Im folgenden Spaziergang durch Prag kommen einige weitere Experten aus dem Bereich des Denkmalschutzes sowie einige Stadtvertreter zu Wort. Zur Debatte über die Zukunft des historischen Prag laden Sie Martina Schneibergova und Thomas Kirschner ein.
"Ich meine, dass die Seele der Stadt darin besteht, was alle ihre Bewohner in dieser Stadt erlebt haben. Ich will mich jedoch in keine metaphysischen Überlegungen vertiefen. Die Seele der Stadt verwandelt sich. Es kommt auf uns an, was für Menschen wir sind. Unsere Seele spiegelt sich in der Stadt wider."
Der Architekt Jakub Cigler stammt von der Prager Kleinseite, dem historischen Stadtteil mit vielen Barockpalästen und Kirchen, der sich unterhalb der Prager Burg befindet. Findet er diesen Stadtteil immer noch so schön wie einst?
"Es ist meiner Meinung nach schwierig, mit so vielen Touristen dort zu leben. Was die manchmal kritisierten Rekonstruktionen der dortigen historischen Objekte anbelangt, da weiß ich, dass man Beispiele von sowohl schlechten, als auch von gelungen Rekonstruktionen finden kann. Die Kleinseite entwickelt sich auf jeden Fall, aber in dem - wenn man so sagen will - ´Parterre´ hat sie an Zauber verloren."
Die von den Experten nicht gerade hoch geschätzten Verwandlungen der historischen Stadtteile hängen oft damit zusammen, dass es hier an den ursprünglichen Bewohnern mangelt. Dies gilt nach Meinung des Chefkonservators des Tschechischen Denkmalschutzinstituts Josef Stulc zweifelsohne auch für die Kleinseite:"Die demographische Verwandlung der Kleinseite war sehr rasant. Ich befürchte, dass die neuen Bewohner und Hausbesitzer - die ´nouveau riche´ - keine Beziehung zu der Stadt haben. Ich erlaube mir auch daran zu zweifeln, ob die tschechischen Parlamentarier die Tatsache genug hochschätzen, dass sie ihren Sitz an einem der schönsten Orte Europas haben. Denn das Parlament hat sich auf der Kleinseite in herrlichen Räumlichkeiten ausgebreitet und viele wertvolle Objekte so zu sagen verschlungen. Ich befürchte, dass die Beziehung der neuen Bewohner zu ihrem Wohnort einer eher kommerziellen Art ist. Aus der Tatsache, dass sie sich in einem historischen Stadtteil angekauft haben, wollen sie Geld herausschlagen."Der Architekt Milos Solar will die Seele der Stadt nicht nur auf den historischen Stadtkern reduzieren:
"Beispielsweise Zizkov, Karlín oder andere Stadtteile sind für Prag genauso wichtig wie der Stadtkern. In Prag verändert sich alles. Ich meine, dass die Vielfalt der Architektur bedeutend ist. Diese Vielfalt bietet die Möglichkeit, sich zu entscheiden, wohin ich spazieren gehen möchte - entweder auf die Kleinseite oder beispielsweise in die ehemalige Arbeiterkolonie Budanka im fünften Stadtbezirk. Dabei kann ich mich davon überzeugen, wie sich die Stadt um ihre Denkmalschutzzone kümmert. Wenn die Stadt umgebaut wird und so zu sagen zu einem einzigen Standard umgewandelt wird, verliert man die Möglichkeit der Wahl."Der stellvertretende Oberbürgermeister von Prag, Jan Bürgermeister, war bemüht, die von Kunsthistorikern kritisierten Bauvorhaben zu verteidigen - wie z. B. die unweit des Repräsentationshauses auf dem Platz der Republik geplanten Garagen oder die dort entstehenden Handelsgebäude.
"Zum so genannten ´Goldenen Kreuz´ gehören auch die Geschäfte. Viele davon entstanden in den zwanziger, dreißiger Jahren, und die Mehrheit der Objekte steht heute unter Denkmalschutz. Den Widerstand gegen neue Projekte - so wie wir ihn heute erleben - gab es auch in der Vergangenheit. Eine solche Diskussion gehört zu Prag."Die Bauentwicklung wurde in Prag jedoch immer reguliert. Der Chefkonservator des Tschechischen Denkmalschutzinstituts Josef Stulc dazu:
"Es ist ein Unsinn, zu behaupten, dass diese Regulierung aufgehoben werden muss, wenn die Stadt schöner werden soll. Auch im Rahmen der Regulierung waren die genialen Architekten der Vergangenheit imstande, hervorragende Bauwerke zu bauen. Wie z. B. Kilian Ignaz Dientzenhofer mit seiner Nikolauskirche. Ich behaupte, dass der größte Fehler ist, dass es im historischen Stadtkern an einem Konzept und an einem Regulierungsplan mangelt."
In diesem Plan würde man die Spielregeln im Voraus festlegen. Die Stadt würde sich Stulc zufolge dann in ähnlichen Bedingungen entwickeln wie sie sich bereits seit hunderten, ja fast seit tausend Jahren entwickelt.
Nach Meinung von Architekt Jakub Cigler befand sich Prag fast fünfzig Jahre lang in einer Art Isolation, die Stadt war wie konserviert und vor der Entwicklung geschützt, die sich in den Städten im Ausland abspielte.
"Heute setzen wir uns mit Problemen auseinander, die damit zusammenhängen, dass wir etwas nachholen wollen. Wir sind nicht imstande, Prag so zu transformieren, dass die Stadt dem gegenwärtigen Leben dienen kann. Es ist unmöglich, die Stadt zu konservieren, sonst müssten wir sie alle verlassen. Die Stadt kann auch nicht etwa in Beton gegossen werden. Wir leben hier, Prag ändert sich, und man muss einen Konsens finden. Jedes Haus, jede Wohnung, in der wir leben, ändert sich. In der Art, in der wir damit umgehen, spiegelt sich unsere Intelligenz, unsere Bildung."
Nicht nur die Experten, sondern auch Bewohner von Prag finden vor allem den touristischen Kitsch und Ballast für sehr störend, durch den die am meisten frequentierten Gassen der Altstadt und der Kleinseite verunstaltet sind. Auch der Leiter der Denkmalschutzsektion des Prager Magistrats, Jan Knezinek, äußerte sich kritisch über das Antlitz einiger Gassen im Stadtzentrum:
"Die Werbung aller Art macht mir Sorgen. Für problematisch halte ich das gültige Denkmalschutzgesetz, das kaum in der Lage ist, die Denkmalzone zu schützen. Sorgen macht mir auch der Verkehr in Prag. In dieser Frage sind wir einer anderen Meinung als die Mitarbeiter des Denkmalschutzes. Ich bin dafür, dass dort, wo es möglich ist, Autos unter der Erde versteckt werden sollen. Die Autos sollten strenger aus dem Stadtzentrum beseitigt werden. Andererseits wohnen hier Menschen, es sind ihre Autos, und wenn es da keine Garagen gibt, kann man nichts machen. Dies sind nur einige Beispiele von Problemen, die mir Sorge machen."
Damit sind wir am Ende des heutigen Spaziergangs angelangt, es bleibt nur noch, die übliche Quizfrage zu stellen. Während der Sendung wurde mehrmals die Prager Kleinseite erwähnt. Falls Sie wissen, wie die Gasse heißt, die vom Kleinseitner Ring hinauf zur Prager Burg führt, können Sie es uns schreiben. Ihr Zuschriften richten Sie, bitte, an Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99 Prag 2.