Vier Tage nach Kriegsende: Schlacht bei Slivice
Die Schlacht bei Slivice war die letzte größere militärische Auseinandersetzung auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens und eine der letzten Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg überhaupt. Zu den Kämpfen kam es in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1945 in der Nähe der Siedlung Slivice / Sliwitz bei der Gemeinde Milín in Mittelböhmen.
„An diesen letzten Kampfhandlungen, die sich am 11. und am 12. Mai ereigneten, waren SS-Truppen beteiligt, die die Amerikaner nicht in die Gefangenschaft nehmen wollten. Sie wurden kommandiert von dem unrühmlich bekannt gewordenen Grafen Pückler-Burghauß, dem Oberbefehlshaber der SS-Truppen im Protektorat Böhmen und Mähren. Am Ort des Denkmals wurden sie durch die Rote Armee gemeinsam mit Partisanen sowie unter dem Druck der Amerikaner schließlich zur Kapitulation gezwungen.“
Rückzug der SS-Truppen
Mehrere Zehntausend deutsche Soldaten setzten sich in jenen Mai-Tagen aus Prag und vom Truppenübungsplatz bei Sedlčany in südwestlicher Richtung in Bewegung, um sich den amerikanischen Truppen zu ergeben.Nachdem die Kapitulation in Kraft getreten war, hätten sie eigentlich stehenbleiben müssen. Um nicht in sowjetische Gefangenschaft zu geraten, wollten sie sich zu den Amerikanern durchkämpfen. Diese waren aber nicht mehr bereit, Deutsche aufzunehmen. Die Wehrmachtseinheiten erreichten die vereinbarte Demarkationslinie und hielten dort an. Der Militärhistoriker erläutert die Umstände:
„Über die späteren Kampfhandlungen bei Sliwitz wurde indirekt bereits am Morgen des 7. Mai in Reims entschieden. Die deutsche Seite hatte dort die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. Sie handelte aber weiter zuungunsten Prags und argumentierte, die einzelnen Truppen müssten jeweils gesondert über die Kapitulation informiert werden. Damit wollten die Deutschen den Prozess verzögern. Die Beendigung des Kriegs sollte daher erst am 8. Mai um Mitternacht in Kraft treten. General Eisenhower als Oberbefehlshaber der Streitkräfte an der Westfront stimmte zu und gab den Deutschen einen Tag Zeit für die Reorganisation ihrer Truppen. Zugleich machte er unmissverständlich klar, dass er keine deutschen Einheiten mehr aufnehmen werde, die sich auch nach dem 8. Mai noch in amerikanische Gefangenschaft zurückziehen wollen. Er legte eine sogenannte Stoplinie fest, die eben durch die Gegend von Příbram verlief. Dort blieben auch die letzten Fanatiker aus den SS-Truppen stecken, die sich aus Prag zurückzogen. Und naturgemäß musste es dort zu einer Auseinandersetzung kommen.“
Entscheidung durch Rote Armee
Da die Sowjetarmee noch Tage von der Demarkationslinie entfernt war, versuchten zunächst die tschechischen Partisanen meist erfolglos, die Deutschen zu stoppen. Diese reagierten mit Repressalien gegen die örtliche Bevölkerung. Am 11. Mai 1945 versuchten Partisanengruppen die Deutschen zu besiegen, wurden jedoch zurückgetrieben. Am Nachmittag desselben Tages trafen Einheiten der Roten Armee ein und griffen die deutschen Stellungen an.„Die Rote Armee spielte eine positive Rolle in dem Kampf, sie rettete die Lage. Die Aktionen der tschechischen Partisanen, die auf eigene Faust die Deutschen zur Kapitulation zwingen wollten, hatten die zivile Bevölkerung bedroht. Manche Partisanen sind auch gefallen. Die Ankunft der Roten Armee bedeutete das definitive Ende der Kampfhandlungen und für den Terror in der Region. Erst da wurde den SS-Soldaten klar, dass sie keine Chance mehr haben. Schließlich waren die Deutschen gezwungen zu kapitulieren. Und Pückler-Burghauß flüchtete sich in diesem Moment in den Selbstmord.“
In der Nacht brach die Verteidigung der Deutschen zusammen. Am 12. Mai um 3 Uhr in der Früh und unmittelbar vor seinem Tod unterzeichnete Pückler-Burghauß in der Mühle von Rakovice seine Kapitulation. Diese wurde dann von amerikanischen und sowjetischen Vertretern gegengezeichnet. Etwa 6000 Soldaten wurden gefangengenommen und eine große Zahl von Fahrzeugen erbeutet.
Verbündeten-Koalition
Die amerikanischen und die sowjetischen Truppen hätten bei Sliwitz als Verbündete kooperiert, betont Jindřich Marek. Als Beispiel nennt der Militärhistoriker das Verhältnis der Amerikaner gegenüber der sogenannten Wlassow-Armee. Der sowjetische General Andrej Andrejewitsch Wlassow kämpfte nach seiner Gefangenschaft bis kurz vor Kriegsende mit seiner Armee auf der Seite Hitlers. Doch im Mai 1945 trugen seine Truppen entscheidend dazu bei, Prag von den deutschen Besatzern zu befreien. Bei Sliwitz versuchten die Einheiten der Wlassow-Armee wie die Deutschen, die Amerikaner zu erreichen:„In den vergangenen Monaten wurde hierzulande viel über die Rolle der Wlassow-Armee gesprochen. Es sollte klar gesagt werden, dass die Amerikaner Verbündete der Roten Armee waren. General Wlassow und die Wlassow-Soldaten waren für sie Deserteure von der Roten Armee. Die Amerikaner unternahmen auch nichts für die Rettung der meisten Wlassow-Soldaten, sie lieferten einige von ihnen selbst an die Sowjets aus. Amerikaner und Russen kooperierten also miteinander. Bereits am 30. April wurde eine Linie vereinbart, an der die amerikanischen und die sowjetischen Truppen aufeinandertreffen sollten. Und beide Seiten bemühten sich, diese Linie zu respektieren. Sie waren Mitglieder einer Verbündeten-Koalition.“
Die Schlacht bei Sliwitz gilt als die letzte große Kriegshandlung des Zweiten Weltkriegs auf tschechischem Gebiet. Ist die Zahl der Opfer bekannt?„Es war eine lokale Schlacht, die Zahl der Opfer liegt bei mehreren Dutzend. Es fielen 100 russische Soldaten und 38 Partisanen. Allerdings werden in der Fachliteratur auch andere Zahlen genannt. Diese Auseinandersetzung dauerte eigentlich nur eine Nacht lang.“
Die letzten Schüsse des Zweiten Weltkriegs
Früher wurden die Kamphandlungen bei Sliwitz hierzulande als die letzten Schüsse des Zweiten Weltkriegs in Europa gefeiert. Das stimmt aber nicht ganz, sagt der Historiker:
„Noch am 14. und 15. Mai kam es zur Schlacht bei Poljana an der slowenisch-österreichischen Grenze. Dort kämpften jugoslawische Partisanen und britische Panzersoldaten gegen SS-Einheiten und Streitkräfte des Unabhängigen Staates Kroatien. Der Krieg in Europa klang also noch einige Tage nach dem offiziellen Ende nach.“Seit 2001 organisieren tschechische Militärgeschichtsvereine, das Museum in Příbram und die Armee Nachstellungen der Schlacht bei Sliwitz. Der Historiker hält dies für einen guten Anlass, um sich mit Geschichte zu beschäftigen:
„Die Menschen erinnern sich heute hierzulande allgemein relativ wenig an historische Ereignisse. Ich finde es gut, wenn militärgeschichtliche Vereine anlässlich historischer Jubiläen gewisse Schlachten nachstellen. Der Sinn liegt darin, möglichst viele Neugierige anzulocken. Dadurch werden die Menschen auf attraktive Weise mit der Geschichte bekanntgemacht. Und bei ihnen wird das Interesse geweckt, sich vielleicht detaillierter mit der Historie zu beschäftigen.“