„Eine neue Landkarte persönlicher Kontakte“
Präsidenten-Berater Rudolf Jindrák über die tschechisch-deutschen Beziehungen nach der Regierungsbildung in Berlin.
„Deutschland begann in dem Moment, unruhig zu werden, auch weil – und das ist meine persönliche Erfahrung – die Deutschen nicht so zur Improvisation fähig sind wie wir Tschechen. Die Parteien gehen nach einem festen Drehbuch vor. Weil das aber nicht möglich war, stieg die Nervosität“, so der 54-Jährige am Dienstag im Europäischen Haus in Prag bei einer öffentlichen Diskussion über „Deutschland als Nachbar und Motor Europas“.
Koordinierte Außenpolitik
Mit der Großen Koalition lassen sich in Berlin wieder konkrete Ansprechpartner finden. Auf tschechischer Seite wiederum ist noch keine mehrheitsfähige Regierung zusammengekommen, immerhin gibt es aber den frischvereidigten Präsidenten Zeman als Konstante. Er startet demnächst seine Auslandsbesuche, die ihn als erstes in die Nachbarländer führen werden. Traditionell beginnt der Reigen in der Slowakei, wo Zeman in jedem Fall mit seinem dortigen Amtskollegen Andrej Kiska zusammentrifft. Als Zweites ist Polen dran. Anschließend geht es laut Jindrák wahrscheinlich nach Deutschland oder Österreich, doch das sei noch nicht genauer geplant, so der Berater. In jedem Fall stünde aber auch eine Fahrt nach Ungarn auf dem Programm, weil das Land ja Partner der Visegrád-Gruppe sei.In diesem Zusammenhang merkte Rudolf Jindrák an, dass der Staatspräsident seine Auslandsreisen im Geiste der Regierungspolitik unternehme:
„Ich lehne die These ab, dass die tschechische Außenpolitik nicht gut koordiniert wäre. In der Vergangenheit sind die Auseinandersetzungen um die Ausrichtung viel schärfer gewesen als in den einem Jahr, das ich nun in der Staatskanzlei miterleben durfte. In Tschechien besteht ein einzigartiges Format, und ich werde darauf drängen, dass es auch weitergeführt wird. Das sind die Zusammenkünfte der höchsten Staatsvertreter, ich nenne sie 5+1-Treffen. Konkret handelt es sich um den Staatspräsidenten, den Regierungsvorsitzenden, die Vorsitzenden von Abgeordnetenhaus und Senat sowie den Außenminister und den Verteidigungsminister. Sie sprechen jedes Vierteljahr intensiv zwei Stunden lang über die Außenpolitik. Ich halte die Koordination in diesem Rahmen für eine außerordentlich gute Sache.“
Dazu gehörten auch Fragen der Europa-Politik, die wieder nicht komplett zu trennen seien von den Beziehungen zu Deutschland. Jindrák verweist auf den anstehenden EU-Gipfel in Brüssel. Dort stehen unter anderem die Brexit-Verhandlungen und nötige Reformen der Union auf der Agenda. Und wie der Leiter der außenpolitischen Abteilung auf der Prager Burg sagt, wird bei dem Gipfel erstmals Angela Merkel auch wieder als vollwertige Bundeskanzlerin auftreten:„Anzunehmen ist, dass dies einige Prozesse in der EU beschleunigt. Gut ist aber, dass wir jetzt ein halbes Jahr Zeit hatten, und die deutsche Regierung nicht schon im November oder Oktober entstanden ist. Dann wäre der Druck durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron noch stärker.“
In Tschechien bestehen nämlich große Bedenken gegenüber den zehn Thesen zu Europa, die Macron im September vorgestellt hat. Das geht durch praktisch alle Parlamentsparteien hierzulande. Allen voran sind das die Ideen eines Europas unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Des Weiteren fallen darunter die gemeinsame Verteidigungspolitik und gemeinsame Sozialstandards. Auch eine einheitliche Finanzpolitik in der Eurozone wird in Prag mit Skepsis beäugt, gerade weil man selbst kein Mitglied ist.
Merkel als Korrektiv zu Macrons Ideen
Deswegen hofft Rudolf Jindrák auf den Pragmatismus der deutschen Bundeskanzlerin. Da findet er es auch nicht so schlimm, dass Angela Merkel manchen Einschätzungen nach nicht in dem Maße für Europa brennt wie etwa ihr politischer Ziehvater Helmut Kohl:„Bundeskanzlerin Merkel lässt bekanntlich die Dinge gerne längere Zeit reifen, so nenne ich es. Ich würde nicht sagen, dass sie Sachen aussitzt. Auf der anderen Seite: Wenn ein Deutscher sich zu etwas entschließt, dann bringt er das auch zu Ende. Das ist ein Unterschied zur französischen Politik. Da erinnere ich an die sehr optimistischen Reden von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy zu Europa. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass in seiner Ära in dem Bereich auch nur eine einzige Sache vereinbart worden wäre. Zwar denke ich, dass Macron hier durchaus engagierter sein dürfte. Aber privat bin ich da nicht übertrieben optimistisch. Ich denke, eher wird Bundeskanzlerin Merkel einige jener französischen Ideen korrigieren, deren Umsetzung nicht ganz realistisch ist – angesichts des derzeitigen Zustandes der EU.“
Neben den Beziehungen nach Berlin betont Rudolf Jindrák auch die guten Kontakte in die beiden benachbarten Bundesländer Bayern und Sachsen. Gerade der Draht zwischen Prag und München war aber noch lange nach der politischen Wende gestört durch die ungeklärten Fragen der Vergangenheit: die nationalsozialistische Besatzung und die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Erst ab 2010 konnte sich auch die bayerische Landesregierung dazu durchringen, die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 wörtlich zu nehmen und die Beziehungen nicht weiter mit der Geschichte zu belasten.„Dass die Beziehungen mit Bayern normalisiert werden konnten, ist einer der größten Erfolge der tschechischen Außenpolitik. Jedes Gespräch mit einem deutschen Bundeskanzler, ob das Helmut Kohl war, Gerhard Schröder oder Angela Merkel, begann mit der Frage an uns: ‚Und was werden Sie mit Bayern machen und mit den Sudetendeutschen?‘ Heute wird uns von Angela Merkel dafür gedankt, dass wir die Beziehungen zum Freistaat in Ordnung gebracht haben. Damit das gelingen konnte, haben wir aber nicht viele Zugeständnisse machen müssen. Wir mussten den Sudetendeutschen weder ihr früheres Eigentum noch die Staatsbürgerschaft zurückgeben. Wir haben nichts gemacht, was der tschechischen Rechtsordnung widersprochen hätte. Da haben wir wirklich einen großen Fortschritt erlangt“, so Jindrák
Neue Politikergeneration ohne Emotionen
Doch fast 30 Jahre nach der Wende haben sich die Herausforderungen gewandelt. Nach 1989 war auf beiden Seiten der Grenze die Annäherung stark getragen von persönlichem Engagement. Das aber könnte verlorengehen, befürchtet der frühere Botschafter:„In unseren Nachbarländern und damit auch in Deutschland tritt derzeit eine ganze Generation von Politikern ab. Diese hat noch das Jahr 1989 erlebt und auch die Zeit davor. In dem Sinn wird die Landkarte Europas derzeit umgeschrieben. Eine neue Politikergeneration tritt jetzt an, die zwischen 30 und 45 Jahre alt ist. Sie sind Regierungschefs oder Minister und sehen die Außenpolitik bloß als Geschäft. Ihnen fehlen die Emotionen, an die wir bisher appellieren konnten. Ich behaupte, vor uns steht nun die große Aufgabe, eine neue Landkarte guter persönlicher Kontakte zu erstellen. Damit meine ich Verbündete, auf die Verlass ist.“
Und dasselbe müsse natürlich auch von tschechischer Seite angeboten werden, betont Rudolf Jindrák.