Braucht Prag ein neues Regierungsviertel?

Illustrationsfoto: Michael Gajda, Pixabay / CC0

Ein modernes Regierungsviertel wie etwa in Berlin gibt es in Prag nicht. Die Ministerien sind in Dutzenden Gebäuden über die ganze Stadt verstreut. Ist es sinnvoll, einen ganz neuen Stadtteil zu bauen, in dem die Regierungsgebäude konzentriert sind? Das fordert zumindest der neue tschechische Premier Andrej Babiš.

Andrej Babiš  (Foto: ČTK)
Noch bevor der neue Premier Tschechiens Andrej Babiš eine Regierung auf die Beine stellen konnte, präsentierte er einen tollkühnen Plan: ein neuer Bürokomplex für Regierungsbeamte soll entstehen, und die bestehenden Ministerien im Stadtzentrum sollen zu Museen und Kultureinrichtungen werden. Babiš hat den Plan sogar in das Regierungsprogramm seines Minderheitskabinetts aufgenommen.

Kunst anstelle der Büros

Bringt der Umzug tatsächlich Ersparnisse unter anderem an Miete und Energiekosten, wie Babiš verspricht? Brauchen die Ministerien tatsächlich neue Räume? Und wo sollen sich diese befinden?

Ondřej Boháč  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wichtig ist, wie die Idee am Ende konkret umgesetzt wird. Unter Umständen ist die ganze Sache aber durchaus sinnvoll.“

Das sagte der Leiter des Instituts für Planung und Entwicklung Prags, Ondřej Boháč, in einer Debatte des Inlandssenders des Tschechischen Rundfunks. Das Institut erfüllt ihm zufolge die Rolle eines Koordinators zwischen dem Staat und der Hauptstadt. Nun müsse eine Debatte geführt werden, was, wo und wie teuer gebaut werden soll.

Kateřina Bečková ist Vorsitzende des „Vereins für das alte Prag“. Sie hingegen findet die Idee nicht gut. Ihr zufolge ist nicht klar, ob es sich bei Babišs Projekt um die repräsentativen Hauptsitze der Minister oder um Räume für Beamte handeln soll:

Kateřina Bečková  (Foto: Jana Přinosilová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Unter den Ministerien stellen sich viele Menschen die großen Gebäude vor, die einst für die verschiedenen Ressorts gebaut wurden und eine repräsentative Rolle erfüllen. Sollte der Premier gerade diese Gebäude neu bauen wollen, dann ist der Vorschlag meiner Meinung nach Unsinn. Wir wissen aber nicht, was Andrej Babiš eigentlich gemeint hat.“

Auch die Idee, aus den Baudenkmälern Museen oder Galerien zu machen, nachdem die Beamten ausgezogen sind, sei umstritten, so die Vorsitzende des Vereins für das alte Prag. Der Premier nannte diesbezüglich das Barockpalais Nostiz auf der Kleinseite als Beispiel. Kateřina Bečková:

„Das Palais Nostiz beherbergt zwar eine historische Bibliothek, sonst befinden sich dort aber nur Büros. Der Palast wurde damals für administrative Zwecke umgebaut. Wollte man dort eine neue Ausstellung installieren, wäre das sehr aufwändig. Außerdem haben wir schon jetzt relativ viele Museen in Prag. Ich sehe in diesem Schritt also keine möglichen Ersparnisse.“

Gebäude des Industrieministeriums | Foto: Gampe,  public domain
Bečková verweist darauf, dass viele der Ministerien gerade als Amtssitze erbaut worden. Und sie seien auch als solche wertvoll:

„Zum Beispiel das Industrieministerium am Ufer der Moldau. Es handelt sich um ein architektonisch interessantes Gebäude mit einem symbolischen und thematisch abgestimmten Dekor. Es hat keinen Sinn, es etwa als Hotel zu nutzen. Und auch weitere Ministerialgebäude haben ihre repräsentativen Räume, große Hallen, breite Gänge und Treppenhäuser. Das gehört einfach zur Repräsentation des Staates. Alle Ministerien, die in den 1920er Jahren erbaut wurden, sind geschmückt mit Skulpturen, die sich auf das jeweilige Ressort beziehen.“

Stadtviertel mit verschiedenen Funktionen

Illustrationsfoto: Michael Gajda,  Pixabay / CC0
Für Ondřej Boháč ist wichtig, wie das neue Regierungsviertel aussehen wird.

„Sollte es gelingen, einen Gebäudekomplex zu errichten, in dem verschiedene Funktionen zusammenkommen, darf dieser nicht nur ein totes Büroviertel sein. Wenn dort viel mehr geboten wäre, könnte das Vorhaben aus unserer Sicht der Stadt Nutzen bringen.“

Tschechien würde mit einem eigenen Regierungsviertel einem weltweiten Trend folgen, meint Boháč. Zudem würden viele Ministerien gleich mehrere Gebäude nutzen. Manche davon befänden sich dabei gar nicht im Besitz des Staates und seien mit hohen Mietkosten verbunden:

„Gerade in diesem Fall finde ich die Vereinigung der zahlreichen Zweigstellen der Ministerien in einem Baukomplex für sinnvoll. Dies würde die Arbeit der staatlichen Institutionen viel effizienter machen.“

Prag-Letňany  (Foto: Jan Sovka,  CC BY-SA 3.0)
Im Grunde würde dem auch Bečková vom „Verein für das alte Prag“ zustimmen. Aber:

„Es hat selbstverständlich Sinn, ein Ministerium auch tatsächlich unter einem Dach zu haben. Man muss aber zudem in Betracht ziehen, dass der Staat zahlreiche Immobilien besitzt, die leer sind und für Büros umgebaut werden könnten. Es sind Gebäude, die derzeit nicht genutzt werden, und die der Staat auch verkaufen will. Man sollte im Gegenteil zeigen, dass man imstande ist, sich um seine eigenen historischen Baudenkmäler zu kümmern. Man soll sie nicht verrotten lassen und dafür neue Gebäude bauen.“

Eine weitere Frage lautet: Wenn dann doch ein neues Regierungsviertel gebaut werden sollte, wo könnte es liegen? Babiš schlug noch in seiner Amtszeit als Finanzminister vor, die neuen Gebäudekomplexe am nordöstlichen Rand der Hauptstadt, in Prag-Letňany, zu errichten. Ondřej Boháč dazu:

Letňany auf dem Stadtplan Prags  (Quelle: Public Domain)
„Das ist ein Ort, dessen Bebauung der Hauptstadt wirklich nichts bringen würde. Das Gebiet liegt zwar an der U-Bahn, es würde dort aber wirklich eine Geisterstadt entstehen, die in der Nacht tot ist. Außerdem würde das höhere Verkehrsaufkommen zu den Stoßzeiten die Stadt zusätzlich belasten. Es würde einfach Komplikation für Prag bedeuten.“

Am Stadtrand oder innerhalb der Metropole?

Der Leiter des Instituts für Planung und Entwicklung empfiehlt prinzipiell, die Stadt nicht auszuweiten, sondern nach neuen Möglichkeiten innerhalb der Metropole zu suchen:

„Prag hat auf dem bereits bebauten Gebiet mehrere große Flächen, auf denen mehrere Zehntausend Menschen untergebracht werden könnten. Es ist ein Fehler, neue Viertel außerhalb der Stadt zu bauen, alles an den Rand zu verschieben und nicht zuvor alle Möglichkeiten in der Stadt zu nutzen. Eine Person, die im Zentrum lebt und arbeitet, ist für Prag fünfzehnmal billiger, als ein Mensch, der am Rande lebt und arbeitet. Es ist daher selbstverständlich, zunächst die Reserven innerhalb der Stadt zu nutzen und erst dann von einer Ausweitung auf die Felder vor den Toren der Stadt zu sprechen. Das wäre auch schade. Denn Ackerboden ist einer der größten Werte, die wir heute haben.“

Ehemaliger Bahnhof Prag-Bubny  (Foto: Jan Groh,  Wikimedia CC BY 3.0)
Vielmehr sollte man einen Standort suchen, der näher am Stadtzentrum liege und bessere Verkehrsverbindungen biete. Wichtig sei, dass die Umgebung von dem Ganzen profitiere, sagt der studierte Geograph:

„Wenn der Staat irgendwo investiert, sollte das an einem eher problematischen Ort geschehen. Ein solches Gelände ist beispielsweise der ehemalige Bahnhof Prag-Bubny und seine Umgebung, der seit 25 Jahren brach liegt. Das Regierungsviertel könnte neues Leben dorthin bringen.“

Kateřina Bečková könnte sich aber noch eine andere Nutzung des Geländes vorstellen:

„Meiner Meinung nach sollten dort ausschließlich Wohnungen entstehen. Das Gelände liegt in der Nähe des Flusses, das ist für Wohnraum immer sehr attraktiv. Ich fände es schade, dieses Gebiet für Regierungsgebäude zu verschwenden.“

Boháč zufolge schließt sich das aber gegenseitig nicht aus:

„Wir sind davon überzeugt, und die Entwicklung bestätigt dies, dass die Stadt nur dann funktioniert, wenn alle Lebensbereiche zusammenspielen. Wenn man dort wohnen, arbeiten und seine Freizeit verbringen kann. Beim Begriff Regierungskomplex stellt man sich eine tote Glasstadt vor. Das muss aber nicht so sein. Es können auch Bürogebäude sein, die im Parterre Geschäfte haben und von Wohnungen umgeben sind. Es kann ein normales Stadtviertel sein, dem man nicht ansieht, wie hoch dort die Konzentration von Büroräumen ist.“

Bei den Ministern sind die Meinungen zum Vorhaben ihres Chefs gespalten. Manche würden sich freuen, andere würden ihren Amtssitz nur ungern verlassen. Laut Boháč handelt es sich aber nicht um ein Problem, das die heutigen Minister betreffen könnte:

„Es ist zweifelsohne ein Projekt, das die Lebenszeit einer Regierung überschreitet. Auch im Westen dauert so etwas zehn bis 15 Jahre lang. Aber jemand muss die erste Entscheidung treffen und den Prozess starten.“