Zu Weihnachten ein Platz im Warmen

Illustrationsfoto: fantareis / Pixabay / CC0
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Kälte, Hunger, Hoffnungslosigkeit – der Winter ist eine harte Zeit für Menschen ohne Obdach.

Foto: Eva Turečková
Nahe dem Prager Hauptbahnhof stehen zwei Baucontainer aufeinander. Umringt sind sie von Menschen, denen es augenscheinlich nicht so gut geht. Hier befindet sich nämlich das sogenannte Tageszentrum für Obdachlose der Organisation Naděje, zu Deutsch Hoffnung. Auch Oldřich, ein stämmiger aber gehbehinderter Mann mittleren Alters, ist hier Stammgast. Auf der Straße sei er nun schon seit 15 Jahren:

„Ich bin einfach mit den falschen Leuten zusammengekommen, wir haben gesoffen, Drogen genommen und solche Sachen. Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich älter werde. Ich habe dann die Kurve gekriegt und in einer Zucker-Raffinerie in Prag gearbeitet. Nun ja, der Betrieb ist pleite gegangen, und ich bin mit neuen falschen Leuten zusammengekommen.“

Junge Leute vor dem Tageszentrum für Obdachlose der Organisation Naděje  (Foto: Ondřej Vlk,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Mittlerweile habe er sein Leben einigermaßen im Griff, so Oldřich. Er trinke und rauche nicht mehr, und von Drogen lasse er auch die Finger. Außerdem gebe ihm seit einiger Zeit eine besondere Person Halt:

„Ich habe eine Frau kennengelernt, die mich bis heute am Leben hält. Gerade sie hat mir geraten, bei Naděje Hilfe zu suchen, damals war das Zentrum noch hier die Straße runter. Ich muss sagen, dass die Beratung und die ganze Hilfe bei Naděje grandios sind.“

Oldřich ist einer von rund 5000 registrierten Obdachlosen in der tschechischen Hauptstadt. Die genaue Zahl könne man aber nicht wirklich feststellen, meint Jaroslava Zemanová, die Leiterin des Tageszentrums. Wie kümmert man sich aber dort und in den weiteren Einrichtungen von Naděje um Menschen ohne Dach über dem Kopf?

Foto: Archiv Naděje
„Die Tageszentren sind eine Anlaufstelle für Menschen, die in eine schwierige Lebenslage geraten sind oder bereits auf der Straße leben. Sie bekommen hier etwas zu Essen, bei Bedarf neue Kleidung, und sie können hier duschen. Menschen in Schieflage können sich bei uns mit einem Sozialarbeiter über ihre Lebenslage beraten und über uns Kontakt mit beispielsweise Ämtern und anderen Organisationen aufnehmen, unter anderem Jobbörsen. Außerdem bietet Naděje Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose sowie ärztliche Notdienste. Wir haben in unseren Zentren Psychologen und Psychiater, Allgemeinmediziner, Gynäkologen sowie Zahnärzte.“

Den Weg ins Leben zurückfinden

Pavla Lydholm  (Foto: Archiv der Prager Heilsarmee)
Für die Nacht haben Menschen ohne Zuhause im Prinzip zwei Möglichkeiten, wollen sie nicht auf der Straße bleiben. Pavla Lydholm ist Sprecherin der Prager Heilsarmee:

„Ein weiterer Schritt nach der Betreuung im Tageszentrum sind die Notschlafstellen. Sie sind eine Art Zwischenschritt zu den Wohnheimen, die wir ebenso betreiben. In den Notschlafstellen bekommen die Obdachlosen etwas zu essen, sie können sich duschen und dort schlafen. Am Morgen müssen sie jedoch wieder weg. Sollte jemand die Bereitschaft zeigen, an sich arbeiten zu wollen, kann er in ein sogenanntes Wohnheim ziehen. Dort kann sich ein Obdachloser den ganzen Tag aufhalten. Er muss dabei jedoch aktiv daran arbeiten, eine Lösung für seine soziale Situation zu finden.“

Der Obdachlose Oldřich kommt regelmäßig in den Einrichtungen von Naděje unter:

„Ich schlafe in einer Notschlafstelle von Naděje, auch wenn die etwas kostet. Die 30 Kronen zahle ich aber gerne, denn man bekommt da jeden möglichen Komfort, den man zum Leben braucht. Um halb acht ist Einlass, man kann dann bis halb sieben am nächsten Tag bleiben. Man bekommt etwas zu essen, kann duschen und auch einen Film im Fernsehen anschauen. Vor allem kann man sich aber in Ruhe hinlegen und ausgeschlafen in den nächsten Tag starten.“

30 Kronen sind dabei etwas mehr als ein Euro.

Das ganze Jahr über alle Hände voll zu tun

Foto: Archiv Naděje
Es sei schon lange nicht mehr so, dass der Winter Hochsaison für die Helfer sei, so Jaroslava Zemanova. Man habe das ganze Jahr über alle Hände voll zu tun. Dennoch müsse man gerade für die kalte Jahreszeit besondere Vorkehrungen treffen, erklärt die Sozialarbeiterin:

„Hauptaufgabe für Naděje im Winter sind zusätzliche Notunterkünfte. Zudem sind die Tageszentren in der kalten Jahreszeit auch nachts geöffnet, jedoch nur für Personen, die von der Polizei oder unseren Mitarbeitern hierhergebracht werden. Das sind meist Menschen, die in einem sehr schlechten Zustand aufgegriffen werden, die also gesundheitlich arg mitgenommen sind und um deren Hygiene es sehr schlecht steht. Sie können hier baden und die Nacht verbringen, am nächsten Morgen übergeben wir sie dann einem weiteren Sozialarbeiter zur Betreuung.“

Foto: ČT24
Jede der drei Winter-Notunterkünfte in Prag hat rund 80 Plätze, dazu sind die regulären Herbergen auch weiterhin in Betrieb. Insgesamt reiche das knapp, meint Zemanová. Betrieben werden die Einrichtungen als Kooperation von Naděje, der Heilsarmee und der Stadt Prag.

Die Vorweihnachtszeit und das Weihnachtsfest selbst sind für die Organisation Naděje eine besondere Herausforderung. Denn das Alleinsein wird für Betroffene noch viel spürbarer:

„Schlimmer ist es für die Frauen. In den Unterkünften wird gemeinsam gebacken und insgesamt mehr zusammen unternommen. Frauen wird in der Vorweihnachtszeit viel bewusster, dass sie ihre Familie verloren haben oder die Feiertage nicht zusammen mit ihren Kindern verbringen können. Weihnachten ist also eine relativ traurige Zeit für die Betroffenen. Dennoch versuchen sowohl die Frauen als auch natürlich die Männer, den Advent zu genießen. Ich würde aber zu einhundert Prozent sagen, dass es eine schwere Zeit ist auf der Straße.“

Weihnachtliche Wärme mit Fisch und Kartoffelsalat

Foto: Archiv Naděje
Naděje versucht, ebenso wie die Prager Heilsarmee, den Obdachlosen immerhin ein bisschen weihnachtliche Wärme zu geben. Organisiert wird jeweils ein großes Essen an Heiligabend, es gibt klassische tschechische Festtagsküche. Davon ist auch Oldřich begeistert:

„Da herrscht immer eine sehr schöne Atmosphäre, und allein schon das Warten auf das Essen ist viel angenehmer als sonst. Wir bekommen Schnitzel oder Fisch und Kartoffelsalat. Und es schmeckt großartig.“

Dazu gibt es noch kleine Geschenke für die Obdachlosen, vor allem Hygieneartikel.

Illustrationsfoto: Sanja Gjenero,  FreeImages
Möglich wird das unter anderem, da die Spendenbereitschaft der Menschen in der Vorweihnachtszeit viel größer ist. Das bestätigt auch Pavla Lydholm von der Heilsarmee:

„Aus Sicht des Fundraisings ist der Dezember Erntezeit, wenn ich das so sagen darf. Es ist tatsächlich so, dass die Menschen freundlicher und großzügiger sind. Das merken wir auch an den Spenden. Viele Dauerspender geben mehr, und es kommen in dieser Zeit immer wieder neue Spender hinzu.“

Vor allem in den letzten Jahren würde es zudem auch nicht mehr so viele Berührungsängste geben, meint Jaroslava Zemanová von Naděje. Man sei sich mittlerweile viel bewusster, dass Obdachlosigkeit ganz einfach Alltag sei:

Foto: Archiv Naděje
„In den vergangenen zwei Jahren beobachten wir einen sehr netten Trend, dass Menschen auch persönlich vorbeikommen und Geschenke für die Obdachlosen bringen. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass mittlerweile mehr über das Problem Obdachlosigkeit gesprochen und diskutiert wird. Vielen Menschen ist klar geworden, wie leicht man eigentlich auf der Straße landen kann. Man muss nur in die Schuldenfalle tappen, und dann geht es sehr schnell.“

Auch Oldřich spürt, dass die Prager mehr auf ihn zugehen in der Vorweihnachtszeit. Wie viele andere Obdachlose verdient er sich etwas Geld mit Betteln hinzu. Und gerade im Advent würden die Menschen besonders viel geben, so der Obdachlose.

Eine Nacht im Warmen spenden

In Prag betreibt unter anderem die Heilsarmee einige Nachtquartiere für Obdachlose. Für Weihnachten haben sich die christlichen Helfer etwas ganz Besonderes einfallen lassen – die sogenannte Nocleženka. Was genau das ist, erklärt die Organisatorin des Projekts, Lucie Stejskalová:

Lucie Stejskalová  (Foto: Archiv Hatefree.cz)
„Beim Projekt Nocleženka kann jeder einem Menschen ohne Obdach eine Nacht im Warmen ermöglichen. Man kann sich dazu im Internet auf unserer Webseite einen Gutschein kaufen, mit dem ein Obdachloser für eine Nacht einen Platz in einer unserer Notschlafstellen gültig machen kann.“

Den Gutschein bekommt man ab 100 Kronen, umgerechnet also vier Euro. Das reicht für eine Nacht für einen Obdachlosen, inklusive Dusche und Suppe. Die Sozialarbeiter in den Unterkünften haben dabei immer im Blick, wie viele Gutscheine bezahlt worden sind und wie viele Menschen sie dafür unterbringen können.

Nocleženka  (Foto: Archiv Hatefree.cz)
Das Projekt kommt gut an bei den Tschechen, wobei noch Raum nach oben ist:

„Vergangenes Jahr haben wir rund 6000 Gutscheine verkauft, in diesem Jahr sind es bisher 3000. Es könnten also noch einige mehr sein. Wir sind aber optimistisch, denn der Winter hat eigentlich gerade erst angefangen. Wir gehen also davon aus, dass wir noch einige Plätze in den Unterkünften an den Mann bekommen.“

Weihnachten, Zeit der Wünsche

Illustrationsfoto: fantareis / Pixabay / CC0
Laut Jaroslava Zemanová ist die Zusammenarbeit mit der Stadt und auch der Polizei relativ gut. Zumindest im Vergleich zur Vergangenheit. Die Sozialarbeiterin hat dennoch einen klaren Wunsch an die offiziellen Stellen:

„Uns fehlen Einrichtungen für Menschen, die wir derzeit nicht unterbringen können. Es geht um Menschen, die gesundheitlich praktisch am Ende sind und deren Alkoholabhängigkeit nicht mehr behandelbar ist. Diese Menschen haben dann meist bereits auch Verhaltensstörungen, die eine Unterbringung an den üblichen Stellen nicht mehr möglich machen. Ich meine damit aber nicht unbedingt, dass die Betroffenen aggressiv sind. Was uns also fehlt, sind sogenannte Wet Houses wie in England. Da bekommen diese Menschen ein Zimmer und können dort ungestört sein und auch etwas trinken, sie trinken dabei meist sogar weniger als auf der Straße. Dort finden sie schließlich einen würdevolleren Weg zum Lebensende.“

Oldřich geht es bis auf seine Probleme mit den Beinen gesundheitlich relativ gut. Deshalb ist er mit seinen Wünschen für die Zukunft etwas bescheidener:

„Mein größter Wunsch ist, mit meiner Freundin zusammenbleiben zu können. Und dass wir uns einfach so lieb haben wie bisher. Ich habe aber auch einen Wunsch an Politik und Gesellschaft. Die Menschen sollten sich möglichst gern haben, und sie sollten sich gegenseitig keine Steine in den Weg legen.“