Kleine Bilder, europäisches Format

Norbert Grund: Der Besuch im Atelier (Foto: Archiv der Prager Nationalgalerie)
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Seine Bilder sind klein und filigran, die Motive voller Humor – Norbert Grund war einer der bedeutendsten Maler des böhmischen Rokoko. Eine Ausstellung zum 300. Geburtstag des Künstlers in der Prager Nationalgalerie möchte die Besucher dazu bringen, ganz genau hinzusehen. Ein Gespräch mit Marius Winzeler, dem Leiter der Sammlung Alter Kunst der Nationalgalerie.

Marius Winzeler  (Foto: Archiv der Prager Nationalgalerie)
Herr Winzeler, der Rokoko-Maler Norbert Grund steht im Mittelpunkt der neuen Ausstellung im Kinsky-Palais. Ist das eine Neuentdeckung oder ein Maler, der seit jeher zum böhmischen Kanon gehört?

„Norbert Grund ist natürlich keine Neuentdeckung, sondern gehört schon lange zum Kanon der böhmischen Spätbarockkunst. In den letzten Jahren wurden jedoch neue Forschungen zu ihm angestellt, auch in technologischer Hinsicht, und das in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Im Blick auf das diesjährige Jubiläum hat sich unser Wissen stark erweitert. Norbert Grund ist am 4. Dezember 1717 getauft worden, in dieser Zeit also auch geboren, und 1767 gestorben. Wir haben also ein doppeltes Gedenkjahr. Die Nationalgalerie hat dieses Jahr ein Forschungsprojekt zu ihm vorbereitet, und dabei ist sehr viel Neues zu Tage getreten. Diese Ausstellung zeigt auch, wie wichtig es uns ist, Norbert Grund im europäischen Kontext zu zeigen – nicht nur als Maler des Prager Spätbarock und des Rokoko, sondern als einen Künstler, der zwar sehr kleine Bilder gemalt hat, aber von europäischem Format ist. Denn er hat wirklich ganz viele Impulse aufgenommen und hat selbstständig auch bekannte Motive weiterverarbeitet.“

Im Radio über Malerei zu sprechen ist nicht ganz so leicht – was macht Norbert Grunds Stil Ihrer Meinung nach besonders, wie würden sie ihn beschreiben?

Norbert Grund: Vier badende Mädchen  (Foto: Archiv der Prager Nationalgalerie)
„Das Besondere ist zum einen, dass er sehr kleinformatige Bilder geschaffen hat. Das ist auch ein Ausdruck seiner Zeit, denn er malte nicht in erster Linie für hochrangige adelige Familien oder die Kirche, sondern für wohlhabende und aufgeklärte Bürger, für Kenner und Kunstliebhaber. Das zeigt sich im Duktus seiner Malerei, die sehr humorvoll ist, im Kleinformat kleine Geschichten erzählt und doch immer geheimnisvoll bleibt. Er beschreibt diese Geschichten nicht bis zum Ende, sondern deutet vieles nur an und überlässt sie der Phantasie des Betrachters. Norbert Grund schafft schöne Räume, sehr stimmungsvolle Landschaften. Er greift Motive aus der französischen Kunst auf, Liebesgärten beispielsweise, wo vieles sich wie auf einer Bühne darstellt. Auch die Commedia dell’arte und die venezianische Kunst hat er gut studiert. Ebenso bezieht er sich auf die holländische Malerei des goldenen Zeitalters, indem er zum Beispiel Randgruppen der Gesellschaft, wie etwa Zigeuner oder Räuber, darstellt, sowie abenteuerliche Themen oder Kriegsmotive. Norbert Grund hatte ein sehr breites Spektrum, arbeitete aber immer mit einem sehr feinen Pinsel, malerisch delikat, und ist aus der Nähe zu betrachten. Insofern ist diese Ausstellung auch eine Anleitung, ganz genau hinzusehen.“

„Grund erzählt kleine Geschichten und bleibt immer geheimnisvoll. Er beschreibt diese Geschichten nicht bis zum Ende, sondern deutet vieles nur an und überlässt sie der Phantasie des Betrachters.“

Sie haben schon erwähnt: Die Motive waren vielfältig, und darauf bezieht sich wohl auch der Titel der Ausstellung – der Charme des Alltags?

„Das ist das Thema, weil wir uns nicht zum Ziel gesetzt haben, das Gesamtwerk von Norbert Grund zu zeigen, sondern einige Aspekte durchaus weniger zu beachten und auch nicht alle ganz bekannten Bilder hier zu zeigen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Genremalerei und das weite Feld dieser unterschiedlichen Themen. Architektur oder biblische und mythologische Szenen zum Beispiel sind hier keine Hauptthemen, obwohl sie bei Norbert Grund durchaus eine Rolle spielen. Damit möchte diese Ausstellung sozusagen dazu anleiten, Grund neu zu sehen und entdecken. Sie lässt aber auch noch einiges offen für weitere Betrachtungen und Präsentationen.“

Selbstbildnis von Norbert Grund  (Foto: Public Domain)
Was weiß man über die Biographie von Norbert Grund, wie sah sein Weg zum Künstler aus?

„Norbert Grund wurde 1717 in Prag geboren und war der Sohn eines Malers, der in den Diensten der Adelsfamilie Kolowrat stand und dort als Galerieinspektor wirkte. Von seinem Vater hat er sicherlich auch seine Ausbildung erfahren, auch seine Geschwister waren künstlerisch tätig, in der bildenden Kunst, vor allem aber in der Musik. Auch Norbert Grund war Geiger. Auf einem seiner Selbstportraits hat er dargestellt, wie er seiner Familie etwas vorspielt. Die Musik spielte in diesem Haushalt offenbar eine wichtige Rolle. Davon abgesehen wissen wir biographisch nicht wahnsinnig viel von ihm. Höchstwahrscheinlich war er in Wien auf Wanderschaft und kam dort sicherlich in Kontakt mit anderen Künstlern. Ob er in Italien oder an anderen Orten war, zum Beispiel in Würzburg, wo einer seiner Brüder als Geiger am Hof des Fürstbischofs arbeitete, können wir nur annehmen. Mangels schriftlicher Überlieferungen wissen wir es nicht sicher. Doch wir wissen, dass er in die Kleinseitener Malerzunft aufgenommen wurde, wo er dann auch gleich Prinzipal, also Vorsteher wurde. Das heißt, er war ein angesehener Künstler, hatte gute Kontakte. Und die vielen Druckgrafiken, die hauptsächlich nach seinem Tod von seinen Bildern geschaffen wurden, um diese Werk auch einem weiteren Kreis zugänglich zu machen, wiesen auf eine ganze Reihe von Leuten unterschiedlichster Herkunft hin: Zolleinnehmer, Goldschmiede, etliche Händler, Kunsthandwerker und Handwerker bildeten seine hauptsächliche Käuferschicht. Ein innovativer und für die Zeit ein durchaus charakteristischer Umstand ist, dass Norbert Grund hauptsächlich für den freien Markt gearbeitet hat. Es sind also nicht in erster Linie Auftragsbilder mit bestimmten Bezügen zu den Auftraggebern, sondern allgemeine Motive für Liebhaber, die dann von Kunsthändlern verkauft wurden.“

„Es ist innovativ und für die Zeit durchaus charakteristisch, dass er hauptsächlich für den freien Markt gearbeitet hat. Grunds Bilder waren nicht in erster Linie Auftragsbilder mit bestimmten Bezügen zu den Auftraggebern.“

Ein Raum der Ausstellung ist Jan Jiří Balzer gewidmet. Warum war er so wichtig für die Popularisierung von Norbert Grund?

„Jan Jiří Balzer – oder Johann Georg Balzer, wie er seine Grafiken selbst signiert hat – war einer der bedeutendsten Kupferstecher in der Mitte und zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Böhmen. Er wirkte in Prag und hatte ein großes Netzwerk von Verlagen in großen Städten, von Wien über Leipzig bis nach Berlin und Paris. Indem er es als Kupferstich vervielfältigte, hat er das Werk von Norbert Grund in die Welt hinausgetragen. Balzer hat natürlich nicht nur nach Grund gestochen, sondern auch viele andere Zeitgenossen vervielfältigt. Aber er war offensichtlich mit dem Werk von Grund besonders vertraut. Und nach den jüngsten Forschungen von Marcela Vondráčková, der Kuratorin und Autorin dieser Ausstellung, wissen wir, dass die Witwe Grunds offenbar die Hauptauftraggeberin dieser Kupferstiche gewesen ist. Also ein sozialgeschichtlich interessantes Beispiel, wie eine Künstlerwitwe sich damals schon sehr stark dafür einsetzte, dass das Werk ihres Mannes weiter bekannt wird.“

Zuletzt eine Frage zur Ausstellungsgestaltung: Sie haben versucht, die Besucher ins Rokoko zurückzuholen?

Die Ausstellung „Norbert Grund (1717-1767). Půvab všedního dne“ (Der Charme des Alltags) im Kinský-Palais läuft bis zum 18. März 2018. Geöffnet ist sie täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr. Mehr zum Begleitprogramm (auf Tschechisch) unter http://www.ngprague.cz/exposition-detail/norbert-grund-1717-1767. Zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen – im kommenden Jahr wird noch eine umfangreiche Monografie zu Norbert Grund hinzukommen.

„Einerseits ja. Wir sind ja hier in einem wunderbaren Rokoko-Palais, dem Kinsky-Palais direkt am Altstädter Ring mit der schönsten Rokoko-Fassade Prags. Die Innenräume sind aber recht klassizistisch, also etwas kühler. Mit der Ausstellungsarchitektur wollen wir ein Stück weit an diese Rokoko-Architektur anknüpfen. Darum haben die Architekten Filip Kosek und Jan Říčný ein Konzept mit farbigen Panelen entwickelt. In unterschiedlichen Farben greifen sie Töne aus den Bildern auf. Auf den Panelen befinden sich Rokoko-Motive mit der Anmutung von Seidentapeten. Sie wollen also eine Anmutung geben, dies aber durchaus nicht ungebrochen. Wir haben zum Beispiel die Bildpaare, mit denen Grund häufig gearbeitet hat, nicht immer so klassisch aneinandergehalten, sondern sie auch ganz bewusst ein wenig unterschiedlich gruppiert. Diese Arrangements und Tableaus erinnern zwar ein Stück weit an barocke Galerien, aber nicht streng. Es soll auch eine moderne Interpretation darstellen. Außerdem war es uns wichtig, dass die Ausstellung für die Besucher angenehm ist, dass es genug Sitzplätze gibt, dass es eine Ruhezone gibt, von der aus man auf den Altstädter Ring als barocken Platz hinausschauen kann – jetzt mit dem Weihnachtsmarkt. In diesem Raum findet man weitere Literatur und zwei Bäumchen, die zwar keine klassischen Weihnachtsbäume sind, aber trotzdem an diese Tradition erinnern. Und wir sind besonders stolz, dass wir hier sogar einen Spiegelsaal haben, einen Tanzsaal, in dem die Besucherinnen und Besucher barocke Tanzschritte erlernen und sich in Workshops und Veranstaltungen mit Musik und Tanz des 18. Jahrhunderts vertraut machen können.“

Autor: Annette Kraus
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