Das Magazin von der Straße: „Nový Prostor“ feiert Jubiläum
Sie heißen „Draußenseiter“ oder „Asphalt-Magazin“ und werden von Obdachlosen oder Menschen in sozialer Not verkauft. Solche Straßenmagazine erreichen weltweit mittlerweile sechs Millionen Leser. In Tschechien gibt es den „Nový Prostor“ (Neuer Raum). Nun ist seine 500. Ausgabe erschienen, und die derzeitige Leitung zieht eine positive Bilanz.
„Ich verkaufe das Straßenmagazin, weil ich in Probleme geraten bin. Und zwar gesundheitliche und soziale. Ich wohne in einem privaten Notwohnheim, leider habe ich Leukämie und Diabetes. Und absolut niemand will mich anstellen.“
Deswegen braucht Alena dringend die Einnahmen aus dem Verkauf von Nový Prostor. Von jedem verkauften Exemplar ist die Hälfte des Preises ihr Gewinn. Große Sprünge sind damit nicht möglich. Jan Štěpánek ist seit Ende vergangenen Jahres neuer Chefredakteur des Blattes, das alle 14 Tage erscheint. Er ist nach zehn Jahren zu dem Magazin zurückgekehrt:„Nový Prostor wird in Prag und fünf weiteren tschechischen Städten verkauft. Insgesamt haben wir 150 bis 160 Verkäufer. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass relativ viele der Verkäufer schnell eine andere Arbeit finden. In jedem Fall ist die Tätigkeit nicht darauf angelegt, sie – sagen wir mal – zehn Jahre lang zu betreiben. Es geht darum, dass man sich bei akuten Sorgen etwas hinzuverdienen kann. Es ist kein großes Gehalt, sondern hilft beispielsweise dabei, von der Straße wegzukommen und einen Platz in einer der privaten Notunterkunft zu finden.“
Kurz-Erzählungen über Tschechien
1998 wurde das heutige Magazin Nový Prostor gegründet, damals hieß es noch „Patron“. Dass nun die 500. Ausgabe herausgegeben werden konnte, hält Štěpánek für einen Meilenstein.„Das ist eine große Zahl, die wir gebührend feiern. Deswegen hat die Jubiläumsausgabe auch einen anderen Inhalt als sonst. Zeitgenössische Schriftsteller haben dafür Kurz-Erzählungen geschrieben. Ihre Aufgabe war, etwas über Tschechien zu verfassen. Zudem haben wir junge tschechische Illustratoren angesprochen. Sie haben für eine schöne Gestaltung gesorgt.“
Aber auch die Verkäufer sind in besonderer Weise in die 500. Nummer eingebunden, betont der Chefredakteur.
„Normalerweise erstehen die Verkäufer das Magazin für 25 Kronen je Exemplar und verkaufen es für 50 Kronen. Zusammen mit dem Karel-Janeček-Stiftungsfonds haben wir eine Sammlung initiiert, sodass die Verkäufer die Jubiläumsausgabe schon für 15 Kronen bekommen. Das heißt, sie haben von jedem verkauften Exemplar zehn Kronen mehr. Diejenigen, die sich an der Sammlung beteiligt haben, waren meist sehr großzügig. Ich habe sie dann zur Taufe der Jubiläumsausgabe eingeladen. Dabei hat sich gezeigt, dass darunter viele Stammleser von Nový Prostor sind, die auch die Schicksale unserer Verkäufer kennen.“Das journalistische Konzept von Nový Prostor hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach gewandelt. Jan Štěpánek hat das Magazin bereits von 2003 bis 2006 geleitet und kann vergleichen:
„Ich erinnere mich zum Beispiel an die Zeit von Fabio Golgo. Damals hatte Nový Prostor das ambitiöse Ziel, mit den besten Wochenmagazinen hierzulande zu konkurrieren. Dann gab es meine Vorgängerredaktion, die wiederum ein extrem linksgerichtetes politisches Blatt als Ziel hatte. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, ein Straßenmagazin zu gestalten. Ich habe das Gefühl, dass bei Nový Prostor schon fast jede ausprobiert wurde.“Themen, die anderswo untergehen
Als Jan Štěpánek im Dezember vergangenen Jahres die Chefredaktion übernahm, kam er vom Männermagazin „Maxim“, das der Verlag Burda kurz zuvor aufgegeben hatte. Doch der Übergang zur neuen Leitung des Blattes geschah in einer Weise, die in der Medienwelt auch Kritik hervorgerufen hat. Und nicht alle teilen die Ansicht, dass Nový Prostor ab 2011 stark linkslastig gewesen sei – sondern eher sehr gesellschaftskritisch.
Wie sieht nun also das neue Konzept aus?„Unsere derzeitige Konzeption geht von der bescheidenen Vision aus, guten Journalismus zu machen. Wir widmen uns Themen, die andere vielleicht nicht völlig übergehen, aber denen sie weniger Raum geben. Für uns ist es deshalb kein Problem, beispielsweise auf zehn Seiten das Thema ‚Dunkelheit‘ in den Mittelpunkt stellen. Viele unserer freien Autoren arbeiten eigentlich in den klassischen Medien und sind froh, wenn sie bei Nový prostor mehr Raum als normalerweise erhalten“, so der Chefredakteur.
Ein neues Element des Magazins sind sogenannte VIP-Gespräche. Diese werden nach dem ursprünglichen Gedanken der Straßenzeitungen selbst von den Verkäufern geführt. Jan Štěpánek:
„Die Verkäufer schreiben uns auf, mit wem sie sich gerne treffen und sprechen würden. Wir versuchen dann, denjenigen zu bekommen. Daraus entstehen Gespräche mit bekannten Persönlichkeiten, aber selbstverständlich sind das keine klassischen Interviews. Meist kehrt sich das Gespräch um, und nach ein paar Fragen beginnt die bekannte Persönlichkeit den Interviewer zu befragen. Für unsere Verkäufer ist dies immer eine sehr interessante Erfahrung. Von den VIP-Gesprächen entstehen auch immer kurze Videos für unseren Facebook-Auftritt. Die zeigen auch, wie diese Interviews ablaufen. Meist fällt der Star aus seiner Rolle, weil er ein klassisches Interview erwartet hat. Aber ihm sitzt beispielsweise Mirek gegenüber, der ihm eine Frage stellt, die er noch nie gehört hat. Daraus entstehen immer interessante Begegnungen.“
Obdachlose interviewen VIPs
Zu den bekannten Persönlichkeiten gehören etwa Schauspielerinnen wie Kristýna Leichtová und Emma Smetana oder der Rocksänger Lou Fanánek Hagen von der Punkband Tři sestry.„Gestern haben wir das Gespräch mit Lou Fanánek Hagen gemacht. Er hat nur noch ein Bein. Das Interview hat einer unser Verkäufer geführt, der auch nur noch ein Bein hat. Es haben sich also zwei Männern mit jeweils nur einem Bein getroffen, und daraus ist ein wunderbares Gespräch entstanden“, sagt Štěpánek.
Und Verkäuferin Alena, die am Nationalmuseum steht? Eine Karriere als Journalistin plant sie nicht. Sie hat aber trotzdem eine konkrete Vision für die nächste Zeit:
„Ich spare für eine Wohnung. Ich möchte eine kleine Bleibe finden, weil ich zwei Hunde habe. Sie sollen ja auch Auslauf haben. Und ich möchte drei weitere Hunde, die mich am Leben halten.“