Tetín: Auf den Spuren der heiligen Ludmila (II)

Foto: Martina Schneibergová

Zwei Kilometer östlich von Beroun / Beraun, auf den Felsen über dem Fluss Berounka, liegt Tetín. Bekannt geworden ist die Gemeinde dank der heiligen Ludmila. Die Přemyslidin hatte dort ihren Sitz. In Tetín ist sie 921 auch eines gewaltsamen Todes gestorben. Zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Gemeinde gehören drei Kirchen. Eine davon, die Barockkirche der heiligen Ludmila haben wir Ihnen in der Sendereihe „Reiseland Tschechien“ bereits vorgestellt. In den folgenden Minuten laden wir Sie wieder nach Tetín ein, um die weiteren Baudenkmäler zu besuchen.

Ladislav Pecka  (Foto: Martina Schneibergová)
Tetín ist einer der wenigen Orte in Tschechien, an denen sich nicht nur wichtige historische Ereignisse abgespielt haben. Auch Sehenswürdigkeiten der Natur gebe es hier, erzählt der Höhlenforscher Ladislav Pecka vor der Ludmila-Kirche. Pecka lebt in Tetín und führt Besucher durch den historischen Ort.

„Tetín liegt zwischen zwei Naturschutzgebieten: dem Naturreservat Koda und den Tetín-Felsen. Der älteste archäologische Fund von Tetín ist eine etwa 200.000 Jahre alte Feuerstein-Spitze. Dieses Gebiet war also schon in der Altsteinzeit besiedelt. Bei archäologischen Forschungen wurden in Tetín 1918 wertvolle Bronzegegenstände gefunden. Einige Jahrzehnte später wurden am westlichen Rand der Gemeinde 30 Gräber aus der Zeit noch vor der heiligen Ludmila gefunden. Die Funde hängen mit dem Großmährischen Reich zusammen.“

Schlangen an der Kirchenpforte

Steinerne Schlange  (Foto: Martina Schneibergová)
Neben der Barockkirche der heiligen Ludmila steht ein romanischer Sakralbau, die Kirche der heiligen Katharina. Der Seiteneingang mit dem Portal sei erst 1980 entdeckt worden, erzählt Ladislav Pecka. Auf beiden Seiten ist die Pforte mit steinernen Schlangen umrahmt.

„Die Schlangen erinnern an eine Geschichte aus dem Alten Testament: Die Israeliten, die nach dem Auszug aus Ägypten durch die Wüste wanderten, waren sehr ungeduldig. Gott schickte als Strafe für ihre Ungeduld und Undankbarkeit Schlangen unter die Israeliten. Moses richtete jedoch eine eherne Schlange auf einem Stab auf, wie ihm Gott geraten hatte. Wer zu dieser auf dem Stab aufgerichteten Schlange aufsah, blieb am Leben. Ähnliche Schlangenmotive gibt es auf den Portalen und Treppen in den ältesten Kirchen in Frankreich und in England. Diese stammen aus der Zeit der Christianisierung. Die Schlangen sollten die Kirchen vor den heidnischen Kämpfern schützen. Wir wissen nicht, aus welcher Zeit die Schlangenplastiken in Tetín stammen. Es ist ein Rätsel, aber es ist fast das Schönste, was hier zu sehen ist.“

Menhire und die hl. Katharina mit Ludmilas Schleier

Kirche der heiligen Katharina  (Mitte). Foto: Martina Schneibergová
Der Haupteingang in die Kirche befindet sich auf der anderen Seite. Vor der Kirche gab es früher einen Friedhof. Die Archäologen hätten dort Steine gefunden, die aus einem etwa fünf Kilometer entfernten Steinbruch stammten, erzählt Ladislav Pecka.

„Unsere Vorfahren haben kaum Steine für die Gräber ihrer Nächsten aus einem einige Kilometer entfernten Ort geschleppt. Es scheint eher, dass sie Menhire als Grabsteine benutzten. Bei den Bauarbeiten fand ein hiesiger Bewohner auf seinem Grundstück auch einen Menhir. Er stellte ihn auf in seinen Garten. Der Stein sieht wie eine versteinerte Flamme aus. Man kann sich vorstellen, wie die Menhire einst nebeneinander in einem Halbkreis standen. Diese Entdeckung bestätigt die Vermutung, dass Tetín wahrscheinlich eine alte heidnische Kultstätte war.“

Altar mit der heiligen Katharina  (Foto: Martina Schneibergová)
Der heiligen Katharina wurde die ursprünglich romanische Kirche vermutlich erst unter Karl IV. geweiht. Zuvor war die Patronin der Kirche die heilige Ludmila. Das Hauptaltargemälde stammt von Maler Josef Hellich. Seit den 1950er Jahren hängt in der Kirche jedoch eine Kopie des Bildes, erzählt Ladislav Pecka.

„Die Kopie entstand aus dem Grund, da das Originalgemälde beschädigt wurde. Es wird erzählt, dass ein Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem KZ zurückkehrte, sich Gott für die Leiden rächen wollte. Darum zündete er das Bild an. Die Kopie malte der hiesige Maler Kučera. Die Heilige stellte er jedoch mit einem Attribut dar, das sonst nicht zu ihr gehört.“

Johannes-Nepomuk-Kirche  (Foto: Martina Schneibergová)
Die heilige Katharina trägt auf dem Bild einen Schal um den Hals. Mit einem Schal wird meistens die heilige Ludmila abgebildet. Denn sie wurde den Chronisten zufolge mit einem Schal oder Schleier erwürgt.

Leichen aus Gräbern geschleudert

Von den beiden nebeneinander stehen Kirchen – der Ludmila- und der Katharina-Kirche – geht es über den Dorfplatz weiter nach rechts. An der Pfarrei vorbei kommt man zur dritten Kirche in Tetín, der Johannes-Nepomuk-Kirche. Sie steht auf den steilen Felsen über dem Fluss Berounka. Von der West- sowie der Ostseite der Kirche bietet sich ein herrlicher Blick auf das Tal der Berounka. Ladislav Pecka erinnert an die Chronik von Václav Hájek z Libočan. Er war Priester und Schriftsteller und lebte von 1527 bis 1533 in der Pfarrei von Tetín.

Václav Hájek z Libočan
„Hájek erzählt, dass Ludmilas Schwiegertochter Drahomíra über Ludmilas Grab eine Erzengel-Michael-Kapelle bauen ließ. Dem Chronisten zufolge war Ludmila mit dem Ort ihrer letzten Ruhe nicht zufrieden. Das soll dazu geführt haben, dass die Verstorbenen, die in der Nähe von Ludmilas Grab bestattet waren, in der Nacht aus ihren Gräbern geschleudert wurden. Dabei seien schreckliche Schreie zu hören gewesen, heißt es in der Chronik.“

Hájek hat in seine Chronik eine Sage miteinbezogen, die aus der Gegend von Tetín stammt. Ladislav Pecka ist davon überzeugt, dass sich in Wirklichkeit alles anders abspielte:

„Als Fürst Václav mit seinem Gefolge nach Tetín kam, um die sterblichen Überreste seiner Großmutter Ludmila nach Prag zu überführen, stieß er auf den Wiederstand der Bewohner. Es kann sein, dass Václavs Männer die Tetíner im Kampf besiegt haben. Diese dachten sich später die Geschichte mit den Verstorbenen aus, die wegen Ludmila aus ihren Gräbern geschleudert worden seien. Es war für sie angenehmer, sich an eine mystische Erscheinung auf dem Friedhof, als an eine Prügelei und die eigene Niederlage zu erinnern.“

Symbolisches Grab von Anna Vojáčková  (Foto: Martina Schneibergová)
Im 13. Jahrhundert wurde am Ort, wo Ludmila vermutlich bestattet wurde, und wo früher eine Holzkirche stand, eine romanische Steinkirche errichtet. Diese wurde im Barockstil umgebaut. Später wurde auch das Patrozinium der Kirche geändert, sie wurde dem Heiligen Johannes Nepomuk geweiht. Auf dem anliegenden Friedhof macht Ladislav Pecka auf ein einfaches Grab aufmerksam. Es ist nur ein symbolisches Grab der Heldin des bekannten Lieds „Nad Berounkou pod Tetínem“ – zu Deutsch etwa „Über dem Fluss Berounka unterhalb von Tetín“. Den Text schrieb Dichter Josef Krasoslav Chmelenský. Er nahm an den Treffen tschechischer Patrioten in den 1830er Jahren in der Pfarrei von Tetín teil. Beim Spaziergang durch das Dorf sah der Dichter einmal im Fenster des Schlosses ein bezauberndes Mädchen. Es war Anna Vojáčková, die Tochter des hiesigen Gutsbesitzers. Chmelenský schrieb am Abend ein Gedicht, zu dem ihn die hübsche Anna inspirierte. Der damals anerkannte Komponist Josef Vorel vertonte das Gedicht schließlich. Während der Jahre ist das Lied so populär geworden, dass es heute für ein Volkslied gehalten wird.

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