Panenka steht seit 40 Jahren als Name für den Elfmeter-Lupfer
Bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich fallen derzeit erst die Entscheidungen in der Vorrunde. Vor 40 Jahren, als die fünfte EM stattfand, war das anders. Da wurde am 20. Juni bereits das Finale zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei ausgetragen – ein Spiel, das als die „große Nacht von Belgrad“ in die Geschichte einging. Dieses Finale war sehr erfreulich für die Tschechen und Slowaken, die den ersten und einzigen Titel für ihr gemeinsames Land erkämpften, und für einen Prager ganz speziell.
Im Finale geht es tatsächlich zum vierten Male in jenem Turnier in die Verlängerung. Doch auch nur deshalb, weil Bernd Hölzenbein die frühe 2:0-Führung der Tschechen und Slowaken durch Ján Švehlík(8.) und Karol Dobiaš (25.) und dem Anschlusstreffer von Dieter Müller (28.) noch in der 90. Minute per Kopfball egalisieren kann. In der Verlängerung geschieht nicht mehr viel. Beide Mannschaften kommen nicht mehr zu klaren Chancen, und zum ersten Mal in der Geschichte der großen Fußballturniere steht die Entscheidung durch Elfmeterschießen an. Die Tschechoslowaken beginnen: Marián Masný, Zdeněk Nehoda, Anton Ondruš und Ladislav Jurkemik treffen. Für die Deutschen treffen Rainer Bonhof, Heinz Flohe und Hans Bongartz. Dann tritt der vierte deutsche Spieler zum Elfmeterpunkt:
„Uli Hoeness ist der nächste Schütze – und er schießt über das Tor“, jubelt der Kommentator des Tschechoslowakischen Fernsehens. Gleich darauf kündigt er an:
„Alles liegt nun in den Händen von Antonín Panenka.“
Oder besser gesagt, in den Füßen des Mittelfeldspielers von Bohemians Prag. Und dieser Panenka zelebriert den Elfmeter völlig anders…
Sepp Maier: „Ich habe Panenka nur bewundert, wie man in einem solch wichtigen Spiel so kaltschnäuzig sein kann und einen Elfmeter so schießt. Ich glaube, er hat ganz schön mit seiner sportlichen Karriere gespielt.
Nach dem Torjubel und der Verkündung des Slowaken Karol Polák, dass die Tschechoslowakei damit nun Europameister sei, mussten er und sein tschechischer TV-Kollege Vít Holebec den Zuschauern dann noch erklären, was gerade geschehen war. Der damals 27-jährige Panenka hatte nämlich seinen Elfmeter auf eine ganz kuriose Weise verwandelt – mit einem „dloubák“, also einem Heber in die Mitte des Tores, während der deutsche Torwart Sepp Maier instinktiv in eine Ecke hechtete. Vergeblich, denn mit dem frechen Lupfer des gewieften Technikers aus der Moldaustadt hatte Maier nicht gerechnet. In einem Gespräch, das Radio Prag vor fünf Jahren mit Maier geführt hat, sagte der Bayer unter anderem:
„Ich habe nur bewundert, wie man in einem solch wichtigen Spiel so kaltschnäuzig sein kann und einen Elfmeter so schießt. Ich glaube, er hat ganz schön mit seiner sportlichen Karriere gespielt. Denn wäre ich stehen geblieben und hätte den Ball gefangen, dann hätten alle in der damaligen Tschechoslowakei gesagt, dass Panenka doch blöd ist, einen so wichtigen Elfmeter so lasch zu schießen. Da hätte er wahrscheinlich sportlich Schwierigkeiten bekommen. Aber ich habe ihm ja den Gefallen getan und den Elfmeter reingelassen.“
Und Panenka war im Nu der „Held von Belgrad“, der ein Elfmeterschießen in einer Art und Weise entschieden hatte, die ihn berühmt machte. Die Fußballwelt spricht seitdem immer vom „Panenka-Elfmeter“, wenn ein Spieler versucht, den Ball vom Elfmeterpunkt in die Mitte des Tores zu lupfen. Vor 40 Jahren, als in der Tschechoslowakei noch die eingeschränkten Verhältnisse des Sozialismus herrschten, wurde diese Leistung aber noch ziemlich mäßig gewürdigt. Und selbst bei Titelfeier im Belgrader Hotel musste jemand „von außen“ nachhelfen, um ihm einen besonderen Wunsch zu erfüllt, erzählt Panenka heute:„Ich habe immer in Filmen aus dem Westen vernommen, es sei das schönste Frühstück, wenn man Kaviar, Champagner und Erdbeeren serviert bekommt. Weil wir nun die Europameisterschaft gewonnen hatten, durfte ich ein solches Frühstück auch endlich genießen. Es war das erste Mal in meinem Leben, und ich glaube, auch das letzte Mal. Der Hintergrund war: Ein Freund von mir, der nach Kanada emigriert war, war extra meinetwegen zum EM-Turnier nach Belgrad gekommen. Nach dem Finale hat er dann unser Mannschaftshotel besucht. Vom späten Abend bis zum Morgen haben wir zusammengesessen und ein bisschen gefeiert. Und dabei hab ich mir auch zum ersten Mal Kaviar und Champagner zum Frühstück gegönnt.“
Im Tor der Tschechoslowakei stand damals mit Ivo Viktor einer von nur drei Tschechen, die Trainer Vávlav Jezek neben den acht Slowaken in seiner Startelf aufgeboten hatte. Der mittlerweile 74-Jährige bestätigt, dass die Unterschiede zum heutigen Fußball enorm sind:
„Die Feiern nach einem großen Sieg waren damals ganz anders als heute. Man darf nicht vergessen, wir lebten in der Zeit des Sozialismus, und zu solchen Turnieren im Ausland reisten die Fans gerademal mit ein, zwei Bussen an. Heute sind es rund 10.000 Fans, die die Mannschaft zur EM begleiten, also eine völlig andere Zeit. Und mit unserem Taschengeld konnten wir auch keinen Staat machen. Wir waren zwar in einem schmucken Fünf-Sterne-Hotel untergebracht, aber eine große Feier nach dem Titel gab es nicht.“
Antonín Panenka: „Ich habe stets in Filmen aus dem Westen vernommen, es sei das schönste Frühstück, wenn man Kaviar, Champagner und Erdbeeren serviert bekommt. Weil wir nun die Europameisterschaft gewonnen hatten, durfte ich ein solches Frühstück endlich auch genießen.
Und so zehren die Helden von einst heute vor allem von ihren schönen Erinnerungen, die sie beim Spielen auf dem grünen Rasen gemacht haben. Zu ihnen gehört der extrovertierte Slowake Karol Dobiáš, der aber seit eben fast 40 Jahren in Prag lebt und sich deshalb auch heute noch als echter Tschechoslowake fühlt. In seiner für ihn typisch lockeren Art erzählt der 68-Jährige dann auch, dass sein Treffer zum 2:0 im Finale mit Deutschland für ihn ein ganz besonderes Tor war:
„Ich habe alles mit meinem rechten Fuß gemacht. Den linken Fuß habe ich nur als Stütze gebraucht, er war quasi ein Holzbein. In meiner Karriere, die 18 Jahre dauerte, habe ich weder für Trnava, Bohemians Prag oder bei meinen Clubs in Belgien ein Tor mit links erzielt. Und das bei bis zu 95 Spielen im Jahr. Doch bei der EM in Jugoslawien ist mir das gelungen – das ist wie ein Eintrag ist das Guiness-Buch der Rekorde. Das war ein Schuss wie ein Donnerschlag!“
Den eigentlichen Donnerschlag in der „Nacht von Belgrad“ aber setzte – wie bereits erwähnt – Antonín Panenka mit seinem Treffer im Elfmeterschießen. Deshalb haben wir den 67-Jährigen auch noch einmal auf diesen unvergesslichen Moment angesprochen:
Herr Panenka, 40 Jahre sind vorbei seit dem legendären Endspiel von Belgrad. Vieles ist über Ihren Elfmeter schon geschrieben und gesprochen worden. Meine Frage ist: Wie haben eigentlich die deutschen Spieler auf diesen Elfmeter reagiert? Haben Ihnen ein Beckenbauer, ein Hoeness oder ein Maier dazu später Ihre Meinung gesagt?
„Zuerst muss ich sagen, dass viele deutsche Spieler sehr enttäuscht waren, denn sie haben nur damit gerechnet, dass Deutschland Europameister wird. Gott sei Dank aber haben wir, die tschechoslowakische Mannschaft, das Elfmeterschießen gewonnen. Das war aber kein Zufall. Denn 14 Tage vor der Europameisterschaft waren wir im Trainingslager in der Hohen Tatra. Dort haben wir das Elfmeterschießen jeden Tag geübt, indem wir es als eine Art Turnier durchgeführt haben. Wir waren also sehr gut vorbereitet auf die Entscheidung in Belgrad. Das war unser Vorteil.“
Haben Sie Ihren ganz speziellen Elfmeter in der Hohen Tatra geprobt oder war das für Sie eine intuitive Entscheidung, ihn in Belgrad „auszupacken“?„Die Idee zu dieser Form der Elfmeterausführung habe ich zwei Jahre vor der Europameisterschaft bekommen. Danach habe ich den Elfer drei- bis viermal die Woche trainiert, und ich habe die Variante auch in Freundschaftsspielen gegen kleine Vereine ausprobiert. Später auch in der ersten tschechoslowakischen Liga, doch die höchste Ebene war schließlich die Europameisterschaft.“
Das Finale von Belgrad wurde europaweit, wenn nicht gar weltweit ausgestrahlt, und dieser Elfmeter hat daraufhin Ihr Leben verändert. Aus heutiger Sicht gesehen: Was hat sich seitdem positiv verändert, und was hat Ihnen seitdem vielleicht weniger Freude bereitetet?
„Der Elfmeter war 100-prozentig ein entscheidender Einschnitt in meiner Karriere. Denn immer dann, wenn jetzt der Name Panenka fällt, sagen alle gleich: Elfmeter! Auf der einen Seite bin ich sehr stolz und glücklich, mir einen berühmten Namen mit diesem Elfmeterschießen gemacht zu haben. Auf der anderen Seite aber bin ich auch ein bisschen enttäuscht. Ganz einfach deshalb, weil mein Credo war immer: Ich spiele stets für die Zuschauer, schieße dabei schöne Tore oder gebe gute Vorlagen zur Torerzielung. Alle diese Momente aber werden seitdem durch den Elfmeter von Belgrad in den Schatten gestellt und geraten in Vergessenheit. Denn der Elfer ist weitaus bekannter als all die anderen Dinge, die ich in meiner aktiven Karriere gezeigt habe.“