Kinderchor des Tschechischen Rundfunks wird 70: Start mit neuem Leiter
Im vergangenen Jahr hat der Kinderchor des Tschechischen Rundfunks seinen 70. Geburtstag gefeiert. Als Geschenk gab es eine CD, sie bietet einen Querschnitt durch die Einspielungen des Ensembles in den letzten 20 Jahren. Mit der Jubiläumsfeier schloss sich allerdings auch ein weiteres bedeutendes Kapitel des Kinderchors. Im Dezember verabschiedete sich die langjährige Chorleiterin Blanka Kulínská. Der Wechsel am Dirigentenpult war allerdings keine große Überraschung.
„Ich kenne ihn seit seinem fünften Lebensjahr, als er in den Kinderchor Bambini di Praga eintrat. Er war sehr talentiert. Heute ist er ein hervorragender Chorleiter“, so Blanka Kulínská.
Unter der neuen Leitung steht dem Kinderchor keine Revolution bevor. Aber eigene Schwerpunkte möchte der neue Chorleiter durchaus setzen: „junges Temperament und etwas mehr Dynamik“.
„Das ist im Grunde genommen alles. Das Ensemble muss seinen Verpflichtungen nachgehen. Dabei handelt es sich vor allem um geplante Einspielungen und Konzerte. Den Inhalt des Repertoires kann ich natürlich beeinflussen, ich plane aber keine radikalen Änderungen. Außerdem hat es keinen großen Sinn, etwas zu ändern, was seit Jahren gut funktioniert.“Am Anfang stand Bohumil Kulinský
In der Tat. Der Aktionsradius der Chorkinder ist seit Jahrzehnten groß und ihr Terminkalender voll. Sie beteiligen sich an Studioproduktionen, sind in verschiedenen Liveübertragungen zu hören oder geben öffentliche Konzerte. Allein im Dezember vergangenen Jahres standen auf dem Programm das Eröffnungskonzert zum Musikfestival „Bohuslav-Martinů-Tage“ sowie mehrere Adventskonzerte, darunter ein Openair-Konzert auf dem Altstädter Ring in Prag mit der Böhmischen Weihnachtsmesse von Jakub Jan Ryba. Eine Aufzeichnung dieses Auftritts strahlte am 20. Dezember der bayerische Radiosender BR Klassik aus in seiner Sondersendung „Euroradio Weihnachtstag“.
Die Wurzeln des Prager Rundfunk-Kinderchors liegen im Grunde genommen noch in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. 1941 veranstaltete der Prager Rundfunk einen Wettbewerb für Schulchöre im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren. Blanka Kulínská:„In der Konkurrenz von ungefähr 40 Ensembles landete der Kinderchor aus Hrabůvka, einem Stadtteil von Ostrau, auf dem ersten Platz. Die ‚Kleinen Sänger von Hrabůvka‘ (Hrabůvští zpěváčci) so sein Name, leitete damals mein späterer Mann Bohumil Kulínský. Als dann 1945 ein neuer Kinderchor im Tschechoslowakischen Rundfunk gegründet wurde, bat man ihn zur Zusammenarbeit. Eine Zeitlang pendelte er zwischen Prag und Ostrau, bis der Rundfunk ihn als ständigen Chorleiter engagierte. In dem Jahr, als der Kinderchor aus der Taufe gehoben wurde, wurde ich als zehnjähriges Mädchen dort Mitglied.“
Die ersten Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Dies wäre nicht ohne die hohen Ansprüche möglich gewesen, die Kulínský nicht nur an die Leistung der Kinder stellte, sondern auch an ihre Disziplin. Und diese seien aber hoch motiviert gewesen, so Kulínská:„Es war ein neuer Chor, der alles von Anfang an lernen musste. Schon nach rund drei Jahren, also 1948, reisten wir nach Schweden. Die Hälfte des Chors wurde gebildet von den ‚‚Kleinen Sänger von Hrabůvka‘. Zuvor wurde aber intensiv geübt. Bohumil Kulínský fand für uns mehrere Räumlichkeiten im Funkhaus, so dass die einzelnen Chorabteilungen separat die Gesangsstimmen einüben konnten. Erst später wurden alle drei Stimmen zusammengeführt. Wir alle haben unglaublich hart daran gearbeitet. Der Auftritt im Ausland war für uns eine Sache des Prestiges. Die Kritiken waren exzellent.“
Eintausend Kinder bewerben sich
Mit 17 Jahren wurde die Gymnasiastin Blanka Kulínská, damals noch Blanka Bicanová, freie Mitarbeiterin des Chorleiters. In dieser Position betreute sie in Vorbereitungsklassen selbständig die kleinen Neuankömmlinge, zum Teil waren es Vorschulkinder. 1954, kurz nach ihrem Abitur, heiratete sie den 25 Jahre älteren Bohumil Kulínský. In den 1960er Jahren studierte sie Ästhetik, Philosophie und Pädagogik an der Prager Karlsuniversität und setzte auch ihre Ausbildung in Gesang und Klavierspiel fort. Als Gattin des Chorleiters, der festangestellter Mitarbeiter des Rundfunks war, durfte sie selbst nur als freie Mitarbeiterin mitwirken. So wollten es die Regeln. Doch auch so machte ihr die Arbeit für den Kinderchor große Freude. Und über einen mangelnden Zulauf an Kindern konnte sie nicht klagen:„Einmal, als wieder ein Wettbewerbstermin für neue Chorsänger ausgeschrieben wurde, kamen um die eintausend Interessenten. Es war sogar die Polizei vor Ort, um die Lage zu beruhigen. Wir mussten uns schnell Abreißzettel mit Zahlen besorgen und an die Bewerber verteilen. Am nächsten Tag kamen sie dann der Reihe nach.“Bohumil Kulínský war im In- und Ausland auch als Musikwissenschaftler und Theoretiker renommiert. Er bemühte sich, neue Methoden der Chorleitung durchzusetzen. 1965 sagte er in einem Gespräch mit der Zeitschrift „Rozhlas a televize“ (Rundfunk und Fernsehen):
„Ich bemühe mich, die Kinder für den Auftritt am Mikrophon so vorzubereiten, dass sie auch eine anspruchsvolle mehrstimmige Komposition für den Chor direkt von der Partitur singen können. In meiner Praxis als Chorleiter habe ich mich davon überzeugen können, dass sich Kinder die gleichen Gesangsfähigkeiten wie Erwachsene aneignen können. Diese Erfahrung habe ich Ende vergangenen Jahres gemacht, als wir die tschechische Premiere von Benjamin Brittens Chorwerk ‚A Ceremony of Carols‘ mit altenglischen und lateinischen Texten einstudiert haben. Parallel dazu waren wir mit unserem Programm für die bevorstehende Italien-Tournee beschäftigt. Die Belohnung für die harte Arbeit war der große Erfolg, den wir bei der italienischen Kritik ernteten. Es gibt aber auch die Schattenseiten dieser Arbeit. Jedes Jahr kommen neue Kinder, und die bestgeschulten verlassen uns. Und so geht die Vorbereitungsarbeit nie zu Ende.“Das Vermächtnis bewahren
1973 musste Kulínský den Tschechoslowakischen Rundfunk aus politischen Gründen verlassen. Seine Frau folgte ihm freiwillig wie auch 60 Kinder, deren Eltern den Weggang von Bohumil Kulínský nicht akzeptieren wollten. Im selben Jahr entstand der Kinderchor „Bambini di Praga“, mit dem das Ehepaar Kulínský neue große Erfolge auch außerhalb der Tschechoslowakei errang. Als Bohumil Kulínský 1983 starb, übernahm seine Frau die Leitung der „Bambini di Praga“.Nach der politischen Wende ging Blanka Kulínská zurück zum Rundfunk. 1992 übernahm sie die Leitung des dortigen Kinderchors. Sie habe eine große Hingabe, sie schaffe es, die Kinder von klein auf für Musik zu begeistern und zu möglichst schönem Gesang zu motivieren. So äußern sich ehemalige Chormitglieder immer wieder über die scheidende Chorleiterin. Ihr Nachfolger Lukáš Jindřich ist aber kein Berufsneuling. Er steht aber am Start einer neuen Etappe in seiner Karriere und ist sich der großen Herausforderung bewusst.
„Alle wissen wir, welches Vermächtnis der Kinderchor des Tschechoslowakischen und nachfolgend des Tschechischen Rundfunks sowie auch Frau Kulinská hinterlassen haben. Es ist nicht einfach, an die Arbeit einer solchen Persönlichkeit anzuknüpfen. Aber sie hat mich von Kindesbeinen an ausgebildet, und wir stehen seit einiger Zeit täglich im Kontakt. Deswegen glaube ich, dass es auch mir gelingen dürfte, aus der jüngsten Generation unserer Chormitglieder ein Ensemble aufzubauen, das zu ausgezeichneten Aufnahmen fähig sein wird.“Bleibt zu wünschen, dass der junge Chorleiter auch immer genug motivierten und engagierten Nachwuchs findet.