St.-Anna-Kirche in Jablonec nad Nisou
Die nordböhmische Stadt Jablonec nad Nisou / Gablonz hat heutzutage rund 45.000 Einwohner und stellt ein Verwaltungszentrum im Isergebirge dar. Zum Marktflecken wurde die Gemeinde erst 1808 erhoben, damals entstand auch der Alte Markt – der heutige Platz Náměstí Míru. Es ist der älteste Platz in der Stadt überhaupt. Der historische Stadtkern befand sich zuvor andernorts: rund um die Kirche der heiligen Anna.
„Wir wissen nicht einmal, ob sie sich genau an diesem Ort befand, denn es sind keine Informationen über den Standort der Kirche erhalten geblieben. Die erste Information über einen Ort namens Jablonecz stammt aus den sogenannten ´Konfirmationsbüchern´ der katholischen Kirche. In den Büchern wurde vom Prager Erzbistum eingetragen, wie die Kirchenämter besetzt wurden. Genau in den Tagen vom 20. bis zum 22. Oktober 1356 wurde dort notiert, dass in der neuen Siedlung Jablonecz auf Wunsch des Generalpriors des Ordens der Kreuzherren mit dem Roten Herz, der sogenannten Zyriaken, Ordensbruder Sebastian zum Pfarrer ernannt wurde. Den Zyriaken gehörte damals die Herrschaft Mnichovo Hradiště / Münchengrätz. Bei der Kirche befand sich früher auch ein Friedhof, wie es bis zu den josephinischen Reformen üblich war. Bei den Bauarbeiten in der Umgebung wurden bereits Fragmente der Gräber gefunden.“
Die St.-Anna-Kirche, die heute neben der Kreuzung unter dem Kreuzberg steht, wurde in der Barockzeit erbaut. Sie wurde mehrmals umgebaut, zuletzt im 19. Jahrhundert. Die Barockfassade wurde damals durch eine bis heute erhaltene Neorenaissancefassade ersetzt. Borek Tichý:„Die Kirche hat nach 1932 an Bedeutung verloren. Nach jahrzehntelangen Vorbereitungen wurde damals eine neue geräumige katholische Herz-Jesu-Kirche auf dem heutigen Oberen Platz erbaut. Das Pfarramt zog von der Anna-Kirche ebenfalls zur der neuen Kirche um. Vor 1945 haben in Gablonz mehrere Geistliche gewirkt. Deshalb wurde auch das ursprüngliche Pfarrhaus weiterhin genutzt. Es war sogar geplant, ein kleines Redemptoristenkloster zu errichten. Diese Pläne wurden nicht mehr in die Tat umgesetzt. Nach dem Kriegsende mussten alle Priester, die deutschsprachig waren, Gablonz verlassen.“
Während des Kommunismus geplündert
Die St.-Anna-Kirche wurde in den 1970er Jahren geschlossen und ihrem Schicksal überlassen. Auch nach der Wende wurde sie nicht gleich in Stand gesetzt. Wie Borek Tichý sagt, waren die Denkmalschutzexperten nicht unbedingt überzeugt davon, dass man sie renovieren müsse. Denn nach den Umbauten wurde sie nicht mehr für besonders wertvoll gehalten. Von der Innenausstattung ist bis auf eine einzige Plastik nichts mehr erhalten geblieben. Zudem fehlten der Kirche die Mittel, um den stark beschädigten Sakralbau von Grund auf zu sanieren. Nach dem EU-Beitritt Tschechiens eröffnete sich jedoch die Möglichkeit, EU-Gelder für die Sanierung zu erhalten. Sankt Anna wurde daher im Jahr 2004 unentgeltlich von der Kirche auf die Stadt übertragen. In den Jahren 2005 bis 2006 wurde der Bau mit europäischen Fördermitteln in Stand gesetzt. Die Kirchenvertreter vereinbarten mit der Stadtführung, dass Sankt Anna zu besonderen Anlässen auch weiterhin für Gottesdienste genutzt wird. In der übrigen Zeit dient der Bau als Konzert- und Ausstellungsraum. Beim Betreten der Kirche ziehen die herrlichen Bleiglasfenster alle Aufmerksamkeit auf sich. Es sei gelungen, sie sehr gut zu restaurieren, sagt Borek Tichý.„Ich muss der Kirche Beifall zollen, dass sie die Fenster restaurieren ließ. Das geschah noch vor der Überschreibung der Kirche auf die Stadt. Die Bleiglasfenster sind nicht sehr alt, einige stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts, einige aus den 1930er Jahren. Die Fenster sind aus dem Grund interessant, weil sie auch Informationen über die Gesellschaft enthalten. Auf jedem Fenster steht geschrieben, wer es gespendet hat, beziehungsweise aus welchem Anlass. So wurde beispielsweise das Fenster, auf dem der heilige Karl Borromäus abgebildet ist, anlässlich des 25. Jahrestags der Priesterweihe des letzten Priesters gestaltet, der vor dem Krieg in der Kirche tätig war. Auf einem anderen Fenster ist der heilige Wenzel zu sehen, der als Nationalheiliger der Tschechen gilt. Er war und ist jedoch ein Landespatron und wurde genauso von den Deutschen verehrt. Im nahe gelegenen Rychnov / Reichenau, das eine deutsche Stadt war, befindet sich übrigens auch eine Wenzel-Kirche.“
Der humoristische Heilige
Unter den Heiligen auf den Kirchenfenstern ist auch Philipp Neri, der von Goethe den Beinamen „der humoristische Heilige“ erhielt. Ein Kreuzweg ist in der Kirche nicht erhalten geblieben. Im vergangenen Jahr beteiligte sich Jablonec an den Veranstaltungen zur Erinnerung an den Maler Josef Führich (1800 - 1876). Er stammte aus dem nahe gelegenen Chrastava / Krastau und wurde in Wien zu einem anerkannten Künstler. Der Kreuzweg, den er in den 1840er Jahren für die Wiener Nepomuk-Kirche schuf, ist der am meisten verbreitete Kreuzweg auf der Welt. Borek Tichý:„Bis heute wird der Führich-Kreuzweg kopiert. Für die Ausstellung, die hier voriges Jahr stattfand, haben wir Kopien der Kreuzwegbilder von Führich machen lassen. Diese sind jetzt in der Kirche zu sehen.“
Die Nepomuk-Pfarrei in Wien ist dabei, eine Liste von allen Kopien des Führich-Kreuzwegs zusammenzustellen, erzählt Borek Tichý. In Tschechien gibt es seinen Worten zufolge viele diese Kreuzwege, aber nur verhältnismäßig wenige wurden bereits in die Liste aufgenommen. Die Wiener Pfarrei ist laut Tichý dankbar, wenn sie auf einen weiteren Führich-Kreuzweg aufmerksam gemacht wird. Auch das Altarbild in der Anna-Kirche ist Kopie eines Gemäldes von Josef Führich. Es stellt den heiligen Christoph dar. Das Originalgemälde hängt in Kryštofovy Hamry / Christophhammer.
Die ursprüngliche Orgel von St. Anna war nicht besonders gut, erzählt Borek Tichý.„Sie wurde im Laufe der Zeit vollständig zerstört. Es wird sogar erzählt, dass Kinder im Winter auf den Orgelpfeifen gerodelt sind. Als die Kirche saniert wurde, wurde eine neue dreimanualige Orgel gebaut. Die Besucher sind oft erstaunt, dass es in einer so kleinen Stadt wie Jablonec sogar drei dreimanualige Orgeln gibt. Darum wurde beispielsweise im Sommer ein Zyklus von Orgelkonzerten veranstaltet.“
Herz-Jesu-Kirche und ihr Pendant in Neugablonz
Die Anna-Kirche verlor an der Bedeutung, als oben auf dem Kirchberg eine moderne Herz-Jesu-Kirche erbaut wurde.
„Diese Kirche ist ein Werk des Architekten Josef Zasche. Er wurde 1871 in Jablonec geboren. Es wird erzählt, dass er sich von seiner Kindheit an wünschte, eine Kirche für seine Heimatstadt zu bauen. Dies gelang ihm 1902, als er eine Jugendstilkirche für die Altkatholiken baute. Das war damals eine einflussreiche Pfarrgemeinde. Erst nach 30 Jahren baute Zasche die Herz-Jesu-Kirche für die Katholiken. Über den Bau wurde bereits in den 1890er Jahren gesprochen, als die Kapazität der Anna-Kirche für die steigende Einwohnerzahl nicht mehr reichte. Die Gottesdienste wurden danach in der neuen Kirche zelebriert. Mehrere Firmen finanzierten die Ausstattung der Kirche. Die Firma der Brüder Jäger, die Glassteine herstellte, bezahlte beispielsweise die Orgel. Es ist ein Meisterinstrument von der Firma Rieger aus Krnov / Jägerndorf.“ Die Herz-Jesu-Kirche hat ein Pendant in Deutschland: in Neugablonz, das zu Kaufbeuren gehört. Neugablonz wurde nach dem Krieg von Vertriebenen gegründet, die aus Jablonec und Umgebung stammten.„Die Mitglieder der Pfarrgemeinde erinnerten sich in Neugablonz an die Herz-Jesu-Kirche in Jablonec, die sie nicht lange nutzen konnten. Denn der Bau der Kirche wurde 1932 beendet. 13 Jahre später mussten die deutschen Bewohner die Stadt verlassen. Aus dem Grund ließen sie eine ähnliche Kirche in Neugablonz errichten. Sie wurde auch auf dem Kirchberg erbaut und wurde 1957 geweiht. Sie ist noch größer als die Kirche in Jablonec. Nur die Orgel in Neugablonz hat weniger Pfeifen als die Orgel in der Kirche in Jablonec.“