Ungleichheiten sichtbar machen – Soziologen tagen in Prag
Soziologen aus aller Welt tagen derzeit in Prag. Alle zwei Jahre findet ein europäisches Treffen statt, in diesem Jahr unter dem Motto „Unterschiede, soziale Ungleichheit und soziologische Imagination“. Dreieinhalbtausend Wissenschaftler tauschen sich in der tschechischen Hauptstadt über aktuelle Projekte aus.
„Die bedeutendste Sache, die Soziologen machen: Sie untersuchen die Mechanismen, wie die Gesellschaft funktioniert, und ermöglichen es damit den Politikern, einzuschätzen, welche unbeabsichtigten Folgen ihr Tun eigentlich hat. Das ist eine sehr praktische Sache, die manchmal leichter, manchmal schwerer fällt.“
Das Motto der Tagung ist immer relativ allgemein gehalten. In diesem Jahr ist es: „Unterschiede, soziale Ungleichheit und soziologische Imagination“. Das komplette Spektrum der soziologischen Forschung ist also abgedeckt. Dreieinhalbtausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zu der Konferenz nach Prag gekommen. Sandra Schindlauer aus Weimar ist eine von ihnen.
„Es geht zum Beispiel um Mensch-Umwelt-Beziehungen, um Nachhaltigkeit, um erneuerbare Energien, um Netzwerke und um soziale Ungleichheit. Es geht um ganz theoretisch-abstrakte Sachen, um qualitative und quantitative Forschungsmethoden.“
Eröffnet wurde die Konferenz am Dienstag im Prager Kongress-Zentrum, dabei kam auch die neunundachtzigjährige Legende Zygmunt Bauman zu Wort. Am Mittwoch haben Sandra Schindlauer und Pavel Pospěch ihr Projekt zur Erforschung sozialer Ungleichheit vorgestellt. Sie beschäftigen sich mit Armut und dem Leben auf der Straße:
„Das heißt, wir konzentrieren uns auf obdachlose Personen, die mit bestimmten Stigmata und Vorurteilen behaftet sind und im öffentlichen Raum unsichtbar gemacht werden sollen, weil sie sich negativ auf das Image der Stadt auswirken.“
Verschiedene Gruppen von Menschen haben ein Interesse daran, Obdachlosigkeit aus dem Stadtbild herauszuhalten, sagt Sandra Schindlauer.„In erster Linie ist das die Stadt, also alle, die mit dem Marketing der Stadt beauftragt sind. Sie alle versuchen, Investoren anzuziehen und Geschäftstreibenden eine attraktive Umgebung zu schaffen, um diese in den Innenstädten zu halten.“
Aber auch die Touristen und genauso die Bewohnerinnen und Bewohner wollen nicht ständig mit Obdachlosigkeit konfrontiert werden. In ihrem Forschungsprojekt vergleichen Sandra Schindlauer und Pavel Pospěch den Umgang mit Obdachlosigkeit in Brno / Brünn und Hamburg.
„Hamburg und Brünn sind insofern vergleichbar, als es in beiden Städten und auch auf der Länderebene keine offizielle Strategie im Umgang mit Obdachlosigkeit gibt. Alle Maßnahmen, die in Beziehung zur Obdachlosigkeit ergriffen werden, sind mehr oder weniger Einzelmaßnahmen.“
Wenn man diese zusammensetzt, ergibt sich aber ein Gesamtbild. Nämlich die Tendenz, die Leute aus den Innenstädten und den touristischen Zentren zu verdrängen. Oder haben vielleicht auch die obdachlosen Personen ein Interesse daran unsichtbar zu sein?
„Definitiv. Entscheidend ist aber die Motivation, warum sie unsichtbar sein wollen. Schämen sie sich für den Umstand obdachlos zu sein und fügen sie sich in die Masse ein, um bestimmten Stigmata oder ordnungsrechtlichen Maßnahmen auszuweichen?“