Je weniger Freiheit, desto mehr Sex

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Zu kommunistischen Zeiten fehlte es an Waren, und das Freizeitangebot war ebenfalls bescheiden. Doch Sex war auch in der früheren Tschechoslowakei kostenlos und frei. Dazu der erste Teil unserer neuen Serie "Sex in Zeiten des Kommunismus".

Grau war zum Teil der kommunistische Alltag. In den Geschäften gab es viele Waren überhaupt nicht. Frei reisen war ebenfalls nicht möglich. Und kaum ein großer Rockstar trat in der Tschechoslowakei auf. Was also bot Unterhaltung?

„Sex war eine der wenigen Freuden, die man damals in derselben Qualität haben konnte wie heute. Die Brötchen schmeckten nicht. Und man sollte besser auch nicht fragen, wie das Fleisch aussah, was damals im Lebensmittelladen in der Theke lag. Birnen zum Beispiel ließen sich fast nirgendwo bekommen. Aber der Sex war sicher nicht schlechter als heute, deswegen hat man ihn aktiv genossen. Ein typisches Bild des tschechoslowakischen Sozialismus war der Geschlechtsakt auf dem Arbeitstisch im Büro. Und das musste gar nicht so schlecht sein“, so hat es vor einiger Zeit der Soziologe Ivo Možný von der Masaryk-Universität in Brno / Brünn in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks formuliert.

Und seine Kollegin Kateřina Lišková sagt ergänzend:

„Die Menschen mussten nicht so viel arbeiten, der Arbeitsdruck war nicht so hoch wie heute. Deswegen blieb am Arbeitsplatz Zeit für alles Mögliche. Man hat also den Raum, den man auf Arbeit hatte, für sich arrangiert. Die Menschen haben dort unterschiedliche Typen von Beziehungen ausgelebt, auch sexuelle.“

Illustrationsoto: alleksana,  Pexels

Allerdings ging es dabei nicht so ganz gerecht zu. Denn die Arbeiter zum Beispiel in den Stahlwerken oder die Zugführer in der U-Bahn haben damals schwerlich Sex am Arbeitsplatz ausleben können. In den Ämtern oder auch an den Forschungsinstituten, da ging es hingegen rund…

Die Arbeitstische waren auch deswegen das Zentrum des Sexuallebens im Kommunismus, weil man sich kein Hotelzimmer mieten konnte, wenn man seinen ständigen Wohnsitz vor Ort hatte. Prostitution wiederum galt als Straftat. Auf der anderen Seite: Warum sollte man für Sex bezahlen, wenn es Dutzende Kolleginnen und Kollegen gab, die sich auf der Arbeit langweilten. Diese Einstellung zeigt auch ein Witz, der damals gerne erzählt wurde. Und der geht so:

„Kommt ein Mann nach Hause und findet seine Frau im Bett mit seinem besten Freund. ‚Schrei nicht so‘, sagt die Frau zu ihrem Gatten, ‚den Wein hast du ausgetrunken, die Zigaretten hast du auch weggeraucht, und die Kaffeedose war leer. Was hätte ich ihm denn sonst anbieten sollen?“

Und so ungefähr lagen die Wertemaßstäbe in der ganzen Gesellschaft.

Petr Šmolka | Foto: Adam Kebrt,  Tschechischer Rundfunk

Der Psychologe Petr Šmolka leitet eine Beratungsstelle für Familien und Ehepartner in Prag. Er sagt, vor der Samtenen Revolution sei es bei den Klienten seiner Kollegen ständig darum gegangen, das eigene Sexualleben zu verbessern. Heute sei diese Art von Problemen aber in den Hintergrund getreten, so Šmolka.

Auf der anderen Seite hat das ungebundene Liebesleben vor allem in den 1970er und 1980er Jahren zu gesellschaftlichen Problemen geführt: der beständigen Untreue in der Ehe. Dazu die Psychologin Kateřina Irmanovová aus Prag:

„Der Hauptgrund, warum die Menschen in die Beratungsstelle kamen, war die Untreue. Ich würde sogar sagen, dass sie eine Form des Wegs in die Freiheit war, auch wenn das vielleicht absurd klingen mag. Untreu zu sein und der Familie den Rücken zuzukehren war praktisch die einzige mögliche Form der Auflehnung. Sehr häufig haben sich Paare wieder getrennt. Eine Scheidung war damals auch keine finanzielle Katastrophe, so wie es das heute besonders für Frauen ist. Mittlerweile können sich viele Menschen eine Scheidung gar nicht leisten, deswegen wird Untreue stärker toleriert.“

Dabei sagten die Kommunisten aber immer gerne, dass die Familie das Fundament des Staates sei. Die häufigen Scheidungen waren daher überhaupt nicht im Sinne des Regimes.

Wie viel Untreue verträgt die Ehe?

Miroslav Plzák galt in den 1970er und 1980er Jahren als populärster Eheberater der Tschechoslowakei. Hier ein Beispiel aus einem seiner Rundfunk-Auftritte:

Miroslav Plzák | Foto: Tschechisches Fernsehen,  ČT24

„Die Ehefrau findet heraus, dass ihr Mann untreu ist. Sie lässt sich von ihrem Ehepartner scheiden. Dabei argumentiert sie mit den Worten: ‚Ich komme nicht über die Untreue meines Mannes hinweg.‘ Die meisten Menschen dürften ihr Recht geben, weil sie im Unterbewusstsein vom Grundsatz ausgehen, dass der Ehemann moralische Schuld auf sich geladen hat. Manche Menschen stellen die Liebe zwischen Ehepartnern über die Liebe zu den Kindern. Der subjektive Schmerz der Frau war in dem geschilderten Fall größer als ihre Liebe zu den Kindern. Diese Auffassung lässt sich aber künftig nicht mehr als moralisch bezeichnen. An erster Stelle sollte die Beziehung der Eltern zu den Kindern stehen und erst an zweiter die zwischen den Ehepartnern. Die Frau hat die Pflicht, mit der Untreue des Mannes zurechtzukommen.“

Oder mit anderen Worten: Sich wegen der Untreue des Partners scheiden zu lassen ist eine größeres Vergehen als die Untreue selbst. Denn durch die Scheidung würden die Kinder leiden – dabei sei die Fortpflanzung und die Aufzucht des Nachwuchses die Hauptaufgabe des Bürgers im sozialistischen Staat. So ungefähr lautete die These.

Erwähnenswert ist noch ein weiterer Aspekt des Liebeslebens zu kommunistischen Zeiten. Die Eheschließungsrate lag in der Tschechoslowakei damals bei bis zu 96 Prozent.

„Wer sich der Ehe verweigert, ist ein gesellschaftlicher Parasit“, so der damalige prominente Eheberater Miroslav Plzák.

Illustrationsfoto: StockSnap,  Pixabay,  Pixabay License

Diese Einstellung nahm weder Rücksicht auf das Recht zur freien Entscheidung, noch auf objektive Hinderungsgründe zur Schließung einer heterosexuellen Ehe. In jeder Gesellschaft sind nämlich rund vier Prozent der Menschen homosexuell, drei bis vier Prozent haben eine starke psychische Schädigung und weitere vier Prozent sind stark körperlich behindert. Das heißt, dass damals über zehn Prozent der Gesellschaft gar nicht die Voraussetzungen für den Eheschluss hatten. Dennoch trieb einen das kommunistische Regime zur Hochzeit. Und das generierte eine weitere Gruppe von Menschen, die keine Erfüllung in ihrem sexuellen Leben fanden – und logischerweise ihre Lust anderswo auslebten.

Autor: Libor Kukal
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