Ohne Porno und Vibrator – und trotzdem glücklich

Was gab es alles nicht während des Kommunismus in der Tschechoslowakei? Zum Beispiel Pornografie, Sex-Shops und – bis auf kleine Ausnahmen – auch Prostitution. Zudem wurde an den Schulen kein Sexualkundeunterricht angeboten, und Aufklärungsseiten in Jugendzeitschriften suchte man ebenfalls vergeblich. Wie war also das Sexualleben der Tschechen ohne all diese Aspekte?

Foto: Kronika orgasmu: Jak se mluvilo o sexu / Tschechisches Fernsehen

Die ganze sexualisierte Welt des Westens schwappte erst nach der Samtenen Revolution in die damalige Tschechoslowakei. In den Zeiten der ČSSR wurde noch nicht einmal die Jugend in irgendeiner Weise aufgeklärt. Und so suchte sie auf eigenen Wegen nach eindeutigen Texten. Die jungen Menschen fanden diese vor allem in der Weltliteratur.

Viele der heutigen Tschechen ab 50 Jahren aufwärts können sich noch an den einen oder anderen Roman erinnern, aus dem sie sich als Heranwachsende über Sex informiert haben. In einer kleinen Umfrage fielen dabei auch die Titel unbekannterer Bücher, also nicht nur „Lady Chatterley“ von D. H. Lawrence, sondern etwa auch Maxim Gorkis Romanfragment „Das Leben des Klim Samgin“ oder die Werke des japanischen Autors Kenzaburo Oe.

Anschauungsunterricht bekam man aber auch im Film – und das ebenso in tschechoslowakischen Kinoproduktionen, wie die Soziologin Kateřina Lišková weiß:

Kateřina Lišková | Foto: Historický ústav Akademie věd ČR

„Ich denke, dass der Film nicht prüde war. Und ich würde behaupten, dass die Tschechoslowakische Neue Welle in den 1960er Jahren weltweit bekannt war für ihre Offenheit in allen möglichen Facetten bis hin zum Sexuellen. Vor allem trifft dies aber auf die tschechische Literatur dieser Zeit zu. Einen Kundera dürfte jeder kennen, der lesen kann.“

Lišková spielt dabei an auf Filme wie „Die Liebe einer Blondine“ (Lásky jedné plavovlásky) von Oscar-Regisseur Miloš Forman oder auf „Pfeifen, Betten, Turteltauben“ (Dýmky) von Vojtěch Jasný. Ebenso gehören dazu „Der Leichenverbrenner“ (Spalovač mrtvol) und „Sladké hry minulého léta“ von Juraj Herz.

Foto: Národní filmový archiv

Sexuelle Aufklärung durch Weltliteratur

Allerdings wandelte sich die Lage später wieder. Nach den freizügigeren 1960er Jahren wurde in der folgenden Dekade erneut hart zensiert. Und die Wachhunde des Staates warfen alles hinaus, was „politisch ungeeignet“ war – und das waren auch Liebesszenen mit enthüllten Schauspielerinnen. Häufig wurden die erotischen Passagen nicht komplett aus den Filmen herausgeschnitten, sondern nur auf eine „sittliche“ Form heruntergekürzt. In den 1980er Jahren, vor allem in ihrer zweiten Hälfte, lockerte die Zensur ihre moralischen Zügel allerdings wieder. So kehrten die Liebesszenen auch in die tschechischen Filme in einer Weise zurück, die sich nicht sonderlich von der heutigen unterscheidet.

Die Prüderie der Zensoren hatte allerdings keinen Rückhalt in der breiten Gesellschaft der kommunistischen Tschechoslowakei. Der Fotograf Jaroslav Mach machte damals auch Akt-Bilder. Es sei kein Problem gewesen, Frauen zu finden, die unbekleidet posieren wollten, sagt er:

Foto: Jaroslav Mach,  Radio Prague International

„Solche Frauen und Mädchen waren leicht zu finden. Manche Frauen wollten zum Beispiel Aktfotografien von sich, um sie ihrem Mann zu Weihnachten zu schenken. Das habe ich nicht wirklich verstanden. Ich wäre nicht sonderlich begeistert gewesen, wen mir meine Frau Nackt-Aufnahmen von sich unter den Weihnachtsbaum gelegt hätte. Aber jeder muss das selbst wissen. Sex gab es jedenfalls genug, in diesem Punkt haben wir nichts vermisst – und schon gar nicht wir Fotografen.“

Obwohl die jungen sozialistischen Bürger nicht aufgeklärt wurden, war man sich im Bildungsministerium allgemein des Bedarfs bewusst. Doch wurden keine Sexologen engagiert, um die nötigen Lehrbücher zu erstellen. Und die Lehrer selbst wussten sich keinen Rat.

Dabei erschienen durchaus Fachbücher sexueller Erziehung. So wurde 1970 zum Beispiel das Werk „Mladé manželství“ (Junge Ehe) herausgebracht, in dem sehr detailliert sexuelles Leben beschrieben und mit Illustrationen gezeigt wurde. Das Buch war schnell vergriffen, und als 1972 die zweite Auflage auf den Markt kam, waren dort keine Abbildungen mehr zu sehen.

Vergleich der Ausgaben 1970 und 1972 des Buches Mladé manželství | Foto: Radio Prague International

Die tschechoslowakischen Sexologen beschäftigten sich teils mit Problemen, die es heute nicht mehr gibt. Dazu gehörte etwa das sexuelle Leben der Soldaten im Grundwehrdienst. Denn die jungen Männer mussten für zwei Jahre zur Armee. Die Soldaten im Alter von 18 bis 21 Jahren lebten dann in Kasernen und hatten nur wenig Freigang. In Fachpublikationen wie den „Intimní rozhovory“ (Intime Gespräche) von Roman Útrata ging es dann darum, wie die Wehrpflichtigen so erzogen werden konnten, dass es bei den seltenen Kontakten mit Frauen nicht zu unerwünschten Exzessen kam. Außerdem heirateten Paare in den 1970er und 1980er Jahren bereits mit 18 bis 20 Jahren. Das heißt die Männer, die einkaserniert wurden, waren eigentlich an ein regelmäßiges sexuelles Leben gewöhnt.

Abtreibung statt Pille

Die fehlende sexuelle Aufklärung hatte allerdings eine Reihe von negativen Folgen. Eine war die unvergleichlich hohe Zahl an Abtreibungen. 1987 waren es auf tschechischem Gebiet der ČSSR insgesamt 115.000 gegenüber 15.000 im Jahr 2020. Der Schwangerschaftsabbruch wurde praktisch als Form der Verhütung wahrgenommen, weil vor allem die Pille nur schwer zu bekommen war. Bereits 1957 hatte die Tschechoslowakei die Abtreibung legalisiert, allerdings mussten die Frauen bis 1986 bei einer speziellen Kommission eine Erlaubnis dafür einholen. Die Prozedur war erniedrigend, selbst wenn die Kommission danach fast immer ihre Zustimmung zum Eingriff gab. Als dann das Gesetz geändert wurde, waren Abtreibungen für alle Frauen kostenlos und ohne Formalitäten möglich.

Foto: Tschechisches Fernsehen

Sexspielzeug gab es hingegen überhaupt nicht – und das war wohl so gewollt. Bekannt wurde etwa der Fall des Verkaufs von Vibratoren, der zu einer Gefängnisstrafe führte. Allerdings ging es nicht darum, dass die sozialistische Frau keinen Vibrator benutzen durfte, sondern um unerlaubtes Unternehmertum. Denn nur Staatsbetriebe durften verkaufen, doch Sex-Shops gehörten nicht zu ihrem Portfolio.

Erst der Regimewechsel von 1989 brachte eine radikale Änderung. Auf einmal waren die Zeitungskioske voller Pornohefte. Überall wurde mit nackter Haut geworben, selbst wenn es zum Beispiel nur um Autoreifen ging. Tschechien wurde auch ein wichtiger und erfolgreicher Produzent von Pornofilmen. Dabei hat sich wohl eines gewandelt, obwohl es dazu keine Statistiken gibt: So soll die Zahl der sexuellen Kontakte heute deutlich niedriger liegen als noch vor 40 Jahren. Die Jugend bleibt mittlerweile einfach gerne zu Hause und spielt am Handy oder am Computer, anstatt sich mit jemandem zum Date zu verabreden. Denn so viel weitere Unterhaltungsmöglichkeiten machen dem Sex heute Konkurrenz…

Autor: Libor Kukal
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