Große Studie veröffentlicht: Tschechen haben weniger Sex, Kennenlernen verlagert sich ins Netz

Wie oft konsumieren die Menschen in Tschechien pornographisches Material? Wie viele Leute wurden schon einmal Opfer sexuellen Missbrauchs? Und wann haben die Tschechen ihr erstes Mal? Diesen und weiteren Fragen ist eine großangelegte Studie nachgegangen, deren Ergebnisse in dieser Woche veröffentlicht wurden.

Über 6000 Menschen wurden von Ärzten, Soziologen und Analytikern für die große Umfrage zum Sexualverhalten der Tschechen befragt. Durchgeführt wurde die Untersuchung vom Prager Universitätskrankenhaus, der Brünner Masaryk-Universität und dem Nationalen Institut für seelische Gesundheit (NUDZ). Im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2013 fällt zunächst auf: Die Tschechen haben weniger Sex als früher – im Schnitt weniger als einmal im Monat. In dieser Zahl sind aber auch Menschen berücksichtigt, die Singles sind oder noch nie Geschlechtsverkehr hatten. Menschen in Beziehungen gaben an, über fünfeinhalb Mal pro Monat mit ihrem Partner zu schlafen. Auch diese Zahl bedeutet allerdings einen leichten Rückgang im Vergleich zur letzten Studie. Der Großteil der Befragten zeigte sich aber zufrieden mit dem eigenen Sexleben.

Kateřina Klapilová | Foto: NUDZ

Neben der reinen Frequenz sexueller Handlungen zielte die Datenerhebung der Wissenschaftler auch auf viele weitere Bereiche ab: „Am meisten alarmierend waren für uns die Zahlen zu sexueller Gewalt – bei Frauen wie bei Männern“, sagt Kateřina Klapilová in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Sie leitet das Zentrum für sexuelle Gesundheit am Nationalen Institut für seelische Gesundheit und hat die Methodik hinter der aktuellen Studie ausgearbeitet. Fast ein Fünftel der Frauen sei den Daten zufolge mindestens einmal im Leben durch Gewalt zu sexuellen Aktivitäten gedrängt worden, sagt Klapilová…

„Das entspricht 900.000 Frauen hierzulande, die Erfahrung mit sexualisierter Gewalt haben. Bei den Männern sind es 250.000 Personen. Das sind riesige Zahlen. Und bei den Frauen war zudem ein Fünftel unter 15 Jahre alt.

Zur Anzeige gebracht würde allerdings nur ein Bruchteil der Vorfälle, so die Forscherin. Gründe dafür gebe es viele, etwa Scham oder die Angst vor Rache. Zudem sei der betreffende Moment von den Opfern häufig nicht als Vergewaltigung oder anderweitiger Übergriff interpretiert worden.

Foto: StockSnap,  Pixabay,  Pixabay License

Neben Daten zu Missbrauchserfahrungen wurde im Rahmen der Studie auch ermittelt, wann die Menschen hierzulande das erste Mal Sex hatten. Hier gab es im Vergleich zur letzten Erhebung von 2013 kaum Unterschiede. Frauen haben in Tschechien mit 17,46 Jahren und Männer mit 18,33 Jahren ihr erstes Mal.

Die Forscher gingen zudem der Frage nach, welche sexuellen Dysfunktionen den Menschen in Tschechien die meisten Probleme bereiten. Von den Frauen wurden am häufigsten eine niedrige Libido genannt sowie Probleme, zum Orgasmus zu kommen. Bei den Männern zählten Erektions- und Ejakulationsprobleme zu den am meisten erwähnten Beschwerden. Wie Kateřina Klapilová aber ausführt, wollen sich nur die wenigsten helfen lassen:

„20 Prozent der weiblichen Befragten hatte schon einmal Symptome einer sexuellen Störung. Bei Frauen wie bei Männern haben aber nur fünf Prozent schon einmal Beratung in Anspruch genommen. Das zeigt, dass die sexuelle Gesundheit in Tschechien nicht genug untersucht wird und häufig kein Thema ist.“

Markéta Šetinová | Foto: Tschechischer Rundfunk

Weniger stigmatisiert als sexuelle Probleme werde hierzulande mittlerweile hingegen das Online-Dating, sagt die Soziologin und Psychotherapeutin Markéta Šetinová. Ihr zufolge hat die Studie gezeigt, dass immer mehr Tschechen ihren Partner im Netz kennenlernen.

„Das trifft nicht nur auf die jüngste Altersgruppe zu. Wir sehen auch einen starken Zuwachs bei älteren Menschen jenseits der 60 Jahre. Das hat Sinn, denn die Lebenserwartung steigt immer weiter, und zudem kann man ebenso in höherem Alter noch nach Liebe und einer partnerschaftlichen Beziehung suchen.“

Durch ihre große Datensammlung erhoffen sich die Forscher unter anderem, sexuelle Dysfunktionen oder etwa auch Störungen der Sexualpräferenz in Zukunft besser behandeln zu können. Für die Umfrage haben sie sich zudem erstmals an internationalen Kriterien orientiert. Dies wird ihnen nun den nächsten Arbeitsschritt erleichtern. Die Ergebnisse aus Tschechien sollen nämlich mit dem Sexualverhalten in weiteren Ländern verglichen werden.

Illustrationsfoto: silviarita,  Pixabay,  Pixabay License
Autoren: Ferdinand Hauser , Karolína Burdová
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