Herausforderungen der Zeitenwende – Brünner Symposium „Dialog in der Mitte Europas“

Am Wochenende fand in Brno / Brünn das 23. Symposium „In der Mitte Europas“ statt. Rund 200 Teilnehmende aus Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn und Tschechien diskutierten mit Experten aus den Bereichen Politikwissenschaft und Geschichte über wichtige Themen der Gegenwart. Martina Schneibergová hat nach der Konferenz mit einem der Veranstalter gesprochen, mit dem Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde, Albert-Peter Rethmann.

Herr Rethmann, das Thema des diesjährigen „Dialogs in der Mitte Europas“ lautete „Wohin treibt Ostmitteleuropa?“. Haben wir als Diskutierende eigentlich eine Antwort auf die Frage gefunden?

Albert-Peter Rethmann | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ich glaube, wir haben sehr viele Aspekte gefunden. Wir haben viel über das Thema der Zeitenwende gesprochen, das Bundeskanzler Olaf Scholz in die Debatte eingebracht hat. Es ist interessant, dass das Wort ,Zeitenwende‘ in Ostmitteleuropa sehr oft aufgegriffen wurde – nach meinem Eindruck mehr als in Deutschland selbst. Es war nicht das Ziel der Veranstaltung, eine Lösung oder eine Antwort zu haben. Das Brünner Symposium dient hingegen dazu, ein Forum zu bieten, das wir in unserer Gesellschaft zumeist nicht haben. Häufig laufen die Diskussionen so, dass jeder in seiner Blase und mit seinen Leuten spricht. Dieses Symposium hat den Anspruch, dass hier Menschen nicht nur aus unterschiedlichen Ländern, sondern auch mit sehr unterschiedlicher politischer Ausrichtung, aber ebenso Christen, Nichtchristen, Andersgläubige oder Nichtgläubige miteinander ins Gespräch kommen und fragen, wie wir eigentlich in Europa zusammenleben wollen.“

Einen nicht unwichtigen Teil des Symposiums stellt die Auswertung des Essaywettbewerbs dar, an dem Studierende aus verschiedenen Ländern teilnehmen. Die besten Texte wurden von den Studierenden selbst vorgelesen. Wie fanden Sie die diesjährigen Essays? Sie unterschieden sich ja durchaus von den Arbeiten im letzten Jahr, als die Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine im Fokus standen…

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir haben diesmal ein etwas provokantes Thema gewählt und gefragt: Ist der Westen noch zu retten? Wir wollten von jungen Menschen wissen, was sie mit dem Begriff des Westens verbinden, ob die Werte, für die der Westen steht, aktuell sind und ob man eigentlich sagen kann, dass der Westen jenes Lebensmodell ist, das wir auch für die Zukunft wählen wollen. Das Interessante ist, dass wir viele Beiträge von ziemlich gutem Niveau bekamen. Und es gab eine große Breite an Meinungen, die sich darin widergespiegelt hat. Die Studierenden sind von sich selbst ausgegangen und äußerten, was ihnen persönlich an Europa wichtig ist, warum sie in einem Europa leben wollen, in dem die Menschenwürde zählt, wo Rechte gelten und Menschen so leben, dass sie sich entwickeln können und eine Zukunft haben.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Während der Diskussionen wurde einige Male betont, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig sei. Wie ist dieser zu erreichen, und ist er überhaupt zu erreichen?

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir erleben immer öfter, dass die Gesellschaft  nicht zusammengehalten wird, indem irgendjemand festlegt, wer die Gesellschaft und was die Werte der Gesellschaft seien. Diese werden nicht durch eine Regierung oder durch Wissenschaftler vorgegeben. In der Gesellschaft muss es vielmehr gelingen, dass wir uns darauf verständigen, wie wir zusammenleben wollen. Einer der Beiträge des Essaywettbewerbs hat etwa darauf hingewiesen, dass die Geschichte der Menschenrechte beispielsweise eine Geschichte des Erkämpfens der Rechte der Benachteiligten ist. Und wollen wir heute ein Europa der Werte haben, ein Europa, das auch für die Zukunft attraktiv ist, und ein Europa, in dem sich Engagement zum Beispiel durch die Teilnahme an Wahlen lohnt, – dann muss es ein Europa sein, in dem wir diese Werte auch weiterentwickeln. Wenn ich einen der Studenten vom Essaywettbewerb, Alexander Ihle, aufgreifen darf: Wir sollten die Menschen in den Blick nehmen, die bisher noch nicht in diesem Sinn eingeschlossen sind, was ihre Zukunftschancen angeht.“

Machen Sie sich schon jetzt, nach dem Abschluss des Symposiums, Gedanken über die nächste Konferenz?

Martina Schneibergová mit Albert-Peter Rethmann | Foto: aus dem Archiv von Martina Schneibergová

„Ja, das Symposium wird wieder am Wochenende um den Palmsonntag herum stattfinden. Nach der Auswertung dieses Symposiums, das sehr erfolgreich war und in einer lebendigen Atmosphäre verlaufen ist, beginnen wir zu überlegen, was das Thema nächstes Mal sein könnte. Wir gehen miteinander in diesen Prozess, die Vertreter der Bolzano-Gesellschaft und der Ackermann-Gemeinde.“

Wie kam die Zusammenarbeit vor Jahren eigentlich zustande?

„Es gab Kontakte zwischen der Ackermann-Gemeinde und zahlreichen Initiativen in Tschechien. Das war in den 1990er Jahren. Zu den Initiativen gehörten Antikomplex und sein Umfeld. Daraus ist die Zusammenarbeit mit der Bolzano-Gesellschaft mit Blick auf das Symposium in Brünn entstanden.“