Wenn psychisch Kranke kellnern – die Prager Initiative „Green Doors“

Foto: Offizielle Facebook-Seite des Cafés

Depressionen gelten nicht nur in Deutschland als „Volkskrankheit Nummer eins“ – auch in Tschechien werden psychisch Erkrankte heute nicht mehr stigmatisiert und ausgegrenzt. Dennoch sind viele Betroffene in ihrem Alltag weiterhin mit Vorurteilen konfrontiert. Gerade dagegen versucht die Prager Initiative „Green Doors“ anzukämpfen. Sie ermöglicht den Erkrankten einen Weg zurück in den Berufsalltag. Zugleich bereichert sie die Gastronomie und das Nachtleben der tschechischen Hauptstadt.

Klub V. Kolona  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Cafés)
Die Bürgerinitiative „Green Doors“ existiert nunmehr seit über 20 Jahren. Sie ist mit ihrem Engagement einzigartig in Prag und wohl auch in ganz Tschechien. Gegründet von Mitarbeitern der Psychiatrie „Nad Ondřejovem“ im Jahre 1993 unterhält Green Doors heute zwei sogenannte „Trainingscafés“ und ein „Trainingsrestaurant“. Jan Socha managt das Trainingscafé „Klub V. Kolona“:

„Ein Trainingscafé bietet Menschen mit einer psychischen Erkrankung die Möglichkeit, während oder nach der Erkrankung soziale Fertigkeiten und Tätigkeiten aus dem Arbeitsprozess einzuüben. Das dient zur Rückkehr in den Alltag, damit sie eine Stelle auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt oder in einer geschützten Werkstätte finden beziehungsweise ihr Studium fortsetzen können. Die Unterstützung sieht so aus, dass die Patienten in ganz normalen Schichten arbeiten, zum Beispiel als Köche, Spüler, Kellner oder an der Bar. Auf diese Weise sind sie also während der Arbeit auch in Kontakt mit der Öffentlichkeit.“

Restaurant „Mlsná kavka“  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Restaurants)
Das Café „Klub V. Kolona“ ist einer der drei Orte, an denen das möglich ist. Es gehört zur größten Prager Klinik für psychische Erkrankungen im Stadtteil Bohnice. Jan Socha kümmert sich hier als Projektmanager um die häufig noch akut erkrankten Patienten, aber auch um alles andere, was in einem gastronomischen Betrieb so anfällt. Dazu gesellt sich das vegetarische Restaurant „Mlsná kavka“ in der Nähe der Metrostation Florenc. Ein Unikum ist sicherlich das „Café na půl cesty“ im Stadtteil Pankrác: Tagsüber ebenfalls ein Trainingscafé, treffen sich hier abends Punks zu Konzerten.

Café na půl cesty  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Cafés)
„Die Örtlichkeiten gab es schon vorher. Am Ort des ‚Café na půl cesty‘ waren ursprünglich öffentliche Toiletten geplant, der ‚Klub V. Kolona‘ war ein Theaterklub für die Angestellten der Psychatrie Bohnice, und das Restaurant ‚Mlsná kavka‘ war früher das Restaurant ‚Mníchov‘“, so Socha.

Psychosoziale Rehabilitation und soziale Integration

Ebenso wie jeder Ort also seinen ganz eigenen Charakter hat, unterscheidet sich auch die Art der Unterstützung. Immer geht es aber um die psychosoziale Rehabilitation und die soziale Integration. Beides steht sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeiter von Green Doors an erster Stelle. Jan Socha:

„Bei uns melden sich Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Es sind immer Menschen, die auf eine gewisse Weise motiviert sind und Interesse daran haben, ihre Situation zu verändern und sich weiterzuentwickeln.“

Der Unterschied zu konventionellen Behandlungsmethoden besteht vor allem darin, dass die Klienten in einem natürlichen Umfeld in Kontakt mit der Öffentlichkeit arbeiten. Mit der Unterstützung von Therapeuten und Sozialarbeitern können sie ein Jahr lang ihre beruflichen und sozialen Fertigkeiten verbessern. Neben der alltäglichen Arbeit gehört dazu auch ein persönliches Berufstraining. Dabei lernen die Patienten ganz konkrete Dinge wie man einen Lebenslauf schreibt oder sich auf ein Bewerbungsgespräch vorbereitet.

Psychatrie Bohnice  (Foto: Offizielle Facebook-Seite des Cafés V. Kolona)
Betreut werden hauptsächlich Patienten unter 35 Jahren. Dass die Arbeit von Green Doors Früchte trägt, beweist eine „Erfolgsquote“ von rund 60 bis 70 Prozent bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt. Was genau Erfolg bedeutet, aber auch was die spezifischen Herausforderungen an den Einzelnen sind, hängt dabei ganz vom Patienten und seiner oder ihrer persönlichen Zielsetzung ab:

„Wir erwarten von ihnen, dass sie motiviert sind und dass sie Interesse daran haben, etwas an ihrer Situation zu verändern. Die größten Herausforderungen für sie sind oft, dass sie eine lange Zeit im Krankenhaus oder zuhause verbracht haben. Darum müssen sie auf eine bestimmte Weise die Fertigkeiten wieder erneuern oder verbessern, zum Beispiel es in der Arbeit auszuhalten, einen geregelten Tagesablauf zu führen, mit Stress klarzukommen und verschiedene Probleme zu lösen, die während der Arbeit auftreten können.“

Den geregelten Tagesablauf neu lernen

Foto: David Castillo Dominici,  FreeDigitalPhotos.net
Die Patienten sind häufig schwer erkrankt. Das Spektrum reicht von Borderline-Syndrom und bipolaren Persönlichkeitsstörungen bis hin zu Schizophrenie. Die meisten Menschen in Tschechien sind jedoch skeptisch, wenn sie von solchen Krankheiten hören. Dennoch sieht Jan Socha grundsätzlich eine positive Tendenz in der Gesellschaft.

„Ich muss sagen, dass unser Programm in der Öffentlichkeit gut aufgenommen wird. Unsere Cafés und Restaurants sind populär, und ich denke, unsere Gäste und Kunden genießen die Zeit, die sie dort verbringen. Die allgemeine Situation in Tschechien ist komplizierter. Ich denke, wir befinden uns in einem Prozess der Transformation der psychologischen Behandlung, einer Entstigmatisierung und Deinstitutionalisierung. Aber dieser Prozess ist erst am Anfang, das heißt, eine Menge Arbeit liegt noch vor uns. Meiner Meinung nach wird unsere Arbeit sehr stark von Medien beeinflusst. Sehr oft tragen sie nicht unbedingt dazu bei, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren, worum es sich bei psychischen Erkrankungen eigentlich handelt.“

Foto: Offizielle Facebook-Seite von Green Doors
Green Doors ist heute vielen Pragern ein Begriff. Die Arbeit der Therapeuten dort wird von allen Seiten gut aufgenommen und auch der generelle Umgang mit den Erkrankten hat sich seit 1993 stark verbessert. Auch wenn Green Doors mit ihrem ganz speziellen Ansatz weiterhin hervorstechen, ist auch das Angebot an Betreuungsplätzen wesentlich breiter geworden:

„Es gibt ähnliche Organisationen und Dienste in der Tschechischen Republik. In Prag ist die Situation am besten oder auch am leichtesten für die Klienten, denn hier bestehen gleich mehrere solcher Organisationen. Die Klienten können sich aussuchen, zu welcher Organisation sie gehen und welche Arbeit sie leisten wollen. In kleineren Städten ist das Angebot natürlich kleiner, aber ich denke, dass man überall etwas finden kann.“

Konzerte, Ausstellungen und Lesungen

Foto: Offizielle Facebook-Seite des Restaurants Mlsná kavka
Als Bürgerinitiative beziehungsweise als „Nicht-Regierungs-Organisation“ ist Green Doors vor allem auf Unterstützung von außen und die Vernetzung mit anderen Einrichtungen angewiesen:

„Wir sind eine nichtstaatliche Non-Profit-Organisation, das heißt wir finanzieren uns durch Spenden und Zuschüsse, zum Beispiel vom Sozial- und Arbeitsministerium, dem Kulturministerium oder von der Stadt Prag. Weitere Gelder bekommen wir durch Fundraising und von Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten.“

Wer sich selbst ein Bild von der Arbeit der Organisation machen will, dem steht es frei, einen guten Kaffee oder leckeres Essen in einer familiären Atmosphäre zu genießen. Im Übrigen veranstaltet Green Doors auch Konzerte, Ausstellungen, Lesungen und Theateraufführungen.


Weitere Information finden sie auf der Website von Green Doors (Tschechisch und Englisch) oder auf Facebook:

www.greendoors.cz

https://cs-cz.facebook.com/greendoors