Vor 70 Jahren: Beneš unterzeichnet Dekret zur Enteignung der Deutschen und Ungarn
70 Jahre nach Beginn der Vertreibung haben die Sudetendeutschen im März ein Zeichen gesetzt. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft verzichtet in ihrer Satzung auf die „Wiedergewinnung“ der Heimat und besteht nicht länger auf der Rückgabe ihres früheren Eigentums. Grundlage der Engeignungen war unter anderem die Verordnung Nr. 12 aus den sogenannten Beneš-Dekreten. Sie wurde genau vor 70 Jahren erlassen. Anlässlich des Jahrestages haben sich tschechische Regierungspolitiker am Wochenende dazu geäußert.
„Ich bin froh, dass auf der letzten Bundesversammlung der Sudetendeutschen kein einziges Wort über die Beneš-Dekrete oder die Rückgabe von Eigentum gefallen ist. Das ist ein bedeutsamer Schub und ein größeres Entgegenkommen.“
Anträge auf Restitution von Seiten der Sudetendeutschen sollten nach Meinung von Bělobrádek heute keinen Erfolg mehr haben. Und Jan Hamáček, Sozialdemokrat und Vorsitzender des tschechischen Abgeordnetenhauses, hält die Beneš-Dekrete für ein Relikt:
„Ich denke, es ist eine historische Angelegenheit, die abgeschlossen ist. Die Dekrete von Präsident Beneš waren eine Reaktion auf die Situation in der Nachkriegstschechoslowakei. Sie haben einen Zeitraum geregelt, als es kein Parlament gab, das die Dekrete nach ihrer Erlassung ratifizieren konnte, und ich sehe sie als Teil der tschechischen Rechtsordnung. Gleichwohl sind sie natürlich rechtlich längst erloschen.“In der tschechischen Regierung gibt es aber auch Stimmen, die sich zumindest symbolisch eine größere Distanz zu den Dekreten wünschen. Zum Beispiel Kulturminister Daniel Herman (Christdemokraten):
„Ich bin kein Jurist. Ich weiß nicht, was mit diesen historischen Anordnungen heute konkret zu tun ist, aber man sollte sie doch wenigstens von der Mentalität, die dahinter steht, befreien.“Vor allem das Prinzip der Kollektivschuld, das den Ungarn und Deutschen ihr Eigentum kostete, hält Herman für unannehmbar. Aufgehoben wurden die Dekrete nie. Das tschechische Verfassungsgericht sicherte allerdings 2002 Regime-Gegnern der Nazis, die schon vor der Vertreibung ihre Heimat verlassen hatten, das Recht auf Entschädigung zu. Der Jurist Jan Kuklík ist Professor an der Prager Karlsuniversität. Eine Lösung für den heutigen Umgang mit den Dekreten hat er auch nicht. Aus aktuellem Anlass verweist er aber darauf, die Anordnungen heute nicht auf den ersten Nachkriegspräsidenten zu reduzieren.
„Es sind Dekrete, die Präsident Beneš unterschrieben hat. Aber die Dekrete, die von April bis Oktober 1945 erlassen wurden, hat zugleich auch die Regierung der Nationalen Front erarbeitet. Dabei kam es oftmals zu Konflikten mit Präsident Beneš. Ein Beispiel dafür ist eben jener Erlass Nr. 12 vom 21. Juni 1945. Beneš schlug eine etwas mildere Version dieses Dekrets vor. Er wollte, dass die Konfiszierung des Eigentums mit Reparationszahlung verbunden werden sollte. Die Regierung war sich allerdings ihrer Ansicht sicherer und schlug weitaus strengere Regelungen gegenüber den deutschen und ungarischen Besitztümern vor.“Die Regierung unter Zdeněk Fierlinger setzte sich durch. Sie schuf damit die Voraussetzung für die Enteignung von Millionen Sudetendeutschen und Ungarn. Zugleich legte sie die Grundlage für die Bodenreform in der Tschechoslowakei.