„Das Fest und die Gäste“: Ein Filmklassiker kommt auf die Bühne

„Das Fest und die Gäste“ (Foto: Peter Fabo, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Der Film „Das Fest und die Gäste“ (O slavnosti a hostech) von Regisseur Jan Němec ist ein Klassiker der tschechoslowakischen Neuen Welle. Er setzt sich auf abstrakte, vordergründig fast harmlose Weise mit Totalitarismus und Unterdrückung auseinander. Dennoch erschien er den Machthabern so gefährlich, dass er bald nach seinem Erscheinen in den 1960er Jahren verboten wurde. Nun hat die deutsche Regisseurin Katharina Schmitt den Stoff in Prag auf die Bühne gebracht. Im Studio Hrdinů (Studio der Helden) hat sie neue Bilder für eine zeitlose Parabel gefunden.

Prager Messepalast  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Der Veletržní palác, der Prager Messepalast beherbergt eine große Sammlung moderner Kunst – und das kleine Theater Studio Hrdinů. Im Foyer des funktionalistischen Gebäudes gesellen sich die Zuschauer um ein Picknick. Zwei Paare, ein Junggeselle. Es wird gegessen und getrunken, die Stimmung ist bestens. Da plötzlich taucht eine Gruppe von Fremden auf. Die Picknicker werden eingeladen, folgen dem überdrehten Rudolf und seinen schwarz gewandeten Helfershelfern. Und auf einmal ist der Spaß vorbei. Regisseurin Katharina Schmitt hat den Stoff vor Jahren entdeckt, als Regiestudentin an der Prager Theaterhochschule:

Film ‚O slavnosti a hostech‘  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Der Film ‚O slavnosti a hostech‘ war in der Tschechoslowakei lange verboten. Nach 1989 war er wieder frei zugänglich, er gehört zum goldenen Schatz der tschechischen Neuen Welle. Auf mich hat er damals sehr großen Eindruck gemacht. Ich denke, dass es sich bei dem Drehbuch um einen unglaublich guten Text mit literarischen Qualitäten handelt, wie etwa von Samuel Beckett. Ich musste immer wieder an diesen Film denken, in verschiedenen, auch politischen Kontexten – als ich noch in Tschechien studiert habe, als ich später zurückgegangen bin nach Deutschland. Immer wieder musste ich an diesen Film denken, weil er so gut darstellt, wie Machtmechanismen funktionieren.“

Rudolf dargestellt von Michal Kern  (Foto: Archiv Studio Hrdinů)
Rudolf – auf der Bühne herausragend dargestellt von Michal Kern – erweist sich als hyperaktiver Quälgeist. Mit sadistischen Spielchen schikaniert er die fünf Freunde. Der Käfig zieht sich immer enger zu, schnell muss sich jeder entscheiden, an wessen Seite er sich stellt. Der Zusammenhalt der Gruppe, er bröckelt unter der äußeren Bedrohung sofort. Wenn er doch erfahren dürfe, wessen sie sich eigentlich schuldig gemacht hätten, fragt einer der Gäste schließlich unterwürfig. Die Antwort: Es sei doch alles nur ein großer Witz.

Da allerdings ist das Stück noch am Anfang. Rudolf tritt bald in den Hintergrund. Denn er ist nur der Helfershelfer einer viel mächtigeren Figur. Im Gegensatz zur Vorlage hat die Rolle des Strippenziehers eine Frau übernommen, gespielt von Eva Salzmannová. Zunächst gibt sie die verständnisvolle Mutterfigur, rügt ihren Adoptivsohn Rudolf für die schlechte Behandlung der Gäste. Dann jedoch übernimmt sie selbst. Gäste und Zuschauer werden durchs Haus dirigiert und immer tiefer hineingezogen. Katharina Schmitt:

Katharina Schmitt  (Foto: Nicole Gräther,  Archiv von Katharina Schmitt)
„Es ist ein bisschen wie ein Märchen, wie Hänsel und Gretel, sie gehen in den Wald, und da ist dann die Hexe und will sie auffressen. Das ist in dem Film ganz stark, und ich konnte mir gar nicht vorstellen, das in der Zentralperspektive, ohne diese Reise auch für die Zuschauer zu erzählen. Daher die Entscheidung für drei Stationen und dafür, die Gefahr von allen Seiten attackieren zu lassen.“

Die Reise führt vom offenen, verglasten Foyer bis zum Theaterraum des Studio Hrdinů im Keller. Dort läuft die Szenerie schließlich vollends aus dem Ruder. Einer der Gäste hat sich aus dem Staub gemacht. Das Bankett, an dem Schauspieler wie auch Zuschauer Platz genommen haben, wird zum Tribunal. Und die Gefangenen versuchen ihre Haut zu retten, jeder auf seine Weise. Gerade weil die Figuren wenig Tiefe besitzen und die Geschehnisse vordergründig banal sind, gewinnt die Geschichte eine universale Kraft. Katharina Schmitt hat sich nicht am Film, sondern am Text der Drehbuchautoren Ester Krumbachová und Jan Němec orientiert:

Jan Němec  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Damals wurde Němec auch vorgeworfen, dass dieser Film ein Angriff sei auf die Tschechoslowakei und eigentlich auf den Sozialismus. Er sagte dann, nein, nein, das ist ein ganz abstraktes Werk, das sich mit Macht, Macht- und Kollaborationsmechanismen auseinandersetzt. Das würde ich genauso sehen, und darum ist es immer noch aktuell. In unserer Bearbeitung haben wir uns bemüht, das so abstrakt wie möglich zu erzählen. Es geht uns weder um eine Beschreibung dieser Zeit, in der der Film entstanden ist, noch um eine platte Aktualisierung und zu sagen: Das ist nun die Ukraine. Es geht darum zu sehen, wie solche Mechanismen funktionieren – sie sind auch wahnsinnig theatralisch in der Abstraktion. Es war der Versuch, das aus einem konkreten Kontext herauszuheben. Wir haben natürlich darüber geredet, welche Assoziationen wir haben, was hier und jetzt gerade los ist. Aber es ging nicht darum, das zu zeigen.“

Ester Krumbachová  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Katharina Schmitt, die zwischen deutschen und tschechischen Bühnen pendelt, wollte den Stoff schon lange inszenieren. Dafür brauchte sie die Einwilligung der Autoren. Ester Krumbachová ist bereits verstorben. Regisseur Jan Němec ist heute 78 und lebt inzwischen wieder in Tschechien.

„Zuerst hat er gesagt, nein, auf keinen Fall, ich hasse Theater, das ist eine ganz schreckliche Idee. Als ich ihm dann ganz aufgeregt mein Konzept vorgelegt habe, hat er es sich anders überlegt und gesagt: Na gut. Ok.“

Das größere Problem war die Finanzierung. Das Studio hrdinů ist ein junges Theater. Vor drei Jahren standen die Bühnen in den Theatern Komedie und Meet Factory vor dem Aus. Einige Künstler taten sich zusammen, und Katharina Schmitt rief gemeinsam mit Kamila Polívková, Michal Pěchouček und Jan Horák das Studio Hrdinů ins Leben. Ein Stück wie „Das Fest und die Gäste“, das wäre zu Beginn nicht möglich gewesen.

„Das Fest und die Gäste“  (Foto: Archiv Studio Hrdinů)
„Mittlerweile funktioniert es immer besser, weshalb wir inzwischen auch bessere Fördergelder bekommen. Wir hatten jetzt zum zweiten Mal in unserer dreijährigen Existenz eine Nominierung als Theater des Jahres beim Alfred-Radok-Preis. Wir haben also einen relativ großen Zuspruch beim Publikum und bei der Kritik. Am Anfang hatten wir lauter Mono-Dramen, Stücke mit einem Schauspieler. Und jetzt gibt es auch größere.“

Michal Pěchouček  (Foto: Archiv Studio Hrdinů)
Das dramaturgische Konzept ragt dabei aus der Prager Theaterlandschaft heraus. Ziel ist es, bildende Kunst mit dem Theater zu verbinden:

„Das hat einfach mit unserem Standort zu tun: Wir sind im Veletržní palác, hier wird Kunst ausgestellt. Zugleich ist einer unserer Hausregisseure, Michal Pěchouček, bildender Künstler, und einer der wichtigsten seiner Generation. Kamila Polívková ist ursprünglich Kostümbildnerin. Und ich bin neben meiner Tätigkeit als Regisseurin auch Dramatikerin und beschäftige mich in meiner Art Theater zu machen auch ganz viel mit bildender Kunst. Das ist für uns alle ein ganz wichtiger Ausgangspunkt. Im tschechischen Kontext ist das relativ neu, weil Theater hier in erster Linie über die Schauspieler und außerdem ganz stark als literarisches Medium wahrgenommen wird. Zumindest ist das mein Eindruck. Das hängt auch mit der tschechischen Theatergeschichte zusammen, mit der Entstehung des Nationaltheaters (Narodní divadlo). Das war ja eine Bühne zur Unterstützung der tschechischen Kultur und Nation. Deshalb sind die Texte hier immer wahnsinnig wichtig. Uns geht es aber eher darum, Dinge durch Bilder zu erzählen.“

„Das Fest und die Gäste“  (Foto: Peter Fabo,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Im Fall von „O slavnosti a hostech“ ist das auf beeindruckende Weise gelungen. Wie schnell der Einzelne in einem totalitären System zum Mitläufer wird, das zeigt das Stück weniger durch den Text. Im Angesicht der Bedrohung äußern die Protagonisten nur noch Plattitüden. Das Gefühl des Ausgeliefertseins vermittelt vielmehr die Reise ins Innere des Messepalasts. Sie wird zu einer Reise in menschliche Abgründe.


„O slavnosti a hostech“ in der Inszenierung von Katharina Schmitt ist im Studio Hrdinů zum nächsten Mal am 28. Juni um 20 Uhr zu sehen. Mehr Informationen unter www.studiohrdinu.cz

Autor: Annette Kraus
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