DEB-Präsident Reindl: Die WM in Tschechien ist sensationell gemacht
Die Eishockey-Weltmeisterschaft in Prag und Ostrava / Ostrau elektrisiert die Massen – besonders in punkto Entertainment begeistert sie die Spieler, Trainer, Funktionäre und Fans gleichermaßen und macht so auch beste Werbung für die schnellste Mannschaftssportart der Welt. Zu den Bewunderern des WM-Geschehens gehört auch der Präsident des Deutschen Eishockey-Verbandes (DEB), Franz Reindl. Radio Prag hat Reindl vors Mikrofon gebeten und mit ihm über seine persönlichen WM-Eindrücke, aber auch über das Auftreten der deutschen Mannschaft und die Vorbereitungen auf die WM 2017 gesprochen.
„Dafür gibt es wahrscheinlich keine echte Erklärung. Aber das Umfeld passt einfach: die Tschechen sind bei uns sehr beliebt und fühlen sich bei uns auch wie zu Hause. Zudem haben sie in Deutschland auch stets eine gute Mannschaft dabei. Wie sie das machen, weiß ich nicht, aber sie schaffen es halt immer wieder. Mich freut es, wenn so etwas passiert, weil das auch für den Gastgeber immer eine gute Visitenkarte ist.“
Und wie ist es umgekehrt, wenn eine deutsche Mannschaft zu einer WM in Prag angetreten ist?„Also ich habe allein schon als Spieler sehr gute Erinnerungen an Prag. Und dabei kann ich immerhin bis auf das Jahr 1978 zurückschauen. Als Co-Trainer von Luděk Bukač war ich dann zur WM 1992 in Prag. Damals haben wir mit der Mannschaft wirklich tolle Spiele gemacht, wobei immer sehr viele deutsche Zuschauer in der Arena waren und uns unterstützt haben. Das sind wirklich wunderbare Erinnerungen. Doch auch in den späteren Jahren hat die deutsche Mannschaft in Prag eigentlich immer erfolgreich gespielt. Auch jetzt sind wir ja nach den gewissen Startschwierigkeiten so richtig angekommen in dem Turnier und haben die letzten beiden Partien hervorragend gespielt gegen Schweden und gegen Lettland.“
Das war nicht unbedingt so zu erwarten, denn Deutschland ist mit einer relativ jungen und weniger erfahrenen Mannschaft zur WM angetreten. Doch gerade deshalb stellt Reindl ihr ein gutes Zeugnis aus:„Zunächst mal bin ich ganz glücklich, dass sich die Mannschaft gefunden hat. Die WM-Vorbereitung war nicht optimal, denn in dieser Aufstellung und Konstellation, wie hier in Prag, hat die Mannschaft eigentlich nur ein Spiel bestritten – gegen Slowenien in Berlin. Da braucht es einfach auch eine gewisse Zeit, sich umzustellen und an das Niveau hier bei der WM heranzutasten. Wir haben eine starke Gruppe, in der von den Top 7 der Welt gleich vier Nationen vertreten sind. Zudem unterscheiden sich die besseren Vier der Gruppe laut Weltrangliste von den anderen Vier schon um einiges. Dies ist halt so. Das Turnier hat unsere Mannschaft sehr zäh begonnen. Da war sie noch verkrampft, doch das für uns wichtigste Spiel gleich zu Beginn gegen Frankreich hat sie gewonnen. Gegen Kanada hat sie dann eine Superschlappe bekommen mit 0:10, aber auch solche Tage gibt es. Wer Sportler ist weiß, es gibt Tage, da stehst du mit dem falschen Fuß auf und da passt einfach nichts, und der Gegner hat den Tag erwischt, an dem er mit dem richtigen Fuß aufgestanden ist, und alles hat gepasst – neben dem, dass Kanada natürlich eine Top-Mannschaft ist. Und so war es ein Hammerspiel gegen uns. Aber dann im dritten Duell gegen die Schweiz konnte sich die Mannschaft wieder fangen, sich wettkampffähig präsentieren, und sie hatte das ganze Spiel über auch die Chance auf den Sieg. Die Partie war nicht gut, aber die Siegchance war da. Letztlich aber ging sie 0:1 verloren. Dann kam die vierte Begegnung mit den Schweden, und das war ein hervorragendes Eishockeymatch. Es ging rauf und runter, und das Spiel wurde von uns auch teilweise überlegen geführt. Das war schon eine tolle Entwicklung unserer Mannschaft. Und 24 Stunden später gegen Lettland hat sie dann eine sehr ansprechende Energieleistung gezeigt. Besonders gut war die Reaktion im letzten Drittel, als die Mannschaft stark zurückgekommen ist und die Partie von 0:1 auf 2:1 gedreht hat. Dazu sage ich nur: Hut ab!“
Hut ab auch deshalb, weil die junge Mannschaft diese Leistungen bei einem so bedeutenden Turnier wie der 79. Weltmeisterschaft zeige, ergänzt Reindl:„Eine WM ist natürlich ein ganz anderes Umfeld – die Arena, die Zuschauer, die Atmosphäre, die Belastung. Das ist schon beeindruckend für Spieler, die eine WM noch nie gespielt haben.“
Auch im Sonntagsspiel gegen Gastgeber Tschechien zeigte das deutsche Team eine sehr gute Leistung, musste sich nach großem Kampf am Ende aber mit 2:4 geschlagen geben, auch weil die größere internationale Erfahrung und Cleverness auf Seiten des Teams um Superstar Jaromír Jágr lagen. Der 43-jährige Jágr bot erneut eine eindrucksvolle Vorstellung seiner immer noch vorhandenen Klasse, so dass auch Reindl schwärmt:
„Jaromír Jágr ist eine Ausnahmeerscheinung. Also ich bin begeistert, ich habe nicht geglaubt, dass er noch so gut spielen kann. Die Leistung auf dem Eis, die Ausstrahlung, die er hat, und letztlich auch die Scorer-Qualitäten, die er immer noch zeigt, das ist einfach phänomenal. Und Jágr spielt ja nicht wegen seines Alters oder weil er eben Jágr ist, sondern er spielt, weil er der Mannschaft richtig weiterhilft. Er verkörpert wirklich ein extremes Beispiel, denn dass er in dem Alter noch auf dem hohen Niveau spielt, ist sensationell. Und ich sehe auch, wie er sich vorbereitet in den Kabinengängen, mit welcher Intension er bereit ist, sich zu opfern. Das ist schon herausragend.“Herausragend waren auch die tschechoslowakischen Spieler und Trainer, die noch vor der Wende, vor allem in den 1980er Jahren, in Deutschland gespielt und trainiert haben. Reindl erinnert sich im Besonderen an die Trainer:„Die Tschechoslowakei war damals ein riesiges Vorbild für uns. Deutschland war zudem Anfang der 70er Jahre einfach nicht mehr so gut und in die B-Gruppe abgestiegen. Das war schlecht. Erst als die tschechischen Trainer dann zu uns nach Deutschland kamen, wurde das Eishockey verändert: Es ging weg von der ruppigen Art, Eishockey nur hart zu spielen und zu kämpfen, und das spielerische Element wurde dann endlich integriert. Da gab es wirklich hervorragende Trainer, die noch aus der damaligen Tschechoslowakei kamen wie Ján Starší, Jozef Golonka, Karel Gut oder Pavel Wohl. Ich selbst kam in den Genuss, mit diesen tollen Trainern zusammenzuarbeiten. Dabei habe ich viel gelernt und das Eishockey auch mit anderen Augen gesehen. Dank dieser Experten nahm das deutsche Eishockey danach eine hervorragende Entwicklung, und es kamen nun auch Jahre, in denen wir nicht mehr abgestiegen sind, weil wir uns in der Weltspitze ein bisschen etabliert hatten. Das war zu großen Stücken den tschechischen und slowakischen Trainern zu verdanken.“
In der Saison 1991/92 war Reindl unter Chefcoach Luděk Bukač Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Und über den charismatischen Tschechen spricht er nur in höchsten Tönen:„Luděk Bukač war halt auch ein Gentleman. Er ist ein fachlich hervorragender Trainer. Ich persönlich habe sehr viel von ihm gelernt, und er hat auch Spaß vermittelt. Aber Spaß zur richtigen Zeit, um die Konzentration auf die Aufgabe nicht zu verlieren. Ganz besonders wertvoll aber waren die strategischen Dinge, die er herübergebracht hat. Das war enorm. Deutschland spielte plötzlich ein bisschen mit Raumaufteilung, zuvor waren wir –vereinfacht ausgedrückt – alle nur hinter der Scheibe her gewesen. Luděk Bukač hat die Nationalmannschaft schon hervorragend geformt, und wir hatten auch tolle Ergebnisse. In Lillehammer zum Beispiel haben wir mit ihm zusammen erstmals die Russen bei Olympischen Spielen geschlagen. Das waren schon Highlights, wie auch die WM 1992 in Prag mit ihm gemeinsam hinter der Bande. Das war ein tolles Erlebnis, denn er hat es auch gut verstanden, den Draht zu den deutschen Spielern zu finden. Das muss man halt auch philosophisch sehen, wie er es gemacht hat, dass die Spieler alle das Feuer entfacht haben für ihn, das war herausragend. Also ich bin begeisterter Fan von Luděk Bukač gewesen und immer noch.“
In den Jahren nach der Wende aber ist die Zahl der tschechischen Spieler und Trainer, die in Deutschlands Top-Liga ihr Geld verdienen, zusehends geringer geworden. Reindl bedauert dies:„Wir sind in Deutschland leider sehr auf Kanada/USA orientiert. Das Spielkonzept dieser Nationen ist vereinfacht, und das ist im Seniorenbereich eher von Vorteil, macht aber auch nicht viel aus. Aber im Nachwuchsbereich ist das anders. Da können wir natürlich die spielerische Ausbildung, das Pflegen des Spielwitzes, einfach das spielerische Element besser gebrauchen. Und zwar insbesondere im Training. In dieser Hinsicht tut es mir weh, dass wir so wenige in Tschechien ausgebildete Trainer haben, aber ich glaube, dass sich das wieder ändert.“
Mittlerweile aber schaut Eishockey-Deutschland mit ebenso großer Bewunderung auf das, was sein östlicher Nachbar diesmal in punkto Organisation und Vermarktung einer Weltmeisterschaft auf die Beine gestellt hat.„Für mich ist es die beste WM, die ich bisher erlebt habe. Von der Organisation, über das Hotel, den Transport, die Unterkunft und Verpflegung bis zum Entertainment und den Arenen selbst. Wie es die Tschechen letztlich geschafft haben, die Arenen so zu füllen, ist sensationell. Das ist für uns in Zukunft die Messlatte. Wir können in Deutschland auch gut organisieren, aber hier ist schon viel Herzblut drin, viel Detailarbeit. Alles läuft in einem freundlichen, nicht gestressten Ton ab. Das ist sensationell gemacht.“
Am Beispiel Tschechien will sich der DEB nun auch für die Ausrichtung der WM 2017 orientieren, die von Deutschland und Frankreich gemeinsam ausgerichtet wird.„Tschechien ist natürlich ein Eishockey-Land, eine Eishockey-Nation. Du merkst: Das Land lebt für Eishockey. Du merkst einfach, die Zuschauer kennen sich aus, sie wissen, wann sie zu jubeln haben und wann sie pfeifen müssen. Das ist in Deutschland ein bisschen anders, und in Frankreich noch ein Stück mehr. Für die WM 2017 haben wir natürlich zwei Millionenstädte mit zwei riesigen Arenen. In Paris-Bercy wird es eine Arena für 14.500 Zuschauer, wenn sie am Jahresende renoviert ist. In Köln haben wir knapp 19.000 Plätze, damit ist die Arena etwas größer als in Prag. Da müssen wir aber erstmal die Zuschauer hineinbringen, und das gleiche Entertainment und das gleiche Feeling vermitteln. Das wird schwer, aber es ist auch eine Herausforderung. 2010 hatten wir in Deutschland 548.000 Zuschauer, allerdings bei 56 Spielen. Jetzt haben wir 64 Spiele. Also, die Zuschauerzahl wächst natürlich auch, weil die Zahl der Spiele gestiegen ist. Aber das ist jetzt die Messlatte, und da müssen wir hin.“
Aber wohin geht die Reise bei dieser WM, sprich: Wer wird das Rennen machen und den Titel gewinnen? Zu dieser Frage gab Franz Reindl – ganz nach seiner Art – eine sehr diplomatische Antwort:„Es ist doch so: Letztlich wird es ein Viertelfinale geben, und vier fallen raus. Das geht ganz schnell. Da kann jede Mannschaft mit ihren vorhandenen Qualitäten – wie in unserer Gruppe zum Beispiel Schweden und Tschechien – ins Halbfinale kommen und noch Weltmeister werden. Daher würde ich nicht so viel darauf setzen, dass Kanada Weltmeister wird. Mathematisch sind die Kanadier natürlich der Favorit, aber ich würde keine der sechs großen Nationen abschreiben.“