Für Umsetzung von Industrie 4.0 muss Ausbildung in Tschechien angepasst werden
Vor anderthalb Monaten haben wir Sie bereits darüber informiert: Die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) hat die Entwicklung von Industrie 4.0 zu ihrem Thema des Jahres gemacht. Aus gutem Grund, das hat auch eine vor zwei Wochen am Prager Sitz der Kammer veröffentlichte Umfrage dazu hervorgebracht. Die Umfrage-Ergebnisse dienen indes nur als Startbrett für die Durchsetzung der Industrie 4.0, mit der sich die tschechische Wirtschaft auch in Zukunft ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern will.
Das Erkennen der Erfordernisse, die man zu meistern hat, ist die eine Sache. Andererseits sehen sich die Firmen aber auch mit den Stolpersteinen der neuen Entwicklung konfrontiert. Dazu informierte Christian Rühmkorf:
„Im Zusammenhang mit der digitalen Vernetzung betrachten die befragten Unternehmen die Datensicherheit sowie die Höhe der notwendigen Investitionen als die größten Hemmnisse und Risiken dieser Entwicklung.“
Beim Kick-off-Meeting der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer zu ihrem Jahresthema waren auch mehrere Vertreter der über 30 Partner aus Wirtschaft, Forschung und Politik zugegen. Zum Problem des Datenschutzes äußerte sich unter anderem Hans-Günter Lind vom Fraunhofer-Zentrum für Mittel- und Osteuropa (MOEZ):„Die große Herausforderung liegt darin, mehrere Fragen zu beantworten und die Antworten möglichst festzuschreiben. Und zwar: Wenn ich diese Daten aus unterschiedlichen Quellen kombiniere, welche Rückschlüsse kann ich daraus eigentlich ziehen? Wollen wir, dass das gesetzlich zulässig ist? Oder am Ende vielleicht sogar: Ist das moralisch zulässig?“
Eine weitere Frage zu diesem Risiko erläuterte Lind an einem Beispiel.„Sie wissen, dass heute ein Auto schon jede Menge Daten sammelt und an den Hersteller sendet. Die Frage ist: Wem gehören diese Daten? Gehören Sie dem Automobilhersteller oder gehören Sie dem Eigentümer des Autos? Man kann die Frage auch auf andere Industriezweige übertragen. Zum Beispiel: Sie haben einen Webstuhl bei sich im Unternehmen stehen. Auch da werden Daten produziert, doch wem gehören diese Daten? Ihnen oder dem Hersteller des Webstuhls? Auch das ist eine Frage, die zumindest diskutiert werden muss.“
Christian Rühmkorf verwies indes noch auf ein weiteres Problem, das den Firmen bei ihrer neuen Herausforderung auf den Nägeln brennt:„Entscheidend für die Wirtschaft ist die künftige Qualifikation der Mitarbeiter. Und da sehen viele Unternehmen offenbar Probleme auf sich zukommen.“
Die Umfrage hat die Handelskammer in Zusammenarbeit mit dem Verband für Industrie und Verkehr (SP), dem Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmen (AMSP ČR) und der ICT Union in Tschechien durchgeführt. Tereza Šamanová vertrat beim Meeting die größte Arbeitgebervereinigung des Landes, den Verband für Industrie und Verkehr. Gegenüber Radio Prag nahm sie zum generellen Fachkräftemangel Stellung:
„Das ist hierzulande ein großes Problem. Schon längere Zeit verzeichnen wir ein großes Defizit an Fachkräften in den technischen Bereichen sowie in den naturwissenschaftlichen Zweigen. Die Firmen beklagen sich sehr darüber. Unser Verband fordert deshalb schon längere Zeit, dass das Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales ein Bildungssystem schafft, dass sich deutlicher an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes anpasst. Das geschieht aber bisher leider nicht.“Šamanová erläuterte ebenso, woher diese Distanz zu technischen Berufen eigentlich kommt:
„Wenn jemand hierzulande beginnt, ein technisches Fachgebiet zu studieren, dann wird dies bei uns historisch und sozial bedingt immer noch nach den alten Denkmustern wahrgenommen. Der Betreffende wird als Malocher eingestuft, der mit seiner Hände Arbeit schafft, wenn er ein technisches Fachgebiet an einer Berufsschule oder Mittelschule belegt. Und wenn er an einer Hochschule studiert, dann müsse er halt einen wissenschaftlichen Weg ohne Bezug zum realen Leben einschlagen.“Weil diese Denkmuster aber an der heutigen Realität vorbeizielen, will ihr Verband nun verstärkt Aufklärung betreiben, betonte Šamanová:
„Wir bemühen uns, diesen Mythos zu zerstreuen. Zudem wollen wir der Öffentlichkeit die Botschaft überbringen, dass technische Berufe heutzutage ein modernes und dynamisches Gewand wie auch ein sehr soziales Umfeld haben. Und einem geschulten Arbeitnehmer, der einen technischen Beruf ausübt, stehen darüber hinaus auch alle Türen offen. Auf dem Arbeitsmarkt kann er sich sowohl in Tschechien als auch im Ausland profilieren.“
Um der umfassenden Digitalisierung und damit der Industrie 4.0 aber in Tschechien entscheidend zum Durchbruch zu verhelfen, müsse die Regierung endlich auch eine entsprechende Strategie vorgeben, sagt Šamanová. Gerade im Bildungssektor ist der Nachholbedarf inzwischen so hoch, dass einige Experten inzwischen schon ihre Zweifel haben. Zu ihnen gehört auch Thomas Limpert von Ingenics Group, mit dem Radio Prag das folgende Gespräch führte:Herr Limpert, Ihre Firma gehört zu den Jahresthema-Partnern der DTIHK und hat sich Industrie 4.0 auch zum eigenen Jahresthema gemacht. Dabei engagiert sie sich besonders im Bereich der sozialen Auswirkungen der vollständigen Vernetzung der Produktion. Warum ist das so wichtig? Was wird hier auf uns zukommen?
„Es wird sicher auf uns zukommen, dass wir digitalisieren müssen. Die Prozesse in den Fabriken werden komplett verändert werden müssen, um digitalisiert werden zu können. Da muss ein großes Umdenken stattfinden, und zwar weg von dem einfachen ´Werker´ hin zu dem industriell-digital denkenden Menschen. Dieses Umdenken muss insbesondere in der Ausbildung stattfinden. Dazu müssen schon heute auch von den Firmen Möglichkeiten geschaffen werden, die Menschen dafür zu qualifizieren. Das ist auch ein Kernthema in unserer Firma, in der wir eine eigene Akademie haben. Die dort vollzogene Ausbildung soll die Lernenden befähigen, Prozesse neuzugestalten, zu digitalisieren und das ganze Paket an Veränderungen auch umzusetzen.“Wie gewinnen Sie die neuen Arbeitnehmer beziehungsweise „die industriellen Revolutionäre“, als die man sie hier auf dem Meeting bezeichnet hat?„Wir sind ein Beratungsunternehmen, das heißt, wir müssen keine Arbeitnehmer bei uns einstellen, sondern wir wollen Unternehmen beraten, wie sie bei der Digitalisierung vorgehen können. Dazu werden deren Mitarbeiter von uns entsprechend qualifiziert. Der Grundsatz lautet: Bei Industrie 4.0 sollen keine Arbeitnehmer freigesetzt, sondern für die neue Aufgabe qualifiziert werden.“
Kann man dazu jeden Arbeitnehmer des jetzigen Produktionsprozesses 1:1 qualifizieren? Mit der Digitalisierung und weiteren Vernetzung geht nämlich vielmehr die Angst um, dass Arbeitsplätze in hohem Maße abgebaut werden, weil vollautomatische Maschinen und Computer immer mehr die bisherige Arbeit des Menschen übernehmen. Auf dem Meeting aber war heute zu hören, dass sogar noch weitere Arbeitsplätze geschaffen werden. Wie soll das funktionieren?„Die Antwort auf diese Frage ist natürlich relativ kompliziert und zum jetzigen Zeitpunkt daher auch nahezu unmöglich. Nach meinem persönlichen Empfinden aber denke ich, dass durchaus Mitarbeiter freigesetzt werden, für sie aber im Einzelfall wieder neue eingestellt werden müssen. Es wird nicht funktionieren, dass sie die ´Werker´ zu 100 Prozent übernehmen können. Das wird schwierig sein. Inwieweit man aber in der Lage sein wird, die Mehrzahl von ihnen umzuschulen, das hängt sicherlich auch von den einzelnen Personen ab. Das wird die Zukunft zeigen.“Aber die Arbeitskräfte der neuen Generation, die werden jetzt mehr und mehr an die neuen IT-Prozesse herangeführt, dass sie eigentlich schon gar nicht mehr mit der Handarbeit in Kontakt kommen oder?„Das ist ein Thema, über das wir eigentlich schon dezidiert im vergangenen Jahr gesprochen haben. Leider nicht mit dem erhofften Durchbruch. Denn die Ausbildung hier in Tschechien ist nach wie vor nicht auf die aktuellen Herausforderungen ausgelegt.“
Kein Wunder also, dass das Thema Industrie 4.0 in diesem Jahr in Tschechien noch ausreichend diskutiert und vorangebracht werden muss.