„Wir schlafen nicht“ – Museumsdirektor Michael Rund aus Sokolov
Fast jede Bezirksstadt in Tschechien hat ihr eigenes Museum. Die Museologen auf dem Lande stehen vor der Aufgabe, die regionalen Besonderheiten zu präsentieren und müssen dabei oft viele Aspekte unter einen Hut bringen. Das westböhmische Sokolov, das früher einmal Falkenau hieß, blickt auf eine jahrhundertealte Bergbautradition zurück. Doch das ist bei Weitem nicht alles, sagt Museumsdirektor Michael Rund. Er muss sich mit Archäologie genauso auskennen, wie mit NS-Geschichte oder moderner Architektur.
„Ich bin seit Herbst 2009 Direktor des Museums Sokolov, also seit sechs Jahren. Es gab ein Auswahlverfahren, für das unter anderem eine Konzeption vorgelegt werden musste, und dabei wurde ich gewählt.“
Wie sah ihre Konzeption aus, was haben Sie sich damals für das Museum Sokolov vorgestellt?
„Das war für fünf Jahre angelegt, und ich musste meine Vorstellungen darlegen – welche Baumaßnahmen ich plane, welche Aktionen, und so weiter.“
Was haben Sie für eine Ausbildung, sind Sie Museologe?
„Nein, eigentlich bin ich Wirtschaftswissenschafter. Aber ich habe mich immer für Geschichte interessiert und auch mehrere Bücher dazu geschrieben. Genauer gesagt, zur Architekturgeschichte, denn das ist mein Steckenpferd.“Das heißt, Sie interessieren sich für die Architektur speziell in Sokolov?
„Ja, in Sokolov haben wir mehrere Bauten des Architekten Rudolf Wels. Über ihn habe ich mein erstes Buch geschrieben, und das Interessante daran ist, dass er ein Mitarbeiter von Adolf Loos war, also dieses Gurus der modernen Architektur.“
Und die Gebäude, die er hinterlassen hat, die nutzen Sie nun für das Museum?
Das Museum Sokolov ist allerdings in einem ehemaligen Renaissanceschloss beheimatet. Der Schwerpunkt dort ist die Geschichte der Bergarbeiter in Sokolov?
„Nicht nur, denn diese Geschichte findet sich eher in unseren Filialmuseen. Wir haben ein Bergbaumuseum in Krásno und außerdem zwei Stollen. Einer davon ist der Stollen Nummer eins in Jachýmov, deutsch Joachimsthal. Das ist ein Stollen aus den 1950er Jahren. Und dann haben wir noch ein Zinnbergwerk aus dem 16. Jahrhundert namens Jeroným, auf deutsch Hieronymus. Direkt im Schloss in Sokolov haben wir 16 Säle, und nur zwei davon beschäftigen sich mit Bergbau, die übrigen mit der Geschichte und der Natur des Bezirkes Sokolov. Wir haben vor kurzem erst zwei neue Säle eröffnet, die sich der Inneneinrichtung und der Geschichte des Schlosses widmen.
Dazu gibt es noch Wechselausstellungen. Was steht denn demnächst auf dem Programm?„Im März haben wir eine große grenzüberschreitende Fotoausstellung. Dort werden Fotoclubs aus Bayern, Sachsen und Thüringen zu Gast sein. Im April öffnet eine große interaktive Ausstellung über Kriminalistik. Sie heißt ‚Die Spur‘. Außerdem zeigen wir im Herbst eine Krippenausstellung. Geplant sind außerdem Ausstellungen über Ägypten und das Mittelalter. Im Juni steht außerdem eine Museumsnacht auf dem Programm. Da werden wir uns mit dem Thema Kriminalistik und der Ausstellung ‚Die Spur‘ beschäftigen. Das heißt, auch nachts hat das Museum dann geöffnet, und es gibt ein buntes Programm.“
Ich möchte nochmals auf die Hieronymus-Grube zurückkommen. Was ist dort in Zukunft geplant?„Das Museum besitzt ja zwei Gruben. Die Hieronymus-Grube ist eigentlich ein mittelalterliches Bergwerk, denn wir haben dort auch Funde aus dem 15. Jahrhundert gemacht. Hauptsächlich wurde dort aber im 16. und 17. Jahrhundert abgebaut. Wir errichten dort momentan ein Gebäude mit Toiletten und Kasse, vor allem aber einen Veranstaltungsraum und eine kleine Ausstellung über das Bergwerk und die Funde. Schon letztes Jahr haben wir einen Teil des Bergwerks geöffnet. Für die Besucher war es sehr interessant, die Arbeit der Menschen aus dem 16. Jahrhundert zu sehen, die Spuren der alten Bergleute. Und dann haben wir noch ein zweites Bergwerg, in Jachýmov. Das ist ein Versuchs- oder Untersuchungsstollen aus den 1950er Jahren. Diese Stollen wurden zum Teil von politischen Häftlingen gebaut. In diesen Stollen kann man aber auch Räume sehen, die auch aus dem 16. Jahrhundert stammen. Im damaligen Joachimsthal wurde zu dieser Zeit Silber abgebaut, wovon sich der Begriff ‚Taler‘ ableitet und sogar der US-Dollar. Das ist auch eine interessante Geschichte. Und auch dort bauen wir mit Hilfe der EU ein Ausstellungsgebäude, in dem wir hauptsächlich die Geschichte der politischen Häftlinge aus den 1950ern Jahren erzählen möchten.“
Nach 1945 waren dort Gegner des kommunistischen Regimes inhaftiert?„Ja, von 1945 bis 1948 waren dort deutsche Kriegsgefangene. Nach 1948 waren dort politische Gegner. Aber natürlich haben dort auch normale Bergarbeiter gearbeitet. Die Stollen wurden teilweise von sozusagen normalen Arbeitern angelegt, zum Teil aber auch von politischen Häftlingen. In der Nähe des Stollens gibt es auch ein früheres Lager namens Svornost – deutsch Einigkeit. In dieses Lager führte eine Treppe, die die Häftlinge ‚Mauthausen-Treppe‘ nannten. Das war also ähnlich steil und gefährlich wie die Treppe im KZ Mauthausen. Dort wurden sogar mehrere Menschen ermordet, die aus dem Lager fliehen wollten. Mir sind drei Personen bekannt, die dort erschossen wurden.“
Ein Schwerpunkt wird mit Sicherheit auch das Kriegsende vor 70 Jahren. Welche Bezüge gibt es denn in Sokolov, und auf welche Weise wird das Museum an diese Jahrestage erinnern?
„Wir hatten bereits im Januar eine Ausstellung über die Zwangsarbeit in der Porzellanindustrie. In Zusammenarbeit mit der Stadt Sokolov planen wir im Mai mehrere Veranstaltungen. Wir werden eine Gedenktafel enthüllen für verstorbene jüdische Frauen, die auf sogenannten Todesmärschen durch Sokolov getrieben wurden. Außerdem gibt es eine Buchvorstellung von Vladimír Bružeňák. Er ist Professor am örtlichen Gymnasium und hat ein neues Buch geschrieben. Darin behandelt er verschiedene Außenlager in der Umgebung von Sokolov, die während des Zweiten Weltkriegs zum Konzentrationslager Flossenbürg in Bayern gehörten, sowie die bereits erwähnten Todesmärsche.“Westböhmen gilt abseits von den Bädern nicht unbedingt als Reiseziel Nummer eins in Südböhmen. Auch Sokolov ist eher industriell geprägt. Ist das ein Vorurteil?
„Darauf sage ich immer: Ja, wir haben hier zwar einen Kilometer vor der Stadt einen Braunkohletagebau. Aber alle anderen Tagebauten wurden bereits in schöne Seen umgewandelt. Da gibt es zum Beispiel den großen Medard-See. Und ganz Sokolov ist eine einzige große Parkanlage. Durch die Stadt führen zwei Radwege und außerdem die Eger / Ohře, die im Sommer bei Kanu-Fahrern beliebt ist. Auch die Umgebung ist sehr interessant. Da ist auf der einen Seite das Erzgebirge / Krušné hory, auf der anderen Seite der Kaiserwald / Slavkovský les. Und, am allerwichtigsten: Wir liegen mitten mit sogenannten Bäderdreieck von Karlsbad, Franzensbad und Marienbad. Von Sokolov aus ist es in alle diese Städte nicht weit. Kommen Sie also nach Sokolov, und Sie werden sehen, wie schön es hier ist…“Was würden sie denn zusammenfassend als die größte Herausforderung ihrer Arbeit bezeichnen?„Das ändert sich ständig. Ein Jahr ist es dies, das andere Jahr das. Momentan ist es für mich das Bergwerk Hieronymus. Dort bauen wir dieses Ausstellungsgebäude, und ich muss fast jeden Tag vor Ort sein. Außerdem betreiben wir dazu ein Facebook-Profil, auf dem wir neue Fotos zeigen. Am Wichtigsten ist auf jeden Fall, dass wir dort neue Räume gefunden haben, die wir nun mit Hilfe von Fachleuten und Archäologen ausmessen müssen. Viele Menschen denken ja, dass wir im Museum schlafen. Das stimmt aber einfach nicht. Mit diesen ganzen Projekten haben wir hier sehr viel Rummel, es ist viel zu tun.“