Nationalgalerie in 2015: Kokoschka, Rousseau, Gotik im Erzgebirge
In drei Blöcke lässt sich der Ausstellungsplan der Nationalgalerie in Prag für das Jahr 2015 einteilen. Oskar Kokoschka dominiert den Frühling, Henri Rousseau den Sommer und gotische Kunst aus dem Erzgebirge den Herbst. Jiří Fajt ist seit Sommer vergangenen Jahres Direktor der Nationalgalerie. Nun hat er das Programm für 2015, aber auch seinen Plan zur Neugestaltung des Prager Messe-Palastes vorgestellt.
Kokoschka in Prag, Sekal in Wien
Herr Fajt, das Programm der Nationalgalerie für 2015 beinhaltet nicht nur einzelne Ausstellungen, sondern ganze Programmblöcke. Welche Schwerpunkte bestehen in diesem Jahr 2015?„Wir wollen in der Nationalgalerie künftig von Ausstellungssaisons sprechen. Das ist ein neuer Aspekt der ganzen Dramaturgie der Nationalgalerie. Wir wollen nicht nur Ausstellungen, sondern auch thematische Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen, Workshops, Theateraufführungen, Kinos und Konzerte bündeln und der Öffentlichkeit vorstellen. Dabei planen wir drei Schwerpunkte in jeder Ausstellungssaison. Der erste kommt immer im Februar. Den Termin haben wir aufgrund des Gründungsjubiläums der Nationalgalerie ausgewählt. Der nächste Höhepunkt kommt im Sommer, in den Monaten Juni und Juli, mit dem besonderen Schwerpunkt auf die Besucher der tschechischen Hauptstadt. Und in dem Herbsttermin wollen wir uns eher der einheimischen Öffentlichkeit mit dem entsprechenden Programm zuwenden. Diese drei thematischen und zeitlichen Schwerpunkte werden also die Saison rhythmisieren und ihr eine Dynamik geben.“
Was ist denn in diesem Jahr geplant?„Wir beginnen am 19. Februar mit fünf Ausstellungsprojekten. Vor allen Dingen mit dem Thema Oskar Kokoschka und Prag. Wir haben diese Ausstellung in Kooperation mit dem Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg vorbereitet. Die Themen für die Station Prag wurden bisschen ausgeweitet: Es geht um vier Jahre, die Oskar Kokoschka in den 1930er Jahren in Prag verbracht hat. Darüber hinaus möchten wir eine neue, langfristige Präsentation von Videokunst, Filmen und neuen Medien einführen. In der bisherigen Dramaturgie der Nationalgalerie hat es daran gefehlt. Wir haben einen neuen Raum im Messe-Palast aufgetan, der bisher nicht genutzt wurde. Dort bauen wir jetzt fünf Bildschirme ein. Des Weiteren zeigen wir eine Rekonstruktion des Bildhauerateliers von Zbyněk Sekal. Er war ein hervorragender Bildhauer, der in den 1960er Jahren nach Wien ausgewandert und dort auch gestorben ist. Noch zu seinen Lebzeiten hat er sein Atelier als ein Gesamtkunstwerk zusammengestellt, und das wollen wir im Messe-Palast zeigen. Wir haben sein Atelier samt Innenausstattung von der Familie Sekals geschenkt bekommen. Das nächste Projekt widmet sich dem herausragenden Bildhauer Stanislav Kolíbal. Anlässlich seines Geburtstags wird er von uns mit einer Ausstellung seiner Zeichnungen geehrt. Und das letzte Projekt, das ab dem 19. Februar gezeigt wird, ist die Präsentation der Tschechischen Republik bei der Biennale in Venedig.“
Sommerprogramm für Touristen
Für den Sommer haben Sie angekündigt, sich an die Besucher Prags wenden zu wollen. Was bedeutet das für das Programm?„Wir werden vor allem zwei internationale Projekte zeigen. Zum einen eine Ausstellung, die wir in Kooperation mit der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main vorbereiten, mit dem Titel ‚Geheimweg zur Moderne‘. Sie behandelt Künstler seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, die fast in Vergessenheit geraten sind. Sie wurden als Barfußpropheten bezeichnet und haben die europäische künstlerische Avantgarde sehr stark beeinflusst. Wir zeigen Werke von Schiele, Kupka, Hundertwasser oder von Joseph Beuys. Die Ausstellung umfasst die Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre. Im Juli zeigen wir auch eine Ausstellung über Henri Rousseau, die wir in Kooperation mit dem Musée d’Orsay in Paris und dem Palazzo Ducale in Venedig veranstalten. Da wollen wir das faszinierende Thema ‚archaischer Malstil‘ vom Anfang des 20. Jahrhunderts um mitteleuropäische beziehungsweise tschechische Aspekte ergänzen. Es gibt nämlich eine ganze Reihe Künstler, die in den Ländern Mittel- und Ostmitteleuropas gewirkt haben, und für die Henri Rousseau mit seinem Malstil eine herausragende Persönlichkeit und Vorbild war.“
Wechselwirkungen zwischen Sachsen und Böhmen in der Gotik
Und wie wird das Herbstprogramm aussehen?„Mit dem Herbstprogramm sprechen wir wieder Einheimische an, würde ich sagen. Also wir möchten uns wieder mit der tschechischen oder mitteleuropäischen Kunstszene auseinandersetzen. Wir zeigen vor allen Dingen ein Projekt, das sich mit der staatlichen Ikonographie und mit Mitteln der Staatsrepräsentation auseinandersetzt. Es entsteht in Zusammenarbeit mit der Akademie der angewandten Kunst in Prag. Die Ausstellung wird zeigen, wie sich die neugegründete Tschechoslowakische Republik im Jahr 1918 präsentiert hat, welche Mittel dabei genutzt wurden. Wir gehen darin bis zur Wende, also bis ins Jahr 1989. Es wird ein kritisches Projekt sein, denn ich betrachte die Nationalgalerie auch als ein kritisches Museum. Wir wollen eine Plattform für Themen schaffen, die die Gesellschaft interessieren. Darüber hinaus zeigen wir ein Projekt mit dem Titel ‚Gotik im Erzgebirge‘. Es ist ein faszinierendes Thema, weil im Erzgebirge auf den beiden Seiten der jetzigen Grenze, in Böhmen genauso wie in Sachsen, vielleicht mit dem Schwerpunkt eben in Sachsen, zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhunderts ganz wichtige Kunstzentren entstanden sind. Erwähnen sollte man dabei zum Beispiel Annaberg und Freiberg. Das sind Namen, die für Kunsthistoriker sehr bedeutend sind. Diese Blüte der bildenden Künste auf der sächsischen Seite hatte ihre Auswirkungen bis ins Königreich Böhmen. Und diesen Wechselwirkungen, diesem künstlerischen Transfer widmet sich dieses Projekt. Wir sind gerade in den Verhandlungen mit unseren Kollegen aus Chemnitz und sprechen auch über eine mögliche zweite Station der Ausstellung in einem der deutschen Museen, höchstwahrscheinlich im Schlossmuseum in Chemnitz.“
Sie haben eine Ausstellung erwähnt, die sich der Gotik widmet. Sonst betreffen aber die meisten Ausstellungen und Projekte die moderne Kunst. Bedeutet das, dass die moderne Kunst im Zukunft im Fokus des Interesses der Nationalgalerie stehen wird?„Ich glaube nicht nur. Es versteht sich von selbst, dass die moderne oder zeitgenössische Kunst eine größere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Trotzdem geht es uns nicht nur darum, die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu zeigen. Dabei spielt mit hinein, dass wir die Projekte, die sich mit den Alten Meistern befassen, über längere Zeitperioden vorbereiten müssen. Sie brauchen einfach mehr Zeit. Aber schon im nächsten Jahr werden wir ein großes Projekt zu einem alten Thema haben, nämlich zum Thema Karl IV. Karl wurde 1316 geboren, daher werden wir 2016 sein Jubiläum feiern, und zwar in Kooperation mit Bayern. Wir bereiten nämlich eine tschechisch-bayerische Landesausstellung vor, zusammen mit dem Haus der Bayerischen Geschichte und mit dem Germanischen Nationalmuseum. Die Ausstellung wird in Prag im Mai 2016 eröffnen und ihre zweite Station ab Oktober 2016 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg haben.“
Das ist ein Ausblick in das Jahr 2016. Jetzt zurück zur modernen Kunst. Sie wird in der Nationalgalerie in Prag vor allem im Messe-Palast ausgestellt. Dieses Ausstellungsgebäude soll eine Neugestaltung durchlaufen…„Auf alle Fälle. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Nationalgalerie das Potential dieses Gebäudes bisher nicht erkannt, geschweige dann genutzt hat. Mein Team ist dabei, dies zu ändern. Wir haben auch Architekten eingeladen und wir setzen uns jetzt damit auseinander, wie man dieses herausragende Gebäude neu und auf funktionelle Weise umwandeln kann, neu nutzen kann. Wir werden zum Beispiel das ganze Erdgeschoss für die Besucher zugänglich machen, was bisher erstaunlicherweise nicht der Fall war. Wir haben aber auch eine Kooperation mit der Buchhandlung und dem Verlag König abgeschlossen. Mit Walter König und seinem Sohn Franz aus Köln werden wir nun im Messe-Palast eine Buchhandlung eröffnen. Ich freue mich sehr über diese Zusammenarbeit mit einem der prestigeträchtigsten Buchhändler auf dem Kontinent.“
Herr Fajt, ich danke Ihnen für das Gespräch und für die Programmempfehlungen.„Herzlichen Dank. Wenn die Hörer von Radio Prag mal nach Prag kommen, würden wir sie sehr herzlich in der Nationalgalerie willkommen heißen.“