„Die Welt in Pilsen und Pilsen in der Welt“ - Petr Forman über seine Kulturhauptstadt
Offenheit und Kreativität, die dauerhafte und nachhaltige Verwandlung in eine anerkannte Kulturmetropole, Raum für den Dialog der Kulturen, Ethnien und Nationen sowie eine weitreichende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Leben ihrer Stadt – das sind die Hauptziele von Pilsen 2015. Das Konzept und viele der Programmideen wurden im Kopf des künstlerischen Leiters Petr Forman geboren. Radio Prag hat mit Petr Forman über seine Pläne und Anliegen bei der Programmgestaltung von „Pilsen 2015“ gesprochen.
„Die Geschichte, die mich inspiriert hat, ist das erste Läuten der neuen Glocken in Pilsen. Wie bekannt, wurden vier von fünf Glocken in der Bartholomäus-Kathedrale vor 70 Jahren von den Nazis beschlagnahmt und zu Waffen und Munition eingeschmolzen. Die Pilsner haben vor zwei Jahren eine Spendensammlung für neue Glocken veranstaltet. Sie sollten ursprünglich am 1. Januar zum ersten Mal läuten, aber wir haben den Bischof und die Organisatoren gebeten, dieses Ereignis auf den 17. Januar zu verschieben. Sie stimmten zu, und ich habe das Ereignis als Hauptidee der Eröffnungsfeier genutzt. Pilsens Hauptplatz wird zur Kulisse des ersten Glockenläutens. Ich plane das alles als eine Theatervorstellung, sie spielt sich im großen offenen Raum ab und ist für Menschenmassen bestimmt. Die Schönheit der Kathedrale und des Platzes wird zur Schaubühne, und die Menschen werden sich mitten im Geschehen befinden. Ich will aber nicht zu viel verraten, denn es soll eine Überraschung werden.“
Nach 40 Minuten Vorstellung soll sich dann die Stadt öffnen, die Menschen können draußen bleiben oder in Konzertsälen und Musikclubs der Stadt weiter feiern. Gerade die Beteiligung der Pilsner Einwohner ist eine der tragenden Ideen der ganzen Veranstaltungsreihe:„Das ist eine der wichtigsten Sachen. Es hätte keinen Sinn, ein so großes Projekt in irgendeiner Stadt zu machen, ohne die Einwohner miteinzubeziehen. Wer will, kann selbstverständlich nur als Zuschauer teilnehmen. Denn eines der Ziele ist, auch Menschen, die sonst manchmal sogar Angst vor Kultur haben oder diese nicht für wichtig in ihrem Leben halten, als Zuschauer zu den Vorstellungen, Veranstaltungen und Kulturprogrammen zu bringen. Eine andere wichtige Sache ist, die Menschen zu unterstützen, die die Kultur in der Stadt schaffen.“
Dass Pilsen 2015 ein europäisches Projekt ist, bedeute für Petr Forman, dass die Veranstaltung die Grenzen der Stadt überwinden muss. Das gilt sowohl konkret als auch im übertragenen Sinn.„Meine große persönliche Sehnsucht, aber ich denke auch der Sinn des gesamten Projekts ist es, Pilsen der Welt zu öffnen. Wir wollen nicht nur der Welt zeigen, was wir können, sondern wir wollen uns von Europa und von der ganzen Welt auch inspirieren lassen. Das ist meiner Meinung nach in jeder Stadt dieser Größe nötig: Metropolen wie Prag oder Paris haben natürlich mehr Gelegenheiten, aber Städte wie Pilsen sind immer noch benachteiligt. Einige Bereiche konnten hierzulande während kommunistischer Zeit über 40 Jahre lang nicht entwickelt werden: Ich denke vor allem an Aktivitäten auf der Straße, und zwar nicht nur Straßentheater, sondern auch etwa Märkte und alle möglichen Feiern und Feste. Zum Beispiel wurde ich im Kommunismus in dem Sinne erzogen, dass ich den städtischen Rasen nicht betreten darf. Und heute sehe ich, wie schön und natürlich es ist, wenn Menschen den öffentlichen Raum nutzen, um sich dort zu erholen, zu tanzen, zu lernen oder sich einfach nur hinzulegen. Die Menschen meiner Generation tragen noch gewisse Barrieren in sich, und da können wir uns von dem inspirieren lassen, was in der Welt geschieht und üblich ist.“
Pilsen öffnet sich also der Welt, wie das Motto des Projekts heißt. Aber auch aus der westböhmischen Stadt selbst sind Impulse gekommen, die von der Welt übernommen und weiter entwickelt wurden:„Ich muss auf die Welt des Puppentheaters hinweisen, die ich sehr liebe. Josef Skupa und Jiří Trnka sind gebürtige Pilsner. Diese Persönlichkeiten haben die Welt des Puppentheaters wesentlich beeinflusst. Nicht nur bei uns, sondern weltweit. Tim Burton macht heute Filme, die sich die ganze Welt anschaut. Auch er hat sich von Skupa und Trnka inspirieren lassen. Ich finde es schade, dass das nicht bekannt ist. Ich bin bescheiden, aber ich sage, die Pilsner können mit Recht stolz sein auf solche Persönlichkeiten.“
Petr Forman schaut aber auch über die Grenzen der Stadt hinaus:
„In Pilsen selbst und im Kreis Pilsen gibt es viele wunderschöne Dinge wie Denkmäler und Geschichtsmonumente. Man darf nicht nur über Bier, über die Pilsner Synagoge und über die Kirchen Pilsens sprechen – wie sehr ich dies alles auch mag -, sondern man sollte auch die Region erwähnen, die ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist. Dort liegen unglaubliche Orte, die heute zwar schon zugänglich, aber trotzdem noch ziemlich unbekannt sind. Dazu gehören zum Beispiel viele wertvolle Barockdenkmäler und barocke Innenräume, die renoviert wurden und auf die die Region stolz sein kann. Das ist eine große Sache, die wir der ganzen Welt zeigen können.“Viele der Veranstaltungen und Programmpunkte sind international und grenzüberschreitend. Und da der Kreis Pilsen an Bayern grenzt, bestehen besonders intensive Kontakte mit deutschen Partnern. Ein Bespiel ist der sogenannte „Zug zur Kultur“. Er wird ab 17. Januar an den Wochenenden von Regensburg nach Westböhmen unterwegs sein und Kulturgäste aus Bayern nach Pilsen bringen.
„Mit der deutschen Seite verbindet uns die intensivste Zusammenarbeit. Es wird häufig über die Beziehungen mit dem belgischen Mons gesprochen, das ist die zweite Kulturhauptstadt 2015. Aber auf der bayerischen Seite gibt es mehrere große Projekte, die mit uns verknüpft sind. Auf deutscher Seite besteht großes Interesse an uns. Ich würde sogar sagen, dass das Programm von Pilsen 2015 zwar im Dezember in Prag veröffentlicht wurde, aber bei den Deutschen schon längst bekannt war. Gemeinsame Projekte sind geplant. Es kommen viele Deutsche zu uns nach Pilsen, um das hiesige Programm zu sehen, aber viele Veranstaltungen werden auch nach Bayern gebracht. Eine der Ursachen liegt darin, dass es jenseits der Grenze Menschen gibt, die offen sind für die Zusammenarbeit.“