Piraten entern Marienbad – „Wir wollen die jungen Leute zurückholen“
Es war eine der größten Überraschungen bei den jüngsten Kommunalwahlen: Im westböhmischen Mariánské Lázně / Marienbad holten die Piraten 21 Prozent und damit die meisten Stimmen. Der 29-jährige Vojtěch Franta hat als Parteiloser für die Piratenpartei kandidiert und wird am Mittwoch zum Bürgermeister gewählt. Vor welchen Problemen steht die neue Koalition in dem Kurort? Wie kann aus Marienbad, das unter der Abwanderung der Jugend leidet, und vom Ruhm der Vergangenheit zehrt, wieder ein kulturelles Zentrum werden? Antworten dazu im Politgespräch mit dem designierten Bürgermeister Vojtěch Franta.
„Wir dachten uns, das kann nicht wahr sein, dass es da irgendeinen Fehler gegeben hat und neu ausgezählt werden muss. Es war ein unglaublicher Sieg auf politischer Ebene, eine ganz einzigartige Situation. Fünf unserer Leute wurden in den 21-köpfigen Stadtrat gewählt. Die Piraten haben in Marienbad den einzigen Sieg in der Tschechischen Republik geholt und sind mit einem erdrückenden Übergewicht in den Stadtrat eingezogen. Es war also ein Riesenerfolg – wir haben uns sehr gefreut.“
Vojtěch Franta übernimmt den Bürgermeisterposten vom Bürgerdemokraten Zdeněk Král, der seit 2006 im Amt war. Laut Franta wünschen sie die Bewohner der 13.000-Einwohner-Stadt einen Wechsel. Weil der einstmals mondäne Kurort mit der Überalterung kämpft, waren die Piraten als junge Partei für viele Wähler eine Alternative.
„Das größte Problem bei uns ist mit Sicherheit der Weggang der jungen Leute aus Marienbad. Wir repräsentieren in diesem politischen Spektrum also die jüngste Partei – das war ein wichtiger Grund. Und dazu kommt wohl noch der der Wille, einen politischen Wandel herbeizuführen, das undurchlässige politische System hier vor Ort zu ändern und die Parteien abzulösen, die schon seit 25 Jahren im Rathaus sind. Es gibt also eine Tendenz, Veränderungen herbeizuführen, hin zu einer jungen Partei mit großem Potential. Das bieten wir ihnen, und wir werden versuchen, so viel wie möglich davon auch umzusetzen.“Franta selbst ist kein Mitglied der Piraten. In Marienbad engagiert er sich seit einigen Jahren auf zivilgesellschaftlicher Ebene.
„Ich persönlich vertrete die Bürgerinitiative Švihák, die sich in Marienbad für eine Belebung und Verjüngung im kulturellen Bereich einsetzt. Wir arbeiten nun schon fast zwei Jahre daran, den Menschen einen Grund zu geben, nach Marienbad zurückzukehren, das Wochenende hier zu verbringen und Kultur zu erleben. Als ich festgestellt habe, dass es hier großes Interesse an mir und an Švihák auch auf politischer Ebene gibt, und dass wir in der Lage gemeinsam mit einer Partei einen wirklichen Wechsel im Rathaus herbeizuführen, war es nicht mehr weit bis zu dieser Entscheidung. Ich habe mir gesagt: Ich unterstütze die Partei, die mir am sympathischsten ist. Also habe ich als Parteiloser für die Piraten kandidiert, stand dort also ganz unten auf der Liste. Und die Wahlen haben mich dann in gewisser Weise nach vorne katapultiert.“ Vor ihm war nur der Spitzenkandidat Ondřej Knotek, der nun ebenfalls im Stadtrat sitzt. Doch warum waren die Bürger von Marienbad so unzufrieden mit der bisherigen Arbeit im Rathaus?„Der Hauptgrund ist meiner Meinung nach, dass es kein Konzept gab. Die Stadt hat immer ad hoc zu jeder Angelegenheit separat entschieden, hatte aber keine Visionen und hat nie gesagt, wo sie Marienbad in zehn oder zwanzig Jahren sieht. Genau darüber müssen wir uns nun verständigen, und das nicht nur mit Menschen in der Politik, sondern auch die Bürger dazu befragen genauso wie die Touristen. Wir müssen eine gemeinsame Vision ausarbeiten. Und wenn wir die haben, können wir darauf aufbauen, auf Konzepte, Entwicklungsstudien und strategische Flächennutzungspläne. Das hängt alles miteinander zusammen.“
Den Piraten wird häufig ein Mangel an Programmatik vorgeworfen. Franta glaubt, dass sich die Ideen der Piratenpartei gerade auch auf lokaler Ebene durchsetzen lassen werden.„Vieles ist von den modernen Informationstechnologien beeinflusst. Es geht hauptsächlich um einen transparenten Umgang mit den anvertrauten Wählerstimmen, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Dass etwa die Bürger an allen Sitzungen teilnehmen können, dass wir Ihnen erklären und übermitteln, was der Stadtrat eigentlich entscheidet, damit es nicht zur Desinformation der Einwohner kommt. In erster Linie ist es also die Transparenz. Außerdem natürlich die Dinge, für die die Piraten bekannt sind - also die Anwendung von Internet, Open-Source-Systemen und entsprechenden Programmen. Zudem funktioniert das Netz der Piraten durch perfektes Networking. Das heißt, wir können uns der Programme von überallher bedienen, sie müssen nicht in Marienbad entstanden sein. Wir haben vor, eng mit den Piraten weltweit zusammenzuarbeiten und deren Ideen hier auf kommunaler Ebene anzuwenden.“
Franta, der nach dem Studium ein Jahr lang in Pilsen gearbeitet hat und bislang gependelt ist, wird nun in seine Heimatstadt zurückkehren. Welche Beweggründe haben dazu geführt, dass er sich politisch engagiert?„Das kommt wohl daher, dass ich hier kaum noch Freunde habe. Alle meine Freunde, mit denen ich ins Gymnasium gegangen bin, leben schon lange nicht mehr in Marienbad. Viele sind weggegangen, nach Prag oder in Großstädte im Ausland. Das ist sehr schade, denn es sind meistens sehr gut ausgebildete Leute, die dieser Stadt sehr helfen könnten. Das Arbeitsangebot hier ist sehr schlecht – es gibt nur ein einseitig orientiertes Segment, den Tourismus, und der kann nur sehr wenige qualifizierte Menschen beschäftigen. Das ist die eine Sache. Und auf der anderen Seite schmerzt es mich, dass es von Seiten der jüngeren Leute kein Interesse für den Bädertourismus gibt und dass keine jüngeren Touristen nach Marienbad kommen. Das Klientel, das uns besucht, ist nicht besonders vielfältig. Ich finde, es sollten interessante Menschen aus der ganzen Welt zu uns kommen, damit diese Stadt von vorn beginnen kann. Es sollten auch Stars zu uns kommen, aus der Stadt sollte wieder ein kulturelles Zentrum werden. So wie es früher war, denn auf diesem Prinzip ist Marienbad gegründet worden.“
Der Bädertourismus – für Marienbad ist er immer noch die größte Einnahmequelle. Direkt nach der Wende gab es einen Wiederaufschwung, damals mussten wegen des Touristenansturms sogar die Bürgersteige verbreitert werden. Heute ist es ruhig in der Stadt, viele Häuser und Hotels stehen leer.„Auch die Touristen werden langsam älter. Außerdem gibt es hier den Trend, die Touristen im Hotel zu halten, und dort alle Arten von Service anzubieten, sie aber gar nicht mehr nach draußen zu lassen. Das ist schade, denn diese Stadt wurde fürs Promenieren geschaffen, um sich in den Kolonnaden, Parks und bei Trinkkuren zu treffen. Heute erhalten alle ihre Prozeduren in den Hotels, und dort wird auch das Unterhaltungsprogramm geboten. Wir wären froh, wenn die Leute wieder auf die Straßen gehen und die Stadt neu beleben würden.“
Das Potential dafür sieht Franta auch bei jungen Touristen.„Der Bädertourismus könnte meiner Meinung nach zu einem neuen gesellschaftlichen Trend werden. Nach und nach ändert sich der Lifestyle der Touristen. Das Interesse für die Regionen nimmt zu, auch das Interesse für das Angebot im eigenen Land. Jüngere Leute könnten nicht nur wegen Badekuren nach Marienbad kommen, sondern zum Beispiel wegen des Sportangebots. Die Natur hier in der Umgebung ist wunderschön, es ist ruhig, und es bestehen jede Menge Möglichkeiten, um Sport zu treiben. Wenn ich nicht aus Marienbad wäre, würde ich sicherlich als Urlauber hierher kommen.“
Zu den Aufgaben für die kommenden Jahre zählt Franta auch die deutsch-tschechischen Beziehungen. Die Grenze ist nur 20 Kilometer entfernt. Die Kontakte zum Nachbarlandkreis Tirschenreuth wie auch zur Partnerstadt Weiden will Franta neu beleben.
„Darauf freue ich mich. Ich denke, mit Deutschland werden wir enge Beziehungen knüpfen. Ich werde Kontakt aufnehmen mit den Bürgermeistern und Landräten der angrenzenden Gemeinden, und dann werden wir gemeinsame Vorstellungen entwickeln, sei es bei den Zugverbindungen oder den bestehenden Programmen wie der Euregio Egrensis. Auf dieser Basis können wir die Zusammenarbeit etablieren, und uns auch Projekte ansehen, die in Deutschland funktionieren, und diese dann hier anwenden. Dazu gehört zum Beispiel der Schüleraustausch. Wir wollen die immer noch bestehenden Grenzen also tatsächlich abreißen.“ In vielen Rathäusern haben sich bei den Kommunalwahlen lokale Bewegungen durchgesetzt. Oft sind ihre Mitglieder sehr jung und politisch unerfahren – so wie Franta. Die Piraten sehen sich nicht als die Rebellen von Marienbad, sondern wollen gemeinsame Lösungen finden.„Wir haben mit Sicherheit keine Angst. Wir wollen hier aufzeigen, welche neuen Richtungen möglich sind. Und dabei können uns die alten, etablierten Parteien helfen. Wir wollen die Zusammenarbeit mit allen Gruppierungen. Ich befürchte also nicht, dass sie uns Knüppel zwischen die Beine werfen werden, sondern freue mich auf die Kooperation. Wir alle haben eine ähnliche Vorstellung davon, wie die Zukunft hier aussehen sollte. Wir Piraten können dazu unseren Teil beitragen, etwa mit den modernen Informationstechnologien oder den Ansätzen zur Transparenz. Und die etablierten Parteien bringen wiederum ihren Erfahrungsschatz mit ein. Diese beiden Pole werden wir verbinden.“