„Fair play“ – erster Film zum Staats-Doping in der ČSSR
Schon seit längerem ist kein tschechischer Film mehr über den Leistungssport gedreht worden. Zuletzt hatte sich eine TV-Serie damit auseinandergesetzt, sie wurde nur wenige Monate vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in der ČSSR 1989 gedreht. Vom ideologischen Einfluss war der Sechsteiler nur noch minimal geprägt gewesen. Allerdings hatte er eines nicht einmal andeutungsweise thematisiert: das Doping. Bis heute ist der Einsatz verbotener leistungssteigender Mittel durch den kommunistischen Staat nicht aufgearbeitet. Vor kurzem hat die Regisseurin und Drehbuchautorin Andrea Sedláčková den ersten tschechischen Spielfilm darüber gedreht. „Fair play“, so der Titel, wurde mittlerweile von Tschechien in das Rennen um den nächsten Oscar geschickt.
Die Regisseurin Andrea Sedláčková lebt in Frankreich, dorthin war sie im Sommer 1989 ausgewandert. Zunächst schlug sie sich in der neuen Heimat mit Gelegenheitsjobs durch, erst später studierte sie Regie und Schnitt an der staatlichen Filmhochschule La Fémis in Paris. In Frankreich etablierte sie sich in der Folge als anerkannte Cutterin. 2006 wurde der französische Spielfilm „Joyeux Noël“ („Merry Christmas“), an dem sie mitgearbeitet hatte, in den USA für den Golden Globe sowie für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert. 2009 erhielt Sedláčková im Bereich Schnitt eine Nominierung für den französischen César. Im Jahr 2000 hatte sie bereits begonnen, als Drehbuchautorin und Regisseurin für tschechische Fernsehproduktionen zu arbeiten. Bis heute hat sie dabei auch drei Fernsehfilme gedreht.
Schon immer sei ihr Wunsch gewesen, einen Spielfilm über den Kampf für „etwas menschliche Freiheit“ in der kommunistischen Diktatur zu drehen, das hat Andrea Sedláčková kürzlich in einem Interview gesagt. Dass dieser Kampf nun ausgerechnet auf einer Geschichte über die Nutzung von Doping im tschechoslowakischen Sport der 1980er Jahre basiert, schreibt die Regisseurin einem Zufall zu:„Wie bereits bei meinem ersten Spielfilm ‚Ich muss dich verführen‘ (Musím tě svést) habe ich mich auch in ‚Fair play‘ von einem Zeitungsartikel inspirieren lassen. Ihm zufolge wurden im Archiv des Innenministeriums Geheimdokumente über ein 1983 gestartetes Dopingprogramm im tschechoslowakischen Leistungssport gefunden. Ich wusste sofort, dass dies ein tolles und interessantes Thema sein würde, das in der tschechischen Kinematographie bisher kaum reflektiert wurde.“
Als Andrea Sedláčková an dem Drehbuch zu arbeiten begann, war sie zunächst verwundert: Bis heute gibt es in Tschechien weder eine wissenschaftliche Arbeit noch einen Dokumentarfilm zum Thema Doping. Um Details zu erfahren, aber auch grundlegende Informationen zu erhalten, wandte sie sich an noch lebende Zeitzeugen: Sportler, Trainer und Ärzte.„Es war schwer, an sie heranzukommen. Zu einigen Sachkundigen habe ich mich letztlich durchgearbeitet. Anfangs wollten sie aber nichts zum Thema sagen, später dann nur anonym. Diese Leute haben mich als dumme, naive Person betrachtet, die ich im Grunde genommen auch war, weil ich über die Dopingpraktiken im Sport fast nichts wusste. Im gewissen Sinne war es aber mein Vorteil. Je dümmer meine Fragen waren, desto interessanter waren die Details, die ich erfahren konnte. Nach und nach haben sich meine Gesprächspartner an vieles erinnert, was sie im Laufe der Zeit wohl verdrängt hatten. Es lag ja schon 30 Jahre zurück“, so Sedláčková.
Ein Arzt habe sie mit seinen Ausführungen über die Praxis im Stil „der Leitung von sportlichen Leistungen“ buchstäblich überrascht:„Er sagte, man habe den Spitzensportlern das Leben gerettet, weil sie sowieso schon vorher auf eigene Faust gedopt hätten. Sie seien selbstverständlich auf dem Laufenden gewesen, auch den tschechoslowakischen Athleten dürfte nicht entgangen sein, dass viele Kollegen aus der Sowjetunion und der DDR zunehmend Spitzenleistungen erreichten, für die sie Medaillen ernteten. Es sei bekannt gewesen, so der Arzt, dass man in den Abfalleimern in den Umkleideräumen dieser Kollegen leere Stromba-Dosen gefunden hatte. Dieses Mittel habe sich angeblich jedermann bei einem Auslandsaufenthalt beschaffen können. Unsere Sportler hätten mit der Zeit zwar gemerkt, wie ihre Körper reagierten, hätten aber nicht gewusst, wie gefährlich das Mittel gewesen sei. Um es kurz zu machen, die Ärzte sagen also, wenn sie die Einnahme von Steroiden für die Sportler nicht geregelt hätten, hätte sich mancher von diesen zu Tode gedopt.“
Im Film „Fair play“ erwartet die Kinobesucher keine sensationelle Enthüllung eines Dopingskandals. Das zentrale Motiv ist vielmehr das persönliche Drama einer jungen Sportlerin, die sich gegen das Dopingprogramm wehrt und dafür schwer bezahlen muss.In dem Film wird die 18-jährige talentierte Sprinterin Anna für das Trainingsprogramm im Zentrum für Leistungssport ausgewählt. Sie soll für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Los Angeles aufgebaut werden. Zur selben Zeit wird der Regierungsbeschluss von 1983 über staatlich geleitetes Doping umgesetzt. Dies geschieht unter dem harmlos klingenden Titel „Programm zur Erhöhung der Qualität und Fürsorge für die tschechoslowakischen Leistungssportler als Repräsentanten des Staates“. Der Filmheldin Anna werden ohne ihr Wissen Anabolika verabreicht, getarnt als angeblich unschädliche Präparate zur Muskelaufbauförderung. Ihre sportlichen Leistungen steigen doch treten bei ihr auch gesundheitliche Probleme auf. Anna protestiert daher gegen die Einnahme der verdächtigen Medikamente und will ohne sie weiter trainieren. Doch damit gerät sie in eine Zwickmühle.
„Fair play oder Olympia“– vor diesem Dilemma steht nämlich auch Annas Mutter, ein ehemaliges Tennis-Ass. Nach der Emigration ihres Ehemanns kann sie ihr Geld nur noch als Reinigungsfrau verdienen. Die Mutter träumt aber von einer besseren Zukunft für ihre Tochter. Sie klammert sich an den Gedanken, dass Anna die vorgesehene Olympiateilnahme zur Immigration nutzen könnte.Nach geheimer Absprache mit Annas Trainer beschließt sie, selbst ihrer Tochter das Stromba zu spritzen – getarnt als notwendige Vitaminverabreichung. Doch erneut treten Komplikationen auf. Anna macht ihrer Mutter schwere Vorwürfe und trifft die Entscheidung ihres Lebens. Andrea Sedláčková:
„1983 war ich ungefähr so jung wie Anna. Durch diesen Film wollte ich auch darüber erzählen, wie sich damals meine Generation gefühlt und was sie erlebt hat. Wir sahen, wie sich unsere Eltern den politischen Verhältnissen anpassten und Kompromisse eingingen. Wir wollten dies aber nicht, auch wenn es unseretwegen war. Ich kann mich gut erinnern, dass die Beziehung zu meinen Eltern gerade von diesen Gefühlen am stärksten geprägt wurde.“Es sei für sie wichtig, auch über jene Zeiten zu berichten, sagt die Regisseurin. Gleichzeitig wolle sie aber auch eine zeitlose Botschaft vermitteln.
„Mein großer Wunsch ist, dass sich die Zuschauer bewusst werden, wie man auch im heutigen oder allgemein in jedem Gesellschaftssystem vor der Wahl steht, sich anzupassen oder nicht. Heutzutage ist diese Wahl oft finanziell oder durch andere Vorteile motiviert. Man geht zwar nicht so erschreckend weit wie früher, trotzdem ist dieses Thema nach wie vor aktuell. Wichtig ist, die moralischen Grenzen im Auge zu behalten.“Aber auch noch etwas Weiteres will Andrea Sedláčková durch ihre Filmheldin vermitteln: Der Preis dafür, der Versuchung die Stirn zu bieten und nein zu sagen, kann sehr hoch sein.
Dieser Beitrag wurde am 22. März 2014 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.