Malerin Rut Kohn: „In meinen Kafka-Bildern ist nichts Grausames“
Die tschechische Malerin Rut Kohn wurde 1937 in Třebušice / Triebschitz in Nordböhmen geboren. 1967 emigrierte sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Erst in München begann ihre Karriere als Malerin und Illustratorin. Seit 1990 kann sie auch in ihrer Heimat wieder ausstellen. Vom tschechischen Staat erhielt sie für ihr Schaffen im Jahr 2006 die Auszeichnung „Bedeutende tschechische Frau in der Welt“. Am Montag wurde ihre Ausstellung mit dem Namen „Hommage an den Landvermesser K.“ in Prag eröffnet. Sie zeigt Kohns Bilder zu mehreren Themen, die meisten sind vom Leben und Werk Franz Kafkas inspiriert.
„Das kann man so sagen. Wir haben die Tschechoslowakei im Jahr 1967 verlassen. Vorher habe ich auch kleine Sachen gezeichnet oder gemalt, aber nicht konsequent. In München habe ich dann später viel Zeit für mich selbst gehabt und habe mich dem Malen gewidmet. Die erste Ausstellung hatte ich 1977 in München, und später 1983 dann eine große Ausstellung. Sie war eben Franz Kafka gewidmet. Damals habe ich fast hundert teils Zeichnungen, teils Bilder gezeigt, die ich mit meiner eigenen Technik angefertigt habe. Diese Technik nutze ich bis heute.“
Ich möchte noch auf die Jahre vor der Emigration zurückgehen. Sie waren in der Tschechoslowakei als Lehrerin tätig…
„Ich habe fast zwölf Jahre lang unterrichtet: am Anfang in Karlsbad, dort habe ich meinen Mann getroffen, und später war ich in Prag. Die Jahre waren nicht leicht. Es war nicht leicht, zwei Kinder zu haben und den Beruf auszuüben. Es gab auch manche Konflikte. Meine politischen Ansichten waren meine private Sache, aber eigentlich habe ich mich in politischen Dingen nicht engagiert. Ich war nie Mitglied der damaligen Jugendgruppen und auch nicht der Kommunistischen Partei. Das war schon schwer, man war ein bisschen ausgeschlossen.“
Sie haben sich 1967 aus politischen Gründen entschieden, in die Emigration zu gehen. Haben Sie absichtlich gerade Deutschland als Ihre neue Heimat gewählt, oder war dies Zufall?
„Wir haben zu unserer Überraschung eine Bewilligung bekommen, mit unseren zwei kleinen Kindern – die Tochter Rachel war damals fünf Jahre alt und der Sohn David drei Jahre – zu Besuch nach Frankfurt zu fahren. Dann haben wir uns gesagt, wir machen das hauptsächlich für unsere Kinder. Ich habe als Lehrerin gesehen, wie schwierig es war, die Kinder wirklich ehrlich zu erziehen. Man war immer mit der politischen Situation konfrontiert. Es war nicht leicht, doch wir haben uns entschlossen, von Frankfurt aus nicht mehr zurückzufahren. Für mich war es sehr traurig, weil meine Eltern noch in Prag lebten, genauso wie alle meine Geschwister - ich bin eines von sechs Geschwistern. Die Wahl Deutschland und später München fiel wegen meines Mannes: Er war eng mit der tschechischen Sprache verbunden, und in München saß der Rundfunksender Radio Freies Europa. Dort war es möglich, auf Tschechisch und im Bereich Kultur zu arbeiten. Das war ideal für meinen Man. Darum diese Entscheidung für Deutschland und München. Aber ich muss sagen, München ist eine wunderschöne Stadt und ist auch sehr freundlich gegenüber nichtdeutschen Menschen. Gerade in Künstlerkreisen waren alle sehr freundlich und nett. Jetzt leben wir in Niederbayern, nicht weit von Passau, und dort sind wir sehr geschätzt und haben auch sehr gute Freunde, unter Künstlern und Schriftstellern. Es ist unglaublich, welche Kultur es auch in einer kleinen Stadt gibt.“Sie haben einige literarische Werke illustriert, es sind vor allem Werke der tschechischen Literatur. Haben Sie damit ihr Beziehung zu Tschechien gestärkt und gepflegt?
„Sicher. Auch dadurch, dass mein Mann bei Radio Freies Europa gearbeitet hat, haben wir immer gewusst, wenn etwa ein Buch von Hrabal erschienen ist. Dann gab es die Exilverlage wie '68 Publishers von Škvorecký in Toronto und Index in Köln. Wir haben das alles verfolgt. Dass Kafka für mich Anlass war, Bilder zu machen, liegt daran, dass mich seine Werke tief angesprochen haben. Und das gilt auch für meine Bilder zum Alten Testament und zu Comenius.“Können Sie die Bilder charakterisieren, die Sie zu Kafkas Texten gemalt haben.
„Der größte Zyklus bezieht sich auf das Schloss. Weitere Bilder sind dem Prozess gewidmet. Wenn man meine Bilder aber betrachtet, sieht man, dass fast nichts Grausames zu sehen. Es bleibt verborgen, aber die Dramatik ist drin. Ich mag nicht Illustrationen zum Beispiel zur Verwandlung. Das sind so gruselige Sachen, so sehe ich das nicht. Und dann habe ich noch Porträts gemalt. Dabei war mein Wunsch, den Hauch des Geistes der dargestellten Personen wieder erscheinen zu lassen.“
Neben den Werken von Kafka haben Sie auch ein Buch von Comenius illustriert…
„Ja, das Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens. Dieses Buch ist sehr humorvoll. Obwohl es ein so altes Literaturstück ist, hat es bis heute seine Gültigkeit. Das hat mich fasziniert. Wenn man das Schloss von Kafka und das Labyrinth liest, kann man schon ein bisschen Ähnlichkeiten zwischen dem Landvermesser K. und dem Wanderer von Comenius sehen.“
Noch eine interessante und verdienstvolle Tat haben Sie mit ihrem Mann gemacht: Sie haben die Balladensammlung Kytice (Der Blumenstrauß, 1853)von Karel Jaromír Erben herausgegeben. Wie kam es dazu?
„In meiner Zeit waren diese Balladen Schullektüre. Manche Balladen sind so schön und enthalten so viele Wahrheiten, dass ich mir gewünscht habe, die Öffentlichkeit sollte sie noch einmal lesen können. Mein Mann hat mir geholfen, und wir haben entdeckt, dass dieser Blumenstrauß ins Deutsche übersetzt wurde und 1900 in Wien herauskam. Ein Verleger, mit dem wir gesprochen haben, war bereit, die Sammlung aufs Neue herauszugeben. Die Ausgabe enthält alle Balladen auf Tschechisch und auf Deutsch. Die tschechischen Gedichte sind von mir per Hand geschrieben. Auf Deutsch sind sie nicht im Kurrent wie in der Ausgabe von 1900, sondern in normaler Druckschrift zu lesen. Mein Mann hat dazu noch ein Nachwort geschrieben.“Sie haben am Beginn unseres Gesprächs erwähnt, dass Sie eine eigene Maltechnik entwickelt haben. Worin beruht sie?
„Das ist eine graphische Technik. Ich nutze unbehandelte Sperrholzplatten und fertige darauf mit speziellen Farbstiften Zeichnungen an. Die Schraffur besteht nicht nur aus einer, sondern aus drei oder vier Schichten. Durch diese Schichten kommt der gewünschte Farbton zustande. Die Entstehung eines Bilds ist ein Prozess, der ziemlich lange dauert. Die Arbeit ist auch körperlich nicht leicht, aber ich mache das so, weil die Technik ein besonderes Licht in das Bild bringt. Das Bild wird fast lebendig.“
Die Ausstellung „Hommage an den Landvermesser K.“ von Rut Kohn ist in der Galerie Salon Topič (Topičův salon ) in Prag bis 26. September zu sehen.