Deutsch-Tschechisches Gesprächsforum diskutiert Strategien zum demographischen Wandel

Foto: Gerald Schubert

Am vergangenen Wochenende wurde in Görlitz die Jahreskonferenz des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums abgehalten. Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler sowie Vertreter von NGOs, politischen Stiftungen und Wirtschaftsbetrieben diskutierten dabei über die aktuellen Herausforderungen durch den demographischen Wandel. Gerald Schubert war dabei.

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Gerald, vielleicht sollten wir eingangs in Erinnerung rufen, was das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum eigentlich ist.

„Das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum gibt es seit Dezember 1997. Es wurde damals auf Grundlage der Deutsch-Tschechischen Erklärung gegründet, eines bilateralen Dokuments, das sich mit der oft schmerzhaften Vergangenheit, aber auch mit der gemeinsamen Zukunft beschäftigt. Die Aufgabe des Gesprächsforums ist – allgemein formuliert – die Pflege des bilateralen Dialogs. Dazu gehört als Schwerpunkt die Durchführung einer jährlichen Konferenz von Fachleuten unter Einbeziehung einer breiteren tschechischen und deutschen Öffentlichkeit.“

Görlitz  (Foto: Wolfgang Pehlemann,  Wikimedia CC BY-SA/DE 3.0)
„Seit 1997 gibt es, ebenfalls auf Basis der Deutsch-Tschechischen Erklärung, auch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, der Projekte im Bereich Bildung und Kulturaustausch sowie Bürgerbegegnungen, insbesondere bei der jungen Generation, fördert. Dieser Fonds finanziert auch das Gesprächsforum. Organisatorisch wird die Konferenz hauptsächlich von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) abgewickelt. Jedes Jahr geht sie in einer anderen Stadt über die Bühne, und zwar abwechselnd in Tschechien und Deutschland. Diesmal war sie eben in Görlitz.“

Foto: Archiv Radio Prag
Es gibt auch jedes Jahr ein anderes Thema. Diesmal stand das Gesprächsforum unter dem Motto: „Was tun? – Deutsche und tschechische Strategien zum demographischen Wandel“. Was ist denn da der Hintergrund?

„Der demographische Wandel, die Alterung der Gesellschaft – das sind heute viel diskutierte Begriffe. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Zum einen die Fertilität, also die Geburtenrate, die in Europa nicht besonders hoch ist. Mit Ausnahme Frankreichs liegt sie weit unter dem so genannten Reproduktionsniveau von 2,1 Kindern pro Frau. Zweitens beobachten wir eine steigende Lebenserwartung. Das ist im Prinzip natürlich positiv, bringt aber auch Probleme mit sich, etwa bei der Finanzierung der Rentensysteme. Und drittens gibt es das Phänomen der Migration, etwa der Abwanderung aus bestimmten Regionen.“

Görlitz  (Foto: Goerlitzinformation,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Das hat auch mit der Wahl des Ortes der diesjährigen Konferenz zu tun. Görlitz liegt in der ehemaligen DDR, in einer Grenzregion. Es ist eine geteilte Stadt. Man kann über die Brücke auf die polnische Seite gehen, und auch Tschechien ist nur ein paar Kilometer entfernt. Görlitz liegt also direkt im Dreiländereck. In den ersten 15 Jahren nach der Wende hat die Stadt ein Viertel ihrer Einwohner verloren. Aber auch in anderen Regionen, ja in ganz Europa ist der demographische Wandel ein wichtiges Thema. Bei der Konferenz ging es nun im Wesentlichern um zwei Fragen: Wie kann man dem demographischen Wandel entgegensteuern und wie kann man ihn gestalten – etwa durch die Erhöhung der Lebensqualität für ältere Menschen.“

Jitka Rychtaříková  (Foto: Archiv Radio Prag)
Wer waren die Teilnehmer der Konferenz und welche Aspekte wurden konkret besprochen?

„Es gab drei Panels. Das erste stellte die Frage, ob die Politik dem demographischen Wandel eigentlich noch entgegensteuern kann. Jitka Rychtaříková, die stellvertretende Leiterin des Lehrstuhls für Demographie und Geodemographie der Karlsuniversität Prag, hat interessante vergleiche zwischen europäischen Ländern angestellt, vor allem mit Hinweis auf Frankreich. Sie stellt die These auf, dass die Politik mit entsprechenden Lenkungsmaßnahmen den demographischen Wandel durchaus beeinflussen kann. Ein recht emotionales Thema, denn gerade die Diskussion über Familienpolitik mündet ja häufig in die Debatte, ob man Kinder vermehrt zu Hause betreuen oder ob man sich doch lieber stärker um den Ausbau von Kinderkrippen kümmern soll.“

Foto: Gerald Schubert
„Ein zweites Panel stellte die Frage, wie mit den Auswirkungen des demographischen Wandels umgegangen werden kann. Hier waren unter anderem Vertreter der Wirtschaft anwesend, etwa ein Vorstandsmitglied von Škoda Auto, wo man ja ebenfalls der Alterung der Gesellschaft und der damit einhergehenden Alterung der Belegschaft Rechnung tragen muss. In diesem Zusammenhang war von der Schaffung gesunder Arbeitsplätze die Rede, die nicht nur die Lebensqualität der Beschäftigten steigern würden, sondern natürlich auch die Effektivität der Firma. In derselben Diskussion kam auch ein Mitglied der Gewerkschaft zu Wort.“

Euroregion Neisse-Nisa-Nysa  (Quelle: Tschechisches Statistikamt)
„In einem dritten Panel ging es dann um konkrete Projekte in der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa: Was tut der Kreis Liberec im Hinblick auf den demographischen Wandel? Was tut das Land Sachsen? Hier konnten sich die Akteure grenzüberschreitend verständigen und einander vielleicht auch inspirieren.“

„Am Ende gab es dann noch eine so genannte Projektmesse, auf der Informationsmaterialien zu konkreten Projekten präsentiert wurden – zum Beispiel zur Meisterschule Isergebirge. Da versucht eine deutsche Firma in Tschechien Elemente des – in Deutschland gebräuchlichen – dualen Ausbildungssystems zu implementieren und die theoretische Ausbildung direkt im Betrieb an die Praxis zu koppeln. Die Ausbildung soll dadurch für junge Leute attraktiver werden und Anreize schaffen, in der Region zu bleiben und nicht abzuwandern.“

Foto: Gerald Schubert
Wer bestimmt eigentlich die Auswahl der Themen, die auf dem Gesprächsforum diskutiert werden?

„Das macht der Beirat des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums. Ein Mitglied dieses Beirats ist ehemalige Bundestagsabgeordnete Gert Weisskirchen, den ich im Anschluss an die Konferenz zur Themenwahl befragt habe:“


Gert Weisskirchen  (Foto: Alexander Lucas,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Radio Prag: Herr Weisskirchen, warum hat sich der Beirat dieses Jahr für das Thema Demographie entschieden? Wo liegt hier für Sie der springende Punkt?

Gert Weisskirchen: Wir stellen uns jedes Mal neu die Frage, welches Thema kurz- und langfristig für Deutsche und Tschechen von Bedeutung ist, und von welchem Thema ein Signal ausgehen kann für ein anderes, besseres Handeln – politisch und gesellschaftlich.

Radio Prag: Das Thema des demographischen Wandels ist heute von vielen verschiedenen Seiten betrachtet worden. Fanden Sie die Diskussion gut? Was haben Sie persönlich gelernt?

Foto: Gerald Schubert
Gert Weisskirchen: Im Vergleich mit anderen Ebenen in der Politik haben wir das Thema sehr ernsthaft diskutiert. Die unterschiedlichen und vielfältigen Ansätze wollten Anregungen produzieren – von der lokalen Ebene über die Regionen, das Land und den Bund bis nach Europa. Wahrscheinlich ist das auch ein wenig gelungen. Wir brauchen Anregungen für ein anderes Handeln in der Politik, damit der dramatische demographische Wandel besser gestaltet wird, und damit die Chancen besser gesehen werden als die Gefahren.

Radio Prag: Steht auch schon fest, was das Thema der nächsten Jahreskonferenz sein wird?

Robert Musil
Gert Weisskirchen: Ja, wir werden einen Blick zurück in die Vergangenheit werfen. Es soll aber kein nostalgischer Blick sein. Wir wollen überlegen, wie Erinnerungsorte so debattiert werden können, dass sie einen Weg in eine bessere gemeinsame Zukunft weisen. Robert Musil hat ja sehr plastisch gesagt, dass ein Denkmal im Grunde genommen eine Leerstelle ist – Leerstelle mit zwei e. Wir könnten aus den Gedenkorten und den Denkmälern nun eine Lehrstunde mit h machen: Was lernen wir dort für eine andere, bessere Zukunft?

Radio Prag: Steht das im Zusammenhang mit dem 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, der 2014 begangen wird, oder ist das Zufall?

Gert Weisskirchen: Das ist kein Zufall. Wir wollen diese Debatte genau deshalb führen – aber eben nicht rückwärtsgewandt.


Die Jahreskonferenz des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums 2014 wird im tschechischen Litoměřice / Leitmeritz stattfinden.