Extremer Einbruch der Geburtenrate in Tschechien – Fachleute warnen vor Negativtrend
In Tschechien ist im vergangenen Jahr die Geburtenrate stark eingebrochen. Nun will die Politik gegensteuern, aber wie ist noch nicht klar. Währenddessen warnen Fachleute vor einer Verfestigung des Negativtrends.
Im Jahr 2021 lag Tschechien bei der Geburtenrate noch weit vorne in Europa. Konkret erreichte die Ziffer 1,83 Kinder je Frau und war damit die zweithöchste in der EU – nach Frankreich. Doch im vergangenen Jahr kamen rund 12.000 Kinder weniger hierzulande auf die Welt als noch in den zwölf Monaten zuvor. Die Zahl der Neugeborenen lag so niedrig wie zuletzt vor 18 Jahren. Und damit sank die Geburtenrate auf einen Wert von 1,66. Dies widerspreche aber dem eigentlichen Trend in Tschechien, sagt die Demografin Jiřina Kocourková von der Prager Karlsuniversität:
„Rund 20 Jahre lang, also seit den 1990er Jahren, wurde hierzulande über die niedrige Fertilitätsrate und die wenigen Geburten geredet. Das endete aber um das Jahr 2008. Und sogar nach dem Ende der damaligen Wirtschaftskrise gab es bei der Gesamtfruchtbarkeitsrate einen steigenden Trend. Deswegen waren wir vor der Corona-Pandemie im Vergleich zu den anderen EU-Staaten ziemlich gut dran – wenn nicht sogar am besten.“
Die sogenannte Gesamtfruchtbarkeitsrate nennt die Durchschnittszahl an Kindern, die eine Frau zur Welt bringt. Erwünscht ist ein Wert von 2,1, da erst dann die Bevölkerungszahl ohne Wanderung auf konstantem Niveau bleibt. Das ist wichtig beispielsweise bei der Finanzierung des Rentensystems. Allerdings erreichen moderne Industriegesellschaften diesen Wert schon lange nicht mehr.
Nun also im vergangenen Jahr der Einbruch in der Statistik. Doch was sind die Gründe dafür?
„Wir denken, der Beginn der Corona-Impfkampagne im Jahr 2021 dürfte dazu geführt haben, dass Familien den Wunsch nach einem Kind erst einmal hintenangestellt haben. Und ebenso könnte sich die Rückkehr an die Arbeitsplätze negativ auf die Gesamtfruchtbarkeitsrate niedergeschlagen haben“, so Expertin Kocourková in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
Denn auch die Demografen in anderen westlichen Staaten haben 2022 vergleichbare Trends festgestellt…
„Am ähnlichsten ist der Einbruch in Deutschland oder in Schweden. Der große Unterschied liegt aber darin, dass die Ausgangsrate in diesen Staaten niedriger war. In Schweden wurden im Maximalwert etwa 1,6 oder 1,7 Geburten pro Frau erreicht, dies ist im vergangenen Jahr auf 1,5 zurückgegangen. In Deutschland fiel der Wert von 1,5 auf 1,3.“
Das kurzfristige Geburtenverhalten ist allerdings nicht das Problem – sondern eine mögliche Verfestigung des Negativtrends. Denn auch das vergangene Jahr bot nicht gerade die besten Voraussetzungen für die Familienplanung. Jiřina Kocourková:
„Die Folgen des Jahres 2022 mit dem Beginn des Krieges und der immer höheren Inflationsrate werden sich erst bei den Geburten in diesem Jahr zeigen. Deswegen befürchten wir, dass die Gesamtfruchtbarkeitsrate noch weiter einbricht. Das sollte man dann aber ernst nehmen“, so der Appell der Wissenschaftlerin an die Politik.
Denn mittlerweile kommen in Tschechien die geburtenschwächeren Jahrgänge aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in die Phase der Familienplanung. Die Frage ist nun, wie verhindert werden kann, dass die Gesamtfruchtbarkeitsrate unter die kritische Marke von 1,5 sinkt. Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokrat) ist sich des Problems wohl bewusst, mittlerweile hat er die Gründung einer speziellen Kommission veranlasst.
Zugleich will das Regierungskabinett aber den Staatshaushalt konsolidieren – was nichts anderes bedeutet als Kürzungen. Dies sollte aber nicht auf Kosten der Familienunterstützung gehen, warnt Kocourková:
„In diesem Zusammenhang wäre es ein sehr ungünstiges Signal, wenn sich in irgendeiner Weise die Bedingungen für Familien verschlechtern würden. Man sollte mindestens das derzeitige Niveau halten.“