Stadt Protivín: Rollagen und schwarze Küchen im Barockspital

Foto: Martina Schneibergová

Etwa 13 Kilometer südöstlich der südböhmischen Bezirksstadt Písek liegt Protivín. Das Städtchen am Fluss Blanice kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die bis ins 13. Jahrhundert reicht.

Protivín  (Foto: Chmee2,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Protivín ist sowohl mit der Bahn als auch mit Bus gut zu erreichen. Der Bus aus Písek biegt nach etwa zwölf Kilometern von der Staatsstraße nach links ab. Er fährt an der Brauerei vorbei, wo das Bier Namens Platan gebraut wird, und hält auf dem länglichen Marktplatz, direkt gegenüber dem Museum. Auf der nördlichen Seite des Marktplatzes führt der Weg in den Schlossgarten. Im Mittelalter stand an diesem Ort eine gotische Burg, die eine Furt über den Fluss Blanice beschützen sollte. Der Name der Burg und später des Dorfes wurde angeblich vom Namen eines der Burgherren abgeleitet: Dieser hieß Protiva und Protivín bedeutete damals soviel wie „Protivas Hof“. Bürgermeister Jaromír Hlaváč ist ein gebürtiger Protivíner – auf Tschechisch ein „Protivíňák“ - und kennt sich in seiner Heimatstadt daher sehr gut aus.

Kaplanka mit der Kirche  (Foto: Martina Schneibergová)
„Das älteste Gebäude in der Stadt steht gegenüber dem Rathaus. Es wird „Kaplanka“ genannt, denn früher haben dort auch Kapläne gewohnt. Das Gebäude wurde vor einigen Jahren vollständig saniert und instandgesetzt. In einem Teil des Gebäudes befand sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Spital. Die Patienten aus dem Spital haben in der Regel in der nebenan stehenden Kirche gesungen - natürlich nur, falls es ihnen ihr Gesundheitszustand erlaubte.“

Im Gebäude des Spitals, das an die Kirche der heiligen Elisabeth von Portugal angrenzt, ist heutzutage ein Informationszentrum mit einer Galerie und einem zoologischen Museum untergebracht. Was die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt anbelangt, sind alle maximal 300 Meter vom Marktplatz entfernt. Bürgermeister Hlaváč:

Schloss  (Foto: Martina Schneibergová)
„Wenn man vor der Kaplanka steht, ist links das Schloss zu sehen. Leider ist das Schlossareal geschlossen, es wurde einigen Jahren verkauft. Die geplante Instandsetzung wurde nie zu Ende geführt. Nach dem Hochwasser von 2002, von dem auch unsere Stadt betroffen war, wurde auch der Schlosspark für die Öffentlichkeit geschlossen. In letzter Zeit gab es einige Interessenten, die das Schloss kaufen und nutzen wollten, aber die Verhandlungen werden erst geführt.“

Das Schloss gehörte von 1711 bis 1948 den Fürsten von Schwarzenberg. Nach der Verstaatlichung diente das historische Areal während des Kommunismus zu verschiedenen Zwecken. Es war dort unter anderem ein Kinderheim untergebracht. Das Schlossareal habe nie der Stadt gehört, sagt der Bürgermeister. Aber einige Mal habe man dort das traditionelle Stadtfest veranstaltet.

Marie Laňová  (Foto: Martina Schneibergová)
„Das Stadtfest findet jedes Jahr am letzten Augustsamstag statt. Es entstand als eine Feier anlässlich der ersten schriftlichen Erwähnung von Protivín, die aus dem Jahr 1262 stammt.“

Gegenüber dem Rathaus steht die so genannte Kaplanka. Das Barockgebäude wurde nach einer gründlichen Instandsetzung 2010 feierlich eröffnet. Bei der Sanierung des Hauses wurde eine Stuckverzierung an der Decke freigelegt und restauriert. Diese befindet sich im Raum, in dem heutzutage ein Informationszentrum untergebracht ist. Marie Laňová arbeitet in dem Zentrum und führt die Interessenten durch das historische Gebäude:

„1662 ließ hier Maximiliana Veronika von Riesenberg und Schwihau die St.-Elisabeth-Kirche mit einem Spital für arme Menschen aus der Umgebung bauen. Bei der Restaurierung des Gebäudes wurden hier zwei schwarze Küchen entdeckt. Die erste davon befand sich im Raum, durch den man zur Dauerausstellung von Skeletten exotischer Tiere kommt. Diese wurden vom Zoologischen Museum in Protivín geliehen. Zu sehen sind hier Nashorn- und Giraffenskelette. Aus dem Ausstellungssaal geht es weiter in die zweite schwarze Küche. Hier wurde für den Kaplan auf offenem Feuer gekocht. Vor der Renovierung des Hauses ahnte niemand, dass es da schwarze Küchen gibt.“

Foto: Martina Schneibergová
Den Höhepunkt der Besichtigung stellt der Saal dar, der dem berühmtesten Sohn der Stadt gewidmet ist: dem international anerkannten Künstler und Dichter Jiří Kolář. Er wurde am 24. September 1914 in Protivín geboren und starb am 11. August 2002 in Prag. Der Künstler unterschrieb die Charta 77. Das kommunistische Regime erlaubte ihm nicht, von einer Studienreise nach Westberlin in die Tschechoslowakei zurückzukehren. Zuerst lebte der Künstler kurz in der geteilten Stadt, zog aber 1980 nach Frankreich. Erst 1997 kehrten er und seine Frau Běla, die Fotografin und Künstlerin war, in ihre Heimat zurück. Kolář war Mitbegründer der Gruppe 42 und Mitglied der Stuttgarter Gruppe. Er gilt als einer der einflussreichsten tschechischen bildenden Künstler. Bekannt geworden ist er vor allem durch seine Rollagen-Technik. Einige seiner Werke sind in der Dauerausstellung in der Kaplanka zu sehen. Bürgermeister Hlaváč:

Foto: Martina Schneibergová
„Als die Frau des Künstlers, Běla Kolářová, noch lebte, habe ich mit ihr vereinbart, dass sie der Stadt Protivín eine kleine Sammlung von Werken ihres Mannes leiht. Leider hat Frau Kolářová nicht mehr erlebt, wie das Gebäude Kaplanka nach der Instandsetzung eröffnet wurde. Sie ist einen Monat vor der Eröffnung gestorben, also am 12. April 2010. Die Erben haben die Werke von Jiří Kolář, die hier ausgestellt wurden, der Stadt geschenkt.“

Die Werke von Jiří Kolář sind im schönsten historischen Raum der Kaplanka zu besichtigen. Dieser Raum grenzt direkt an die Kirche, und früher gab es eine Tür in das Gotteshaus. An der Wand sind die Umrisse der Tür noch deutlich zu sehen. Marie Laňová:

Verkleinerte Kopien der historischen Baudenkmäler von Ladislav Novák  (Foto: Martina Schneibergová)
„Durch diesen Eingang sind die Kranken aus dem Spital direkt in die Kirche gegangen, wo sie oft oben im Chor gesungen haben. Wir wissen aus den Berichten, dass die Leute im Spital gut versorgt wurden. Sie haben beispielsweise von der Brauerei Bier bekommen. Die hiesigen Bauern lieferten dem Spital Lebensmittel. Es scheint, dass man für die Armen gut gesorgt hat.“

Eine Holztreppe führt aus dem Erdgeschoss hinauf auf den Dachboden, wo der ursprüngliche Dachstuhl erhalten ist. Dort oben bestehen auch Ausstellungsräume. In einem sind mehrere aus Holzspießen geklebte Modelle bekannter tschechischer Burgen und Schlösser zu sehen. Die verkleinerten Kopien der historischen Baudenkmäler sind ein Werk von Ladislav Novák aus Myšenec bei Protivín. Der geduldige Bastler wurde inzwischen in das tschechische Buch der Rekorde eingetragen.

Das Gebäude Kaplanka in Protivín ist vom Mai bis Oktober täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Vom November bis April kann man dieses Infozentrum inklusive Galerie montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr und samstags von 9 bis 12 Uhr besuchen.

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