"Nichts außer Kunst" - Max Švabinský wurde vor 140 Jahren geboren
Anfang des 20. Jahrhunderts profilierte sich in den böhmischen Ländern eine Generation, die die Grundlagen für die moderne tschechische Kunst schuf. Damals bestand noch die Habsburger Monarchie. Als einer ihrer wichtigsten Vertreter gilt Max Švabinský, nach über sechs Jahrzehnten seines Schaffens hinterließ er ein imposantes Werk. Am 17. September wäre Švabinský 140 Jahre alt geworden.
„Soweit mein Gedächtnis zurückreicht, habe ich schon als Kleinkind ständig etwas aufs Papier gekritzelt oder gemalt. Später habe ich gerne Pferde oder Lokomotiven gezeichnet. Als ich elf war, wurde meine Kopie eines historischen Bildes von Eduard Engerth im Schaufenster einer Apotheke ausgestellt, sie weckte große Aufmerksamkeit in unserer Stadt. Dadurch gewann ich viele Freunde. Meine Lehrerin, Fräulein Baldesariová, lieh mir ein Buch mit Reproduktionen von Stichen alter Meister aller Nationen - und die habe ich kopiert.“
Viele Stadtbewohner staunten in der Tat. Der elfjährige Junge verkaufte seine Bilder an interessierte Kunden und steuerte dadurch etwas zum bescheidenen Familienbudget bei. Doch Geld war bestimmt nicht der Grund für Švabinskýs Sehnsucht, Maler zu werden. 1891 begleitete ihn seine Mutter nach Prag zur Aufnahmeprüfung an der Prager Akademie der Künste. An Selbstvertrauen fehlte es ihm nicht:„Ich war mir absolut sicher, dass man mich aufnehmen würde. Als ich dann bei der Aufnahmeprüfung mit der Zeichnung eines männlichen Körpers als Erster fertig war und die Anderen sich mein Werk anschauten, hatte ich nicht den geringsten Zweifel, gut abgeschnitten zu haben.“
Der hochtalentierte Student musste nicht lange auf die ersten Aufträge warten. Unmittelbar nach dem Beginn seines Studiums wurde er darum gebeten, anlässlich eines Herrschaftsjubiläums von Kaiser Franz Josef ein Album von Federzeichnungen mit Portraits bedeutender tschechischer Schriftsteller und Wissenschaftler anzufertigen. Der erste größere öffentliche Auftrag kam zum Abschluss seines Studiums. Švabinský dekorierte das Vestibül der neugebauten Landesbank (Zemská banka) in der Prager Einkaufsmeile „Am Graben“. Der damalige Benjamin unter den beteiligten renommierten Künstlern schuf in nur drei Monaten zwei große Wandmalereien mit den Namen „Der hl. Wenzel segnet das tschechische Volk“ und „Arbeit, die Quelle des Wohlstands“.An der Akademie der Künste war Švabinský Schüler von Maximilian Pirner gewesen, einem der besten Lehrer der jungen Malergeneration. Pirner selbst gehörte einer Künstlergruppe an, die sich in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts intensiv mit der Dekorierung des neugebauten Nationaltheaters in Prag beschäftigt hatte. Švabinský bewunderte zwar ihr Schaffen, suchte aber seine Inspiration in einem wesentlich breiteren Kreis:
„Unbeeinflusst bleiben kann niemand, nur Dilettanten. Bei mir waren es die Romantiker, Delacroix, aber auch alte Italiener wie Raffael. In meiner Jugend war es wie bei vielen anderen vor allem Rembrandt. Von den tschechischen Malern war es außer Josef Mánes oder meinem hochgeschätzten Lehrer Vojtěch Hynais eine ganze Reihe von Künstlern.“Mánes und Hynais gelten als Klassiker der tschechischen Malerei. In seinem professionellen Kunstschaffen, das sich nach dem Hochschulabschluss von 1896 über mehr als sechs Jahrzehnte erstreckte, war Švabinský nach Meinung von Kunsthistorikern um einen eigenen Stil und persönlichen Ausdruck bemüht. Dabei zeigte er thematisch eine ungewöhnliche Vielseitigkeit sowie eine virtuose Anwendung von Materialien und Techniken. Neben figuraler Malerei und Landschaftsmalerei fertigte er auch Radierungen und Feder-, Rötel-, Kohle- und Kaltnadelzeichnungen an. Außerdem zeugte Švabinskýs Herangehensweise von einer hohen Sensibilität. Diese setzte er auch in seinen Portraits ein, die einen bedeutenden Teil seines Schaffens darstellen. In einem seiner Bildbände schrieb er selbst, Zitat:
„Beim Portraitieren ist für mich die erste Begegnung sehr wichtig. Ich studiere dann zwar, wie das Modell sitzt oder steht, doch beim ersten Treffen präge ich mir durch Beobachtung und einfühlsame Wahrnehmung sofort seine charakteristischen Merkmale ein. Es liegt mir nicht so sehr daran, dass mein Portrait vor allem vollkommen komponiert ist. Mir geht es darum, die Bewegung, die Geste der Hand, schräges Sitzen, die in sich geschlossene Steh- oder Sitzposition zu erfassen - und dies in leicht übertriebener Weise, damit der Portraitierte wie in einer Silhouette zu erkennen ist. In Gesicht und Bewegung soll er sich ähnlicher sein, als das in Wirklichkeit der Fall ist.“Die Liste jener, die Švabinský porträtiert hat, ist sehr lang. Neben bedeutenden Vertretern des tschechischen öffentlichen Lebens sind es auch herausragende ausländische Persönlichkeiten. Bei einem halbjährigen Studienaufenthalt in Paris 1898/1899 entstand zum Beispiel ein Bild des belgischen Dichters und Nobelpreisträgers Maurice Maeterlincks, ihn porträtierte Švabinský in einem gemieteten Atelier am Montmartre. 1902 entstanden zudem Portraits von Auguste Rodin und Victor Hugo und später noch viele mehr.
In den 1950er Jahren wurde hierzulande auch von den Künstlern erwartet, dass sie dem sogenannten sozialistischen Aufbau dienten. Daher musste Švabinský den Sinn seines bekannten großformatigen Gemäldes „Die Ernte“ erläutern - auf dem Bild sind Menschen bei der Feldarbeit abgebildet. Die Feststellung eines Rundfunkredakteurs, das Bild sei eine Huldigung an die Arbeit, wies Švabinský entschieden zurück:„Das würde ich nicht behaupten, und ich hatte auch nicht vor, dies darzustellen. Vielmehr handelt es sich um eine Hymne an den Sommer, die Fruchtbarkeit und den Reichtum der Erde, an die Ernte und die Lebensfreude.“
Max Švabinský lehrte ab 1910 über 30 Jahre lang auch an der Prager Kunsthochschule. Insgesamt acht Amtsperioden leitete er diese Uni als Rektor. Noch vor dieser Rückkehr auf akademischen Boden konnte er seinen ersten internationalen Erfolg feiern. Sein überdimensionales Gemälde, auf dem er ein von der Arbeit ermüdeten Mädchens am Webstuhl abbildete, gewann 1904 die Goldmedaille bei der Weltausstellung im amerikanischen Saint Louis. Zwei Jahre später verbrannte das Bild aber beim Erdbeben in San Francisco. Švabinský war auch international tätig, zum Beispiel als Mitglied des Wiener Kunstvereins Hagebund und der Société nationale des Beaux-Arts in Paris. In Frankreich wurde ihm auch der Orden der Ehrenlegion verliehen.
Er war allerdings nicht nur ein vielseitiger, sondern auch ein außerordentlich fleißiger Künstler. Sein Lebensmotto formulierte er gleich zum Beginn seiner Karriere: „Nihil praeter artem“, zu Deutsch: „Nichts außer der Kunst“. Als verdienter und hochgeschätzter Künstler durfte er sein Atelier auch nach 1939, dem Jahr seiner Pensionierung, behalten. Mit etwa 80 Jahren beschrieb er seinen Arbeitstag so:„Morgens komme ich in die Akademie und arbeite dort bis sechs Uhr abends. In der Mittagspause, die sehr kurz ist, esse ich ein Stück Salami und einen Apfel, darauf mache ich mich gleich wieder ans Werk. Samstags und sonntags bleibe ich zu Hause und widme mich meinen Graphiken, darunter auch Portraits fürs Ausland. In letzter Zeit entstanden Portraits von Albert Einstein, Albert Schweitzer, Sergei Prokofjew, Paul Valéry und Thomas Mann. Von Albert Schweitzer und Thomas Manns Witwe habe ich sehr schöne Briefe erhalten.“
In diesem Interview erwähnte der Künstler auch einen bedeutenden Staatsauftrag, den er bereits in den 1930er Jahren erhalten hatte: Er sollte drei monumentale Glasfenster für den Veitsdom auf der Prager Burg entwerfen. Die Arbeit daran, die er aber erst nach dem Krieg fortsetzen konnte, hatte für ihn höchste Priorität:
„In meinem aktuellen Sgrafitti-Plan ist ein großer Karton der Reihe ´Offenbarung Christi´ vorgesehen, doch über seine Gestaltung bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Mit einem Ölgemälde kann ich mich in absehbarer Zeit auch nicht befassen, denn der Auftrag für den Entwurf in Größe von vier auf neun Metern für das Glasfenster im Veitsdom wird mir zu schaffen machen. Genauso wird auch die nachfolgende Durchführung, der ich beiwohnen muss, viel Zeit in Anspruch nehmen.“
Weitere Beweise für Švabinskýs Vielseitigkeit sind nicht zuletzt auch seine minuziösen Entwürfe für mehrere Briefmarkenserien und Banknoten der ersten Tschechoslowakischen Republik oder aber seine Leidenschaft, Schmetterlinge abzubilden. Dies alles im Zeichen seines erwähnten Kredos, dem er bis ins hohe Alter treu blieb:„Als ich 70 Jahre alt wurde, habe ich davon keine Notiz genommen, auch wenn ich hie und da Schmerzen verspürte. Mit 75 waren die Schmerzen größer, ich nahm es aber nicht wahr. Nach dem 80. Geburtstag meldeten sie sich schon en bloc, nicht nur einzelne Knöchelchen. Ich ging zu meinem befreundeten Arzt, der mir sagte: Die Krankheit würde sich weiter steigern, sodass ein Rollstuhl auf mich warte, den würde ich jedoch letztlich nicht brauchen, weil ich sterben würde, bevor es so weit sei. Ich konnte aber weiter laufe und kann es bis jetzt, wenn auch gekrümmt wie eine Spannerraupe. Bei der Arbeit macht es mir nichts aus. Ich arbeite fleißig.“
Am 10. Februar 1962 starb Max Švabinský in Prag - im Alter von 89 Jahren.