„Emotional und oberflächlich“ – Politologe Pehe über den Wahlkampf
Nachdem in Deutschland vor einer Woche und in Österreich am vergangenen Wochenende gewählt wurde, werden demnächst auch die Tschechinnen und Tschechen an die Urnen gerufen. Sie bestimmen am 25. und 26. Oktober ein neues Abgeordnetenhaus. Das alte hatte sich selbst aufgelöst, nachdem die konservative Regierung Nečas auseinandergebrochen war und danach die Interimsregierung Rusnok kein Vertrauen der Parlamentarier fand. Mittlerweile hat der Wahlkampf in Tschechien begonnen. Wie sich der politische Wettstreit entwickelt und mit welchen Eigenheiten das tschechische Parteiensystem zu kämpfen hat, dazu ein Interview mit dem Politologen Jiří Pehe von der New York University.
„Ich befürchte wirklich, dass die Wahlen ohne große Inhalte auskommen werden. Sie sind aber auch innerhalb sehr kurzer Zeit anberaumt worden, es sind ja vorgezogene Neuwahlen, und eine ganze Reihe an Parteien hat nur wenig Zeit für die Vorbereitung gehabt. Viele Themen tauchen daher nun nur in verkürzter Form auf. Man konzentriert sich entweder auf eine konkrete Persönlichkeit, die die Partei repräsentieren soll, oder auf Schlagworte. Auf der einen Seite wird damit der Wahlkampf oberflächlicher und eher emotional als rational, auf der anderen Seite ist das ein interessantes Novum. Denn die tschechischen Wähler hatten in der Vergangenheit meist nach drei bis vier Monaten bereits die Wahlkampagnen satt.“
Wie scharf sind eigentlich hierzulande die Rechte und die Linke voneinander abgegrenzt?„Ich denke, dass hier in Tschechien die Trennlinie zwischen Links und Rechts leider ziemlich scharf ist. Damit meine ich, dass dies nicht nur Fragen des Sozialen betrifft oder von Regierung und Opposition. Mit Staatspräsident Miloš Zeman ist ein neuer Faktor hinzugekommen. Er verschärft die Trennlinie, weil er für manche konservativen Kräfte wie vor allem die Top 09 der Hauptgegner ist, anstatt die Sozialdemokraten. Die Top 09 behauptet zum Beispiel, Miloš Zeman bedrohe mit seinem autoritären Vorgehen die Demokratie, und ihre ganze Wahlkampagne ist auf diese Gegnerschaft ausgerichtet. Dies ist aber auch in ihrem Interesse, schließlich war die langjährige gemeinsame Regierung von ihr und der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) nicht sonderlich populär gewesen. Das heißt, das Interesse der Parteien im rechten Politspektrum besteht darin, die Aufmerksamkeit von den Themen wegzulenken. Das Interesse der Linken ist hingegen, Themen in den Mittelpunkt zu rücken und zu sagen, dass die frühere Regierung Nečas viele Schäden angerichtet habe. Das macht den Wahlkampf so besonders, die Linke argumentiert mit sozialen Themen und der Wirtschaft, die Rechte aber mit Verfassungsthemen und dem Kampf gegen Zeman.“
Die Gesellschaft in Tschechien war in den letzten Jahren immer fast zur Hälfte in Links und Rechts geteilt. Anderswo ist das nicht prinzipiell ein Problem. In Deutschland gab es zum Beispiel schon Große Koalitionen und vielleicht wird erneut über eine solche verhandelt, in Österreich bleibt sie wohl bestehen. Gibt es in Tschechien gar keine Chance für so etwas? Und woran liegt das?„Die tschechische Politik scheint mir stärker polarisiert als die deutsche oder die österreichische. Zum Teil liegt das an der postkommunistischen Gesellschaft, diese hat noch keinen Konsens um eine politische Mitte herum gefunden. Das Hauptproblem hierzulande ist aber das Erbe des sogenannten Oppositionsvertrags. Im Jahr 1998 schlossen die beiden größten politischen Rivalen, der damalige bürgerdemokratische Chef Václav Klaus und der damalige Sozialdemokratenchef Miloš Zeman, eine Art Nichtangriffspakt. Sie präsentierten dies aber als eine versteckte Große Koalition. Doch es war keine Große Koalition: Es war vielmehr ein Regierungsblankoscheck für die eine Partei, ohne dass ihr etwas zustößt. Die zweite Partei wurde dafür mit Posten in der Staatsverwaltung und in Staatsbetrieben belohnt. Viele tschechische Bürger setzen daher Große Koalition bis heute mit Oppositionsvertrag gleich, und sie verstehen darunter eine brutale und zynische Machtteilung, ohne dass wirklich Politik gemacht würde. In gewissem Maße haben sie da auch Recht, denn eine Große Koalition unter tschechischen Bedingungen würde wohl kaum bedeuten, dass sich zwei große Parteien zusammensetzen, ein gemeinsames Programm ausarbeiten und für dieses auch jeweils verantwortlich zeichnen. Ich könnte mir vorstellen, dass hierzulande eine Große Koalition wieder so aussehen würde, dass eine Partei einen Blankoscheck erhält und die zweite dafür die Früchte der Arbeit einfährt.“
In Deutschland und Österreich spricht man von großen Volksparteien, wenn man die SPD oder SPÖ und die CDU oder die ÖVP nennt. Wie sieht es in Tschechien aus: Ist beispielsweise die ČSSD, also die Sozialdemokraten, eine große Volkspartei? Oder die Demokratische Bürgerpartei (ODS), die aber in den Umfragen mittlerweile sogar unter zehn Prozent gefallen ist?„Es ist gerade eines der großen Probleme der tschechischen Politik, dass es hier keine großen Parteien gibt. Wir haben ‚kleine große Parteien’, wie ich sie nennen würde. Die Parteien sind in dem Sinne groß, dass sie großen Einfluss besitzen, aber sie sind in Mitgliederzahl und Organisationsstruktur klein. Die beiden seit Langem wichtigsten tschechischen Parteien, die Demokratische Bürgerpartei und die Sozialdemokraten, haben jeweils nur rund 20.000 Mitglieder. Das ist unglaublich wenig im Vergleich zu Deutschland oder Österreich. Daher sind sie aber auch nach innen wenig demokratisch und lassen sich leicht manipulieren, vor allem ihre Ortsverbände. So ein Ortsverband hat vielleicht 30 Mitglieder. In Tschechien geschieht es oft, dass ein vermögender Unternehmer von seinem Geld einfach weitere 30 Menschen besticht, damit sie Neumitglieder werden. Dazu kommt, dass die Parteien nach dem Fall des Kommunismus nicht von unten als Volksbewegung entstanden sind, sondern von oben als Projekt der Eliten geschaffen und teilweise von starken Persönlichkeiten beherrscht wurden. Es entstanden Kulte rund um Václav Klaus von der ODS und Miloš Zeman von den Sozialdemokraten. Diese kleinen Parteien erhielten aber große Macht, vor allem bei der Privatisierung des Staatseigentums. In diesem Prozess wurden sie aber auch selbst privatisiert, von den neureichen Unternehmern. Die Parteien sind also nicht autonom. Die ODS zum Beispiel ist daher keine wirkliche Volkspartei, sondern eine kleine Partei, die von einer wirtschaftlichen Interessensgruppe beherrscht wird. Sie hat diese Partei gestaltet.“
In Tschechien entstehen immer wieder neue Parteien, die es teilweise auch auf Anhieb ins Parlament schaffen. Ich erinnere an die Partei der öffentlichen Angelegenheiten (Věci veřejné) oder an die Top 09, wobei zweite ja eine Abspaltung der Christdemokraten war. Diesmal treten die Bewegung Ano des Kronen-Milliardärs Babiš neu an und – nicht ganz neu, aber erstmals mit Chancen - die SPOZ - Zemanovci. Bieten solche Parteien denn wirklich neue Inhalte?„Leider bieten die neuen Parteien keine neuen Ideen oder Inhalte. Es sind eher opportunistische Versuche, die dadurch entstehen, dass die großen Parteien so schwach verankert und die Menschen mit ihnen unzufrieden sind. Das gibt Populisten den Raum, hinzugehen und zu sagen: ‚Wir retten euch’. Weil diese Leute selbst aber auch nicht in der Lage sind, eine große Partei zu gründen, kommen sie mit den Slogans, dass sie alles ganz anders machen würden. Zum Beispiel indem sie sagen, Volksabstimmungen würden das Hauptentscheidungsmittel werden, oder dass sie den Staat wie ein Unternehmen führen wollen. Dazu kommt eine gewisse politische Naivität der Tschechen, sie sind politisch einfach noch nicht so erwachsen. Auch in Deutschland oder jetzt in Österreich entstehen erfolgreiche neue Parteien, aber die wichtigsten anderen bleiben führend. In Tschechien entstanden 2010 zwei neue Parteien, von denen aber nur die Top 09 wieder zur Wahl antritt. Dadurch existieren im rechten Lager nun zwei Parteien. Die Partei der öffentlichen Angelegenheiten ist hingegen wie heiße Luft wieder verschwunden. Aber erneut besteht die Gefahr, dass einige solcher Parteien ins Abgeordnetenhaus einziehen. Sie sind politisch schwer einzuordnen und hängen von einer schwer kontrollierbaren Person ab. Man muss sich nur ausmalen, was wäre, wenn der Kronen-Milliardär Babiš, einer der reichsten Männer des Landes, als Juniorpartner in die nächste Regierung gelangen würde. Es wäre absurd zu glauben, dass er dann beispielsweise als Finanzminister den Anweisungen des Premiers folgen würde. Diese Personen, auf denen solche Parteien aufgebaut sind, tragen eher zur politischen Desintegration bei als zur Integration.“