Mord oder Selbstmord: Wie und warum starb Jan Masaryk?
Vor 65 Jahren starb der tschechoslowakische Außenminister Jan Masaryk. Am frühen Morgen des 10. März 1948 wurde er unter dem Fenster seiner Wohnung im Hof des so genannten Czernin-Palais auf dem Prager Hradschin tot gefunden. Zu dem Ereignis kam es nur wenige Tage nach der kommunistischen Machtergreifung in der Tschechoslowakei. Und sofort schossen die Spekulationen ins Kraut: Nahm sich der Sohn des ersten tschechoslowakischen Präsidenten das Leben, wie es der offizielle Bericht behauptete, oder wurde er ermordet?
Darüber hinaus hielt es Masaryk für notwendig, nach dem Krieg ein neues System europäischer Sicherheit aufzubauen. Seinen Namen kannten auch die Tschechen zu Hause sehr gut: Als enger Mitarbeiter der BBC hielt Jan Masaryk regelmäßige Radioansprachen an seine Landsleute. Obwohl für das Hören feindlicher ausländischer Sender im Protektorat die Todesstrafe drohte, waren seine Reden bei den Tschechen sehr populär. Nach dem Krieg wurde Jan Masaryk einer der beliebtesten Politiker in der Tschechoslowakei, oft wurde er familiär „Honza“ genannt.
Die politische Entwicklung im befreiten Staat lief aber nicht auf eine Erneuerung der Demokratie hinaus. Demokratische rechtsgerichtete Parteien wurden wegen angeblicher Kollaboration mit den Nazis verboten, die Kommunisten gewannen immer mehr Macht und international näherte sich die Tschechoslowakei mehr und mehr den sowjetischen Interessen an. Jan Masaryk war mittendrin, wie aus einer Rundfunkansprache von ihm hervorgeht.„Ich kann nicht leugnen, was Sie wissen: Ich hatte die große Ehre, den führenden Persönlichkeiten der Sowjetunion vorgestellt zu werden. Ich möchte Ihnen daher ein Wort über Marschall Stalin sagen, von dem ich zwei längere Reden hören konnte. Marschall Stalin spricht leise, ohne zu gestikulieren. Er hilft sich nicht mit den Händen. Seine Stimme ist in der vierten Reihe kaum noch zu hören. Aber jeder versteht, was er meint. Er sagt historische Worte, tut das aber ruhig, leise und bescheiden. Ich wäre sehr froh, wenn wir, Tschechen und Slowaken, uns auch solche Bescheidenheit aneignen würden – vor allem weil Stalin eigentlich nicht bescheiden sein müsste.“
Diese Worte sagte Jan Masaryk am 13. April 1945 im Tschechoslowakischen Rundfunk. Es gibt auch noch weitere Beispiele, wie er persönlich nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion und Stalin lobte. Doch war es wirklich seine Überzeugung oder spielte der hochgeschätzte Demokrat eine „Doppelrolle“? Der Prager Historiker Petr Koura:„Jan Masaryk sah - im Gegensatz zu Edvard Beneš - in der Sowjetunion nie eine Erlösung. Beneš deutete das Münchner Abkommen als Verrat durch Frankreich und Großbritannien und war der Überzeugung, die Tschechoslowakei müsse nach dem Krieg zu einem Bündnis mit Moskau finden. Soweit wir aber aus den Notizen von Benešs Sekretär Jaromír Smutný wissen, äußerte sich Masaryk über die Sowjetunion und Stalin geradezu vulgär. Als Ende 1943 Beneš nach Moskau flog, um dort einen Bündnisvertrag mit Stalin zu unterschreiben, reiste Masaryk lieber in die USA, um nicht dabei sein zu müssen. Offiziell folgte jedoch der Außenminister der Politik seines Vorgesetzten.“
Wahrlich erschüttert war Jan Masaryk darüber, dass die Tschechoslowakei durch die Sowjetunion im Sommer 1947 gezwungen wurde, die Einbindung in den Marshallplan abzulehnen. Dieser amerikanische Plan für wirtschaftlichen Wiederaufbau schuf in Westeuropa die Grundlage für einen Aufschwung. Aus dieser Zeit stammt der legendäre Satz von Jan Masaryk: „Ich bin nach Moskau als Außenminister eines souveränen Staates gereist und als Stalins Lakai zurückgekehrt.“ Wie die Verhandlungen in Moskau tatsächlich verliefen, lässt sich heute kaum noch erahnen. Masaryks Gemütslage nach seiner Rückkehr aus Moskau hat jedoch seine Freundin Marcia Davenport geschildert. In ihrem Buch „Jan Masaryk – das letzte Porträt“ schrieb sie:„Er sah wie betäubt aus, sein Gesicht war angeschwollen und krank. Er war sehr nervös, sprach und sprach – und plötzlich fiel er in langes und finsteres Schweigen. Ich war seine Stimmungsschwankungen gewöhnt, diese Gefühlsexplosionen, auf welche die Flucht in die Einsamkeit folgte. Wie jedem in seiner Nähe war auch mir die Geschichte psychischer Unausgeglichenheit in seiner Familie bekannt, sie kam wahrscheinlich von seiner Mutter. Und Jan war psychisch sehr labil. Wir alle nutzen ab und zu Redewendungen, in denen der Tod genannt wird: Ich bin todmüde, das tötet mich, lieber würde ich sterben…. Aber wir meinen es nicht so. Jan nahm es ernst, als er mehrmals mit der gleichen sorglosen Stimme sagte: Sie werden mich irgendwann umbringen.“
Wie schon erwähnt, war der Sohn des ersten tschechoslowakischen Präsidenten in der Öffentlichkeit sehr beliebt. Seine Beteiligung an der Regierung sahen manche als eine Garantie für die demokratische Ausrichtung des Staates oder für ein Anknüpfen an die „Erste Republik“ aus der Zwischenkriegszeit. Und das selbst nach der kommunistischen Machtübernahme am 25. Februar 1948. Obwohl Masaryk die Kommunisten nicht leiden konnte, trösteten sich viele Demokraten: Solange Masaryk in der Regierung sitze, könne die Lage so schlimm nicht sein. Das war aber nur Illusion. Im Februar 1948 traten die meisten nichtkommunistischen Minister zurück. Damit protestierten sie gegen das undemokratische Vorgehen der Kommunisten bei der Leitung von Armee und Polizei. Der kommunistische Ministerpräsident Klement Gottwald nötigte den Staatspräsidenten Edvard Beneš, anstelle der Vertreter demokratischer Parteien seine Parteigenossen zu ernennen. Jan Masaryk blieb dann der letzte Demokrat in der Regierung. Petr Koura vermutet bestimmte Gründe für dieses problematische Engagement:„Der erste Grund könnte die Aufforderung seines Vaters gewesen sein: Verlasse nie Beneš! Tomáš gab Jan diesen Rat am Ende seines Lebens in den 30er Jahren, als die internationale Lage immer prekärer wurde. Jan Masaryk blieb auch in den schlimmsten Jahren des Krieges an der Seite von Beneš und wollte ihm treu bleiben. 1948 war Beneš bereits sehr krank, es blieben ihm nur noch ein paar Monate des Lebens. Damit hängt der zweite Grund zusammen: Masaryk fürchtete Benešs Tod. Denn in diesem Fall hätte er sein logischer Nachfolger werden können. Und das befand er als über seinen Kräften stehend. Jan Masaryk hatte auch mehrere Gelegenheiten zur Emigration, seine Freundin Marcia Davenport drängte ihn sogar dazu. Er fand es aber unfair, Edvard Beneš in dieser Situation und angesichts dessen schlechten Gesundheitszustands zu verlassen.“ Die Beteiligung von Jan Masaryk an der kommunistischen Regierung dauerte jedoch nicht lange. Am Morgen des 10. März 1948 wurde sein Körper im Innenhof des Czernin-Palais gefunden. Er hatte einen Schlafanzug an und lag unter dem Fenster seiner Wohnung. Die kommunistische Polizei schloss die Untersuchungen schon am nächsten Tag mit einem klaren Ergebnis ab: Jan Masaryk hat Selbstmord begangen! Viele Tschechen konnten dies damals und können dies auch heute noch nicht glauben. Ihrer Meinung nach wurde Jan Masaryk durch Agenten des KGB ermordet, weil er den Kommunisten im Wege gestanden sein soll. Der Fall wurde während des Prager Frühlings und nach der Wende von 1989 noch einmal geöffnet, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Vor kurzem wurde sogar der Sturz von Jan Masaryk aus dem Fenster nachgestellt. Eine eindeutige Antwort gibt es aber bis heute nicht. Einige Historiker glauben an einen Mord, ohne jedoch den Hinweis auf einen Mörder zu haben, die anderen neigen eher zur Theorie des Selbstmords. Dieser Meinung war auch einer von Masaryks engsten Mitarbeitern, sein Sekretär Antonín Sum. Wie auch immer: Jan Masaryk zählt zu den bedeutenden, aber zugleich tragischen Persönlichkeiten der neuzeitlichen tschechischen Geschichte.