Jakub Jan Ryba – der Komponist als aufgeklärter Lehrer
Dieser Tage ist sie in Tschechien vielerorts zu hören - die Missa pastoralis bohemica, die Böhmische Hirtenmesse. Die bekannteste Komposition von Jakub Jan Ryba erklingt traditionsgemäß in der Adventszeit in Kirchen und Konzertsälen, aber auch bei Open-Air-Produktionen und nicht zuletzt im Fernsehen und dem Rundfunk. Die wenigsten Tschechen kennen aber mehr als den Namen des 1765 geborenen Komponisten und den Titel dieser Komposition. Nur wenige wissen, dass Rybas musikalisches Lebenswerk mehrere hundert weitere Titel umfasst. Ebenso wenig bekannt ist, dass sich Jakub Jan Ryba auch mit Leib und Seele als Lehrer betätigt und pädagogische Schriften veröffentlicht hat.
Das Thema „Weihnachten“ hat Jakub Jan Ryba nicht nur in seinem musikalischen Werk aufgegriffen. Er hat es auch in sein literarisches Schaffen integriert. 1804 erschien seine didaktische Abhandlung „Die Freuden unschuldiger Kinder in der Weihnachtszeit“. Ryba präsentiert sich darin als Anhänger der Aufklärung, er versucht dem Aberglauben entgegenzuwirken sowie den damit verbundenen Brauchtumselementen in der Adventszeit. Einige Bräuche fanden gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine zunehmende Resonanz auf dem Lande, zum Beispiel die Hausbesuche von kostümierten Nikoläusen und Teufeln am Nikolaustag oder die so genannten Lucia-Umzüge am 13. Dezember. Dieses Treiben war ihm ein Dorn im Auge. Das erwähnte Büchlein sollte vor allem auf Kinder eine erzieherische Wirkung haben, daher hat es der Autor als Gespräch in einer Kinderrunde zum Thema „Weihnachten“ verfasst. Hier ein Beispiel: Eines der Kinder, die sich auf Weihnachten freuen, spricht über seine Angst vor überirdischen Wesen. Daraufhin reagiert ein von zu Hause aus aufgeklärtes Kind:
„Mein Vater sagt immer: ´Wer seine Kinder zu Krüppeln und Angsthasen machen will, der möge Nikoläuse und andere komische Gestalten zu ihnen kommen lassen. Ich aber will, dass meine Kinder gesunde und mutige Menschen werden, um Gott, dem Heimatland, der Gemeinde und der Menschlichkeit dienen zu können´.“Rybas Weltanschauung spiegelt sich in seiner Auffassung von Kindererziehung und Schulunterricht wider. Der Historiker Jan Šimek vom Pädagogischen Museum Jan Amos Komenský in Prag:
„Im Schulunterricht legte er besonderen Nachdruck auf die Moral. Den Weg zur Überwindung von Aberglauben sah Ryba zum einen darin, dass die Kinder gut ihrem Lehrer zuhören und sich danach auch richten, was er sagt, und zum anderen im Selbstunterricht. Hierfür empfahl er den Kindern die Lektüre, appellierte aber nachdrücklich auch an ihre Eltern. Sie sollten das Geld nicht im Kartenspiel beziehungsweise für Kleidung ausgeben und stattdessen ihren Kindern Bücher kaufen.“
Hierzu ein Zitat aus Rybas Abhandlung „Die Freuden unschuldiger Kinder in der Weihnachtszeit“:
„Tschechischer Vater, anstatt unnötigen Trunks, der die Denkkraft sowie die Lebensjahre mindert, anstatt der allerschädlichsten Passion für das Kartenspiel, die dich gemeinsam mit deinem Weib und Kind in den Abgrund führt, tschechische Mutter, anstatt deine Töchterchen mit Schmuck zu behängen, wodurch du sie ins Unglück führst und dir selbst viel Reue bereitest, spart jährlich ein paar Groschen, die ihr für die vernichtende Lust ausgeben wolltet, und kauft euch sowie euren Kindern tschechische Bücher. Sie werden euch und eure Kinder für den Aufwand millionenfach belohnen.“
„In der Herrschaftszeit von Maria Theresia und Joseph II. galt als ideal, auf Deutsch zu unterrichten. Das sollte unter anderem die Kommunikation mit den Behörden vereinfachen, und außerdem sah man die Deutschkenntnisse der Kinder allgemein als Vorteil. Nun gab es aber das Problem, dass bei weitem nicht alle Lehrer in den böhmischen Ländern die deutsche Sprache beherrschten. Auch für die Kinder war sie oft nicht verständlich. Anders gesagt: Man sollte zwar auf Deutsch unterrichten, aber diese Anordnung konnte nicht in allen Schulen umgesetzt werden. Ryba war eher eine Ausnahme. Er konnte sehr gut Deutsch sprechen und schreiben.“
Das hing auch mit seinen eigenen Erfahrungen als Schüler zusammen. Sein erster Versuch, von der Grundschule auf das Piaristengymnasium in Prag zu wechseln, misslang. Nur kurz zuvor war Latein durch Deutsch als Unterrichtssprache ersetzt worden, Ryba verfügte aber „nur“ über solide Latein- und Griechischkenntnisse. In der deutschen Sprache hingegen hatte er beträchtliche Wissenslücken. Allerdings schon nach einem Jahr fleißigen Paukens wurde er in Prag eingeschult. Obwohl Ryba ein tschechischer Patriot wurde, betrachtete er später als studierter Lehrer das Deutschlernen pragmatisch.„Aufgrund seiner Lebenserfahrung begriff er, dass es auch für seine Schüler von Vorteil im weiteren Leben sein konnte, wenn sie die deutsche Sprache beherrschten. Gleich am Anfang seiner pädagogischen Laufbahn unterrichtete Ryba außer in der tschechischen Sprache teilweise auch in Deutsch. Im Deutsch-Unterricht verwendete er eigene Lehrmethoden und feierte damit Erfolg“, so Jan Šimek.
Zum Abschluss jedes Schuljahres musste man ein Examen ablegen, dem auch Vertreter der Stadt beiwohnten: der Bürgermeister, der Schreiber und andere Amtsträger. Rybas Schüler schnitten dabei in der Regel gut ab. Auch in Deutsch.
„Seine Schüler waren in der Lage, eine kürzere Betrachtung zum vorgegebenen Thema auf Deutsch zu verfassen. Es mag etwas banal klingen, wenn man sagt, dass die Kinder Deutsch sprechen und schreiben konnten. So selbstverständlich war es aber nicht. Hierzulande gab es damals keine gut erarbeiteten Lehrmethoden für den Sprachunterricht. Außerdem galt Deutsch als ein Fach, das von den Behörden zwangsweise in den Unterrichtsplan implementiert wurde. Von dem Niveau des Deutsch-Unterrichts zeugen unter anderem auch authentische Notizen in Protokollen der Schulbehörden, die komische sprachliche Missverständnisse in der Kommunikation erwähnen.“
Über so eine kuriose Situation berichtete 1797 zum Beispiel Ignaz Richard Wilfling, der k.u.k. Kommissar im Kreis Kuřim / Kaurzim und Herausgeber des „Kalenders für Aufseher, Katecheten und Lehrer der Nationalschulen im Königreiche Böhmen“. Zu Beginn eines Examenstages begrüßten die Schüler einer Schule die anwesende deutschsprachige Obrigkeit der Stadt mit einem Deutsch gesungenen Lied. Danach trug ein Schüler enthusiastisch in gutem Deutsch ein Gedicht sowie ein Grußwort vor. Die Gäste waren begeistert über die Deutschkenntnisse der Kinder. Als dann der Bürgermeister den kleinen Rezitator nach seinem Namen fragte, bekam er keine Antwort. Nach der wiederholten Frage entschuldigte der Junge weinend, er verstehe Deutsch nicht. Bekannt seien auch Vorfälle, so der Historiker Jan Šimek, dass sich verschiedene Schulen sogar die besten Schüler gegenseitig „ausliehen“, um sich mit ihren Leistungen zu schmücken. Jakub Jan Ryba kämpfte allerdings gegen die verbreitete Unterrichtsmethode, die die Schüler zum sturen Auswendiglernen zwang. Als Lehrer setzte sich Ryba für die Anwendung der erworbenen Kenntnisse nicht nur im praktischen Leben ein, sondern auch in der moralischen Erziehung von Kindern. Einen Einblick in die damalige Zeit sowie in Rybas Gedankenwelt vermitteln die Schultagebücher, die er als Lehrer auf Deutsch führen musste. Das tat er so gewissenhaft, dass sie als Vorbild für andere Lehrer präsentiert wurden. Ryba berichtete dabei auch über das positive oder negative Verhalten der Schulkinder. Jan Šimek:„Ryba hatte eine sehr gute Beziehung zu Kindern. Gleichzeitig aber war er auch streng und verlangte von ihnen die Erfüllung aller Aufgaben. Wenn ein Kind etwas falsch machte, musste es sich vor der ganzen Klasse entschuldigen. Wenn wiederum einem Schüler etwas nicht gefiel, sollte er seine Beschwerde auf einen Zettel schreiben und dem Lehrer übergeben.“
Jakub Jan Ryba maß auch der musikalischen Erziehung große Bedeutung bei. Nicht zuletzt zeugt davon sein Liederzyklus „Ein Geschenk für die fleißige tschechische Jugend“. Die Musik, genauer gesagt das Spiel auf einem Instrument sowie den Gesang, machte er zum alltäglichen Bestandteil des Unterrichts.Einem von Rybas Schultagebüchern ist auch zu entnehmen, welche Beziehung seine Schüler zu ihm hatten. Am 17. Oktober 1791 legte der Schüler Václav Ražánek einen kurzen Brief auf den Tisch seines Klassenlehrers Jakub Jan Ryba:
„Sehr geehrter Herr Lehrer, mit meinem Schreiben bitte ich Sie, mir etwas von Ihren alten Kleidern zu schenken, insbesondere die Socken. Glauben Sie mir, dass ich meine Schuhe barfuss anziehe. Doch was auch immer es sein dürfte, hoffe ich, dass Sie meine Bitte erhören werden. Ich kann nichts anfordern, muss nur abwarten, was Sie mir geben. Sollten Sie es nicht meinetwegen tun, tun Sie es um Gottes und meiner Eltern willen. Gott wird Sie reichlich dafür belohnen, was Sie für die Armen getan haben. Leben Sie wohl, mein bester Herr Lehrer. Ich verbleibe Ihr bravster Schüler, Václav Ražánek.“
„Geistlicher, betrachte den Lehrer nicht als deinen Knecht. Nach dem Willen des Kaisers nütze den Lehrer nicht zu niedrigen Diensten aus und duze ihn nicht. Sprich ihn als ‚Herrn’ an und halte ihn für einen Mitarbeiter.“