Shopping-Tourismus als Abenteuer – warum Deutsche in Tschechien einkaufen
Dass in der Adventszeit viele Tschechen ihre Weihnachtseinkäufe in Dresden oder Chemnitz erledigen, ist längst bekannt. Auch Radio Prag hat in den vergangenen Jahren immer wieder über den tschechischen Shoppingansturm in Sachsen berichtet. Um den umgekehrten Fall – deutsche Kunden, die in Tschechien einkaufen – war es allerdings in letzter Zeit ruhiger geworden. „Keine Berichterstattung wert“ - so lautete das Credo. Denn das deutsche Verlangen nach günstigem Benzin und Zigaretten aus dem Ausland schien unveränderlich. Aber ist das tatsächlich immer noch so? Oder hat sich das Kaufverhalten der Deutschen in Tschechien still und heimlich geändert? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die heutige Ausgabe des ‚Forum Gesellschaft.
„Ich denke, die deutschen Touristen machen in Prag ungefähr 30 Prozent aus.“
Rund 30 Prozent der Besucher kämen aus Deutschland oder Österreich, schätzt die Verkäuferin an dieser Weihnachtsmarktbude. Auch eine Gruppe Österreicher wählte für ihren Eintagesausflug heute das Ziel Prag – und ist begeistert:„Es ist wunderschön! Alles ist sehr sauber, die Atmosphäre ist super. Jetzt schauen wir uns mal ein bisschen um, ob es hier nicht das eine oder andere Souvenir zum Mitnehmen gibt.“
Einkaufen in Tschechien. Nicht nur zur Vorweihnachtszeit ist das bei den deutschsprachigen Nachbarn beliebt. In einer aktuellen Umfrage der Industrie- und Handelskammer Chemnitz gab fast die Hälfte der sächsischen Befragten an, sie besuchen die Tschechische Republik, um einzukaufen. Nicht ungewöhnlich, findet Bernhard Köppen. Der Professor für Geographie an der Universität Koblenz-Landau beschäftigt sich schon seit Jahren mit Shopping-Tourismus:
„Aus Deutschland nach Tschechien ist Shopping-Tourismus eigentlich ein Klassiker – zum Beispiel wenn man an die Vietnamesenmärkte denkt, die sich im Grenzgebiet gleich nach der Wende etabliert haben.“Tatsächlich ist das Phänomen hier noch viel älter. So kamen schon zu Zeiten des Kalten Krieges die Ostdeutschen gern in die damalige ČSSR. Vor allem Nordböhmen wurde wegen seiner Bedeutung als Industrie- und Bergbauregion besser mit bestimmten Gütern versorgt – zum Beispiel mit Südfrüchten. Auch dass man in der Tschechoslowakei vergleichsweise einfach „Westprodukte“ erstehen konnte, machte das Land bei Einkäufern aus der DDR beliebt. Heutzutage bevorzugen die Shopping-Touristen aber meist ganz andere Produkte als damals. Bernhard Köppen:
„Zum Einen sind das Waren, die aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel aus steuerlichen Unterschieden oder Kaufkraftunterschieden, in Tschechien günstiger sind. Zu nennen sind da die Klassiker Zigaretten oder Benzin. Es geht aber auch um Waren, die so in Deutschland gar nicht verkauft werden dürfen, wie Produktfälschungen. Dienstleistungen sind in Tschechien ebenfalls günstiger, zum Beispiel Friseurbesuche. Ansonsten hat sich beim Shoppen auch eine gewisse Folklore etabliert: Die Deutschen kaufen zum Beispiel Gartenzwerge oder andere Accessoires, mit denen sie ihr Haus dekorieren können.“Also tatsächlich alles wie immer? Den Deutschen geht es weiter nur um billigen Kraftstoff und Tabakwaren? Auch die IHK Chemnitz hat das bei ihrer Umfrage bestätigt gesehen: Von den Einkäufern aus Sachsen kam rund ein Viertel wegen des Treibstoffes. Weitere 15 Prozent brachten Zigaretten von ihren Besuchen in Tschechien mit. Gut jeder Vierte der Umfrageteilnehmer gab außerdem an, mehrmals im Monat ins Nachbarland zu fahren – oft genug, um auch den heimischen Kühlschrank mit frischen Lebensmitteln aus Tschechien zu füllen. Bis nach Prag kommen einige, um sich, neben dem Weihnachtsmarktbesuch, auch mit Essen zu versorgen. So auch diese beiden Studenten aus Dresden:
„Wir waren vor allem in den Supermärkten. Die haben hier ein anderes Angebot als in Deutschland. Und sie sind immer offen. Es ist sehr praktisch und angenehm, dass man hier auch sonntags und spätabends in den Supermarkt gehen kann.“Außerdem sei der Striezelmarkt in Dresden auch viel teurer als sein Prager Pendant, ergänzen die jungen Männer. Preisvorteile, ein größeres Angebot und bessere Öffnungszeiten – genau diese drei Gründe nennt auch die Mehrzahl der Deutschen, die von der IHK Chemnitz befragt wurden. Bei den Einkaufsmotiven unterscheiden sie sich deutlich von den tschechischen Konsumenten, die nach Sachsen kommen. Ilona Roth ist Geschäftsführerin für den Bereich Handel bei der IHK Chemnitz:
„Der tschechische Kunde sucht auch den Preisvorteil, schaut aber dabei mehr auf Qualität und Markenprodukte - im Gegensatz zu den deutschen Kunden.“Bei so vielen Vorteilen, die das Shoppen im Ausland für die Deutschen birgt, schaut so mancher bereits besorgt auf die heimischen Geschäftsumsätze. Dazu sei aber heutzutage kein Grund mehr, meint Ilona Roth von der IHK:
„Wir haben festgestellt, dass der deutsche Einzelhandel nicht darbt. Das war nach der Wende zweifelsohne ausgeprägt, aber in den vergangenen Jahren hat sich auch das Einkaufsverhalten der tschechischen Bürger geändert. Viele tschechische Kunden kaufen bei uns ein, und das unterstützt natürlich auch den hiesigen Handel. Zum Beispiel kommen die Tschechen für Sportartikel, Molkereiprodukte oder Drogeriesortimente sehr gerne hierher.“
Eine Entwicklung, die sich mit der Aufnahme Tschechiens in den Schengen-Raum im Jahr 2007 noch beschleunigt hat. Ohne Warteschlangen an den Grenzübergängen lohnt sich das Überqueren der Grenze auch für sehr kurze Besuche, sei es zum Tanken oder für den Wochenendeinkauf. Mit dem Zusammenwachsen von West- und Osteuropa schrumpft aber auch das Wohlstandsgefälle zwischen Tschechien und den reichen Nachbarstaaten. Die Folge ist, dass Schnäppchenjäger in Cheb / Eger, Chomutov /Komotau oder Karlovy Vary /Karlsbad immer seltener wirkliche Schnäppchen finden. Stattdessen sind die Produkte fast so teuer wie in Deutschland. Der Touristenmagnet Prag ist da natürlich keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil, wie diese junge Frau auf dem Weihnachtsmarkt erzählt:
„Wir waren ganz erstaunt. Wir wollten zuerst etwas einkaufen, aber dann haben wir festgestellt, dass es gar nicht so viel günstiger ist, sondern eigentlich genauso viel kostet wie in Hamburg. Auch im Supermarkt waren wir überrascht, als wir 15 Euro zahlen sollten für ein bisschen Brot und Aufschnitt. Das war auf jeden Fall recht teuer.“Unter den Preisangleichungen litten vor allem die typischen Vietnamesenmärkte – meint der Wissenschaftler Bernhard Köppen. Sie hätten aus verschiedenen Gründen immer seltener Kunden.
„Da scheint die Luft raus zu sein. Das heißt, einzelne Kioske wurden bereits geschlossen. Ein anderer Indikator dafür ist, dass auf den Vietnamesenmärkten Treuekarten verteilt werden. So etwas hatten die Märkte anfangs nicht nötig. Aber man muss auch bedenken, dass ihnen größere Einzelhandelsketten wie der ‚Globus’ in Chomutov einen Teil der Kunden abgeschöpft haben. Ganz wichtig ist auch, dass die Konsumenten mittlerweile festgestellt haben, dass die Qualität der Waren, die auf den Märkten angeboten werden, nicht immer die beste ist.“Angst spielt für den Rückgang des Umsatzes ebenfalls eine Rolle. Wie die IHK Chemnitz herausgefunden hat, haben rund zwölf Prozent der deutschen Kunden in Tschechien die Sorge, bestohlen zu werden. Vor allem vor den Vietnamesenmärkten schrecken die Menschen mittlerweile zurück:
„Von den Märkten wurde immer wieder auch im Zusammenhang mit Drogenhandel gesprochen. Das wirkt vielleicht für einige Menschen abschreckend.“Lieber gehen mehr und mehr deutsche Konsumenten deswegen in die tschechischen Supermärkte, auch wenn die Waren dort kaum günstiger sind als in Deutschland. So fließt immer noch viel deutsches Geld in die tschechische Wirtschaft. Beispielsweise gaben bei der Umfrage der IHK zum Konsumverhalten im Nachbarland knapp 38 Prozent der Deutschen an, mehr als 100 Euro je Besuch auszugeben. Auch in Zukunft wird Einkaufen im Nachbarland angesagt sein, aus rein psychologischen Gründen, meint der Geographie-Professor Köppen.
„Sei es, weil die Oblaten, die ich in Mariánské Lázně gekauft habe, doch irgendwie besser schmecken, als die, die ich im Supermarkt in Bayreuth bekomme, obwohl es die gleichen sind. Der Shopping-Tourismus lebt auch vom Abenteuer. Das Symbol der Grenzüberschreitung spielt eine gewisse Rolle. Es ist etwas Besonderes, zumal es sich bei Deutschland und Tschechien um ganz unterschiedliche Kulturräume mit einer deutlich unterschiedlichen Sprache handelt. Die Differenz ist, zum Beispiel auf Straßenschildern, klar feststellbar. Zwischen Deutschland und Österreich ist das nicht so aufregend.“Es ist eben doch nicht alles beim Alten geblieben. Einige Gewohnheiten ändern sich – das Phänomen Einkaufstourismus bleibt aber. Anstatt von Schnäppchen gibt es für deutsche Kunden eben auch genug andere Anreize, um sie zum Shoppen ins Nachbarland Tschechien zu locken. Und so brummt auch am zweiten Adventssonntag das Geschäft auf dem Prager Weihnachtsmark weiter, trotz Minusgraden und dichtem Schneefall.