Tschechien sucht nach dem Weg raus aus der Rezession
Seit gut zwei Wochen ist man in Tschechien etwas beunruhigt. Der Grund: Bei der Veröffentlichung der aktuellen Wirtschaftsdaten durch das europäische Statistikamt (EuroStat) in Luxemburg und des tschechischen Statistikamts (ČSÚ) in Prag kam ans Licht, dass die tschechische Wirtschaft immer weiter in die Rezession abrutscht. Seitdem wird in der Politik, der Wirtschaft und den Medien darüber debattiert, wo die Gründe für diese Entwicklung liegen und was zu tun sei, um das Ruder möglichst bald wieder herumzureißen.
„Die Gründe sind immer noch dieselben wie zu Jahresbeginn. Zum einen ist es die sinkende und mittlerweile schon sehr niedrige Binnennachfrage. Das ist eine große Bremse für die Entwicklung der tschechischen Wirtschaft. Und zum zweiten ist es die Situation auf den westeuropäischen Märkten. Weil die tschechische Wirtschaft eine sehr exportorientierte Ökonomie ist, hat die Lage auf diesen Märkten auch enormen Einfluss für uns.“
Und in einem Nachsatz macht Špicar sofort klar, dass diese Lage nicht allzu rosig ist:
„Die Lage an diesen Märkten sieht natürlich nicht gut aus. Europa stagniert, und in den letzten Monaten hat es gar den Anschein, dass die europäische Wirtschaftskraft weiter abnimmt. Das macht sich natürlich auch in der tschechischen Wirtschaft bemerkbar.“Laut EuroStat ist die Wirtschaftskraft der Eurozone wie auch der gesamten Union im zweiten Quartal tatsächlich gesunken, und zwar um 0,2 Prozentpunkte gegenüber dem ersten Quartal. Tschechien liegt also genau im Schnitt, doch es gibt gleich mehrere Länder, die ein leichtes Wachstum vorweisen können, sagt David Marek, der Analyst von Patria Finance:
„Die tschechische Wirtschaft bleibt leistungsmäßig hinter den Ökonomien der Nachbarländer zurück. Ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes konnten Deutschland, Österreich und in überraschend hohem Maße auch die Slowakei verzeichnen.“
Das Tschechien derzeit mit seinen mitteleuropäischen Nachbarn nicht mithalten kann, ist die eigentliche Enttäuschung. Der Motor der tschechischen Wirtschaft, die Industrie, sei ins Stottern geraten, andere Branchen schwächeln ebenfalls oder treten auf der Stelle, konstatieren die Analysten bei der Ursachenforschung. David Marek benennt einen wesentlichen Grund für die Rezession:
„Wir sprechen vor allem von einer Rezession bei der Binnennachfrage. Die Ausgaben der Haushalte sinken analog zum Rückgang der Reallöhne. Einzig positiv hervorzuheben ist der Außenhandel, der sich weiter verbessert hat. Das aber hat nicht ausgereicht, um den Rückgang der Binnennachfrage zu kompensieren.“
Nach Aussage von Markéta Šichtářová, einer Analystin von Next Finance, dürfe man sich über diese Entwicklung nicht wundern, seien doch die Reallöhne in zwei Quartalen hintereinander gefallen. Und auch die Arbeitslosigkeit liege weiter auf Vorjahresniveau, so Šichtářová.Als Urheber dieser Entwicklung haben Wirtschaftsanalysten wie Soziologen die bedingungslose Sparpolitik der Regierung Nečas ausgemacht. Wirtschaftlich sei sie ein Hemmschuh, und in sozialer Hinsicht nötige sie immer mehr Leute zum Sparen. So sieht es auch der Analyst der Raiffeisenbank in Tschechien, Aleš Michl:
„Auch die Arbeitslosenrate steigt weiter an. Sie ist schon nicht mehr auf dem relativ niedrigen Niveau wie vor dem Jahr 2008. Die Menschen haben Angst um ihren Arbeitsplatz und von der Regierung erhalten sie noch dazu Botschaften in der Form, dass die Steuern weiter erhöht werden. Wenn man solche Nachrichten lesen oder hören muss, dann macht sich jeder so seine Gedanken. Man wird vorsichtiger und sagt sich: ´Ich werde weniger ausgeben. Ich werde sparen´. Und diese Zurückhaltung bremst die Wirtschaft ebenfalls.“
Nach Ansicht von Ministerpräsident Petr Nečas hat sich in der Bevölkerung eine „blöde“ Stimmung“ breitgemacht. Die Menschen hätten Angst vor der Zukunft und würden daher Rücklagen bilden, sagte er unlängst in einem Gespräch der Tageszeitung „Hospodářske noviny“. Radek Špicar macht für diese Stimmung aber weniger die Sparpolitik der Regierung, sondern viel mehr den psychologischen Effekt der Medien verantwortlich:
„Ich denke, eine ziemlich bedeutende Rolle spielt hier die klassische Vorsicht der tschechischen Haushalte. Das war so und das ist so. Mit anderen Worten, wenn die Tschechen Tag für Tag im Fernsehen wie auch in der Presse hören oder lesen, dass die tschechische Wirtschaft im Sog der europäischen Krise Probleme habe, dann passen sie natürlich ihren Verbrauch entsprechend an.“
Die allgemeine Kritik, dass die eiserne Sparpolitik der Regierung schuld am starken Rückgang der Binnennachfrage habe, will dann auch der Minister für Arbeit und Soziales, Jaromír Drábek, nicht unwidersprochen stehen lassen. Gleich nach der Kabinettsbildung im Jahr 2010 hatte Ministerpräsident Petr Nečas verlauten lassen, dass er eine Regierung anführe, die eine strikte Haushaltsdisziplin einhalte. Und daran habe sich nichts geändert, betont Drábek:„Schon seit längerem kämpfen wir dagegen an, dass unser Staat viel mehr Geld ausgibt als er tatsächlich hat. Leider hat diese unheilvolle Tatsache schon in der Zeit begonnen, als es nicht nötig war, als die Wirtschaft noch ein relativ starkes Wachstum aufwies. Das Defizit in den öffentlichen Haushalten war auch zu jener Zeit leider ziemlich hoch.“
In einer Krisenzeit, wie man sie jetzt habe, wäre die Fortsetzung einer solchen Haushaltspolitik geradezu verhängnisvoll, ergänzt Drábek. Er verweist dabei auf die Probleme, die derzeit andere EU-Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal haben, und das vor allem wegen ihrer verfehlten Haushaltspolitik. Dieser Sichtweise der Regierung stimmt die große Mehrzahl der Wirtschaftsexperten und Analysten zu. Andererseits scheiden sich die Geister bei der Frage, mit welchen Maßnahmen das Kabinett den Staatshaushalt unter Kontrolle bringen sollte. Das scheinbar probate Mittel, die Einnahmen durch immer neue Steuererhöhungen zu verbessern, stößt zum Beispiel auf kein besonderes Lob. Auch von einer erneuten Erhöhung der Mehrwertsteuer ist man nicht begeistert, wie Aleš Michl bestätigt:
„Wenn man in der Rezession ist und die Steuern erhöht, dann bremst man damit auch die Wirtschaft. Nur zum Vergleich: Als ich noch Student an der Hochschule für Ökonomie war, hatte ich noch einen Škoda 105. Mit diesem Auto konnte man noch mit angezogener Handbremse fahren, denn bei den alten Škoda-Modellen war alles möglich. Mit einem modernen Auto kann ich das nicht mehr. Man wird eingebremst, wenn man die Handbremse nicht löst. Und das Gleiche trifft auch bei einer Steuererhöhung zu.“Während viele Experten also Steuererhöhungen im Laufe einer Rezession für ein Hemmnis halten, machen Radek Špicar und der Verband für Industrie und Verkehr der Regierung auch einige konkrete Handlungsvorschläge:
„Dazu gehört ganz sicher eine erhöhte Aktivität auf dem Gebiet der Wirtschaftsdiplomatie. Das ist gegenwärtig eines der größten Probleme der tschechischen Ökonomie, denn sie ist ziemlich abhängig von den Märkten in der Europäischen Union. Das bedeutet, die Regierung muss den Exporteuren Hilfestellung leisten bei der Umorientierung auf Drittmärkte.“
Über diese und andere Schritte wird derzeit in Fachkreisen unablässig debattiert, um die tschechische Wirtschaft schon bald wieder auf Kurs zu bringen. Ob die Richtung dabei klar vorgegeben wird oder aber Tschechien beim Umschiffen aller Klippen eher einen Zickzack-Kurs fährt, das wird die nahe Zukunft zeigen.