Neues aus britischen Archiven zum Attentat auf Heydrich
Hätte es kein Attentat auf Reinhard Heydrich gegeben, wäre heute die Hälfte der Tschechen nicht mehr da. Dies sagte der in Großbritannien lebende Tscheche Alois Denemarek vor einer Woche in einem BBC-Interview. Seine Familie hatte tschechische Widerstandskämpfer unterstützt, die 1941 in kleinen Trupps über dem Protektorat absprangen. Unter ihnen waren auch zwei Angehörige der Gruppe „Antropoid“. Sie hatten die Aufgabe, den Anschlag auf den stellvertretenden Reichsprotektor in Prag durchzuführen. Dem folgenden Nazi-Terror sind rund 5000 tschechische Bürger zum Opfer gefallen, darunter auch Denemareks Eltern und Bruder. Er selbst hat nur durch Zufall überlebt. Am 27. Mai jährte sich zum 70. Mal der Anschlag auf den Chef des deutschen Reichssicherheitshauptamtes, der am 27. September 1941 nach Prag mit dem Auftrag entsandt wurde, „die tschechische Frage“ zu lösen.
„Für mich war es ein Schock zu erfahren, welch große Bedeutung die Briten der Aktion beigemessen haben und sie auch heute noch gewissermaßen als die ihre empfinden. Obwohl die Organisation SOE (Special Operation Executive), die den Tschechoslowaken bei der Vorbereitung der Operation ´Antropoid´ half, während des Zweiten Weltkriegs rund 13 000 Agenten im Einsatz hatte, hält sie bis heute das Attentat auf Heydrich und den in Norwegen organisierten Anschlag auf Norsk Hydro, die Produktionsstätte für Schweres Wasser (27. Februar 1943) für ihre erfolgreichsten Operationen.“
Und mit Recht, meint der Historiker. Die britische Seite habe nicht nur Transportmittel zur Verfügung gestellt, um die Widerstandskämpfer ins Protektorat zu fliegen. Viel Aufmerksamkeit habe sie auch deren Kampfausbildung gewidmet. Hierfür erwähnt Stehlík klangvolle Ausbildernamen:„Das waren absolute Spitzenleute, die unsere Soldaten in irregulärer Kriegsführung geschult haben. Zum Beispiel Anthony Sykes und William Fairbairn. Ursprünglich waren sie Offiziere in Schanghai, als die Stadt vor allem als Lasterhöhle des Drogenhandels und der Prostitution bekannt war. Dort haben sie unter schweren Bedingungen Erfahrungen gesammelt. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg haben sie eine Reihe von Fachpublikationen verfasst. Zu den Ausbildern der Tschechen gehörten auch Sprengstoffexperten. Einer von ihnen, Cecil Clarc, hat die Bombe hergestellt, die beim Anschlag auf Heydrich verwendet wurde.“
Doch nicht alles lief bei der Ausbildung der Tschechen reibungslos, wie Eduard Stehlík im britischen Archiv erfahren hat. Ein fahrendes Auto mit einer Bomben-Attrappe zu treffen sei ihnen schwer gefallen. Die britischen Ausbilder sollen es mit einem Seufzer kommentiert haben: „Die Tschechen spielen halt kein Cricket“:„Beide Ausbilder, Major Peter Wilkinson und Kapitän Alfgar Hesketh-Prichard waren Cricket-Asse. Prichards Vater war seinerzeit sogar der beste Cricket-Repräsentant Großbritanniens, und auch Wilkinson spielte aktiv Cricket. Die beiden Tschechen wurden also von zwei Profis ausgebildet, die mit jedem Wurf das Ziel trafen, während sie sich damit quälten. Daher war das ´Seufzen´ der Briten nicht ganz fair.“
Nach Meinung des Historikers hat nämlich Heinz Klein wesentlich dazu beigetragen, dass Heydrich dem Attentat zum Opfer fiel.
„Beim Attentat saß am Lenkrad kein Chauffeur mit Fahrsicherheitstraining. Er hätte, Befehl hin oder her, auf das Gaspedal treten und fliehen müssen. Ein entsprechend geschulter Mann hätte dies gewusst. Dieser hätte auch einen Fußgänger überfahren, um so schnell wie möglich den Ort zu verlassen. Das hat Klein nicht getan. Beim Verhör hatte er behauptet, auf Heydrichs Befehl reagiert zu haben. Falls der Befehl tatsächlich gegeben wurde, war er absolut falsch. Damit hat auch Heydrich einen fatalen Fehler begangen.“
Acht Tage nach dem Anschlag erlag Reinhard Heydrich im Prager Krankenhaus Bulovka seinen Verletzungen. In Großbritannien wurden inzwischen mehrere Lageberichte ausgearbeitet. Eduard Stehlík:„Der wichtigste Bericht über das Attentat trägt das Datum vom 30. Mai 1942. Er wurde im Auftrag der britischen Regierung verfasst, die informiert werden wollte, ob jemand von der britischen Seite an dem Anschlag teilgenommen hatte. Die Maschinenpistole der Marke Sten Gun, die Gabčík am Tatort hinterlassen hatte, galt natürlich eindeutig als Hinweis, woher die Attentäter gekommen waren.“
Aus Großbritannien also. Stehlík erklärt, was es mit dieser Maschinenpistole der Marke Sten Gun auf sich hatte:„Das war damals eine Neuigkeit. Es war im Prinzip eine einfache, aus wenigen Teilen zusammengeschweißte Schusswaffe. Britische Historiker bezeichnen sie manchmal als ´Traum eines wahnsinnigen Installateurs´ oder aber als ´Traum jedes Finanzministers´. Es war nämlich eine sehr billige Waffe. Sie galt aber nicht als Waffe, die wegen Konstruktionsfehlern extrem oft versagt. Davon zeugt unter anderem, dass während des Zweiten Weltkriegs vier Millionen Sten Gun Maschinenpistolen hergestellt wurden. Verwendet wurden sie von den britischen Streitkräften, Spezialeinheiten, aber auch von Widerstandkämpfern. Zum Beispiel in Frankreich, aber auch in anderen deutsch besetzten Teilen Europas. Bis heute bleibt es ein Geheimnis, warum die Sten Gun beim Attentat auf Heydrich versagt hat.“
Nach dem Tod des stellvertretenden Reichsprotektors haben die nationalsozialistischen Machthaber landesweit mit blutiger Gewalt reagiert. Verhaftungen und Hinrichtungen standen auf der Tagesordnung. Die Namen der Opfer waren kontinuierlich aus Lautsprechern auf den Straßen zu hören. Die Orte Lidice und Ležáky wurden dem Erdboden gleichgemacht. Doch auch danach blieb die Fahndung nach den Attentätern ohne Erfolg. Nach drei Wochen meldete sich aber bei der Gestapo in Prag Karel Čurda, der anderthalb Monaten zuvor mit einem in England geschulten Fallschirmjägertrupp im Protektorat ausgesetzt wurde. Er hat das Versteck von insgesamt sieben Kampfgefährten in der Krypta der orthodoxen Kirche Kyril und Method verraten. Nach einem mehrstündigen chancenlosen Kampf begingen die Widerstandskämpfer Selbstmord. Unter ihnen auch Jozef Gabčík und Jan Kubiš. Noch heute fragen sich manche Tschechen, ob es Sinn gemacht hat, den Tod eines Nazi-Generals mit dem hohen Preis von rund 5 000 Menschenleben zu bezahlen. Der Militärhistoriker Eduard Stehlík ist sich darüber im Klaren:„Heydrich wird von uns Tschechen oft als ein Nazi zweiter Kategorie betrachtet, weil die Bezeichnung seiner Funktion mit dem Attribut ´stellvertretend´ verbunden ist. Die tschechische Sprache ist hier irreführend. Heydrich war kein gewöhnlicher Stellvertreter, sondern ein Angehöriger der obersten Reichsführung. Er war Herr über Leben und Tod vieler Menschen in Europa. Seine Beseitigung war von großer Bedeutung.“