Ein satirischer Beitrag zur Identitätssuche: Der Dokumentarfilm „Mein Kroj“
Schwejk hat wieder zugeschlagen – ein Dokumentarfilm sorgt derzeit in Tschechien für Diskussionen. Der junge Filmmacher Martin Dušek hat mit einer selbst gebastelten Tracht, einem sudetendeutschen Großvater und jeder Menge Selbstbewusstsein versucht, seine Heimatstadt Česká Lipa / Böhmisch Leipa auf dem Sudetendeutschen Tag zu repräsentieren. Ob der Dokumentarfilm nun Klamauk oder Satire ist erfahren sie im Kultursalon.
So erklärt Martin Dušek der Pressesprecherin der Sudetendeutschen Landsmannschaft seine Verkleidung, mit der er bei ebendieser Veranstaltung 2011 in Augsburg erschien. Die Verkleidung besteht aus blinkenden Lichtern, Lederhosen und Kniestrümpfen. Kroj ist das tschechische Wort für Tracht. Und diese Tracht hat sich Dušek selbst geschaffen, auf der Suche nach seiner Identität. Die Suche er begann er in seiner Heimatstadt Česká Lípa, die in der Ersten Tschechoslowakischen Republik eine vorwiegend deutsch besiedelte Stadt gewesen war. Beim Dokumentarfilmfestival in Jihlava / Iglau im Herbst 2011 berichtete Dušek:
„Eigentlich fühle ich mich dort zu Hause, am Altstädter Platz, wo ich wohne, beziehungsweise meine Mutter wohnt. Aber dann gibt es so einen Ring von Siedlungen um den alten Stadtkern, in die jene Menschen gezogen sind, die gekommen sind, um Uran abzubauen. Und die kümmert die Vergangenheit überhaupt nicht. Aber es gibt dort auch Familien, die lange ansässig sind, und die unterhalten sich schon darüber. Sonst wird dort nicht darüber nachgedacht und sich nicht vergegenwärtigt, wo die Wurzeln der Stadt liegen. Das kann man der Stadt ansehen: Die Atmosphäre ist seltsam kalt, und die Menschen wollen in dieser Stadt eigentlich nicht leben.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung der Deutschen wurde in Česka Lípa Uran abgebaut. Das lockte viele Neusiedler an. Um den Menschen ein Heimatgefühl zu geben, griff man zur Tracht. Ein Exemplar ist im örtlichen Museum ausgestellt. Die Bürgermeisterin von Česká Lípa, Hana Moudrá, liest vor, was es mit dem Kleidungsstück auf sich hat:
„Die Idee, eine künstliche, volkstümliche Tracht für Česká Lípa zu schaffen, kam dem damaligen Direktor des Museums, Bohumil Kinský, bereits Mitte der 1940er Jahre. Der Öffentlichkeit wurde sie erstmals bei einer Feier am 28. Oktober 1947 in Česká Lípa vorgestellt, um das Selbstbewusstsein der tschechischen Bevölkerung in einer Region mit starkem deutschen Einfluss anzuheben.“Bei einem Stadtfest 2011 wird diese Tracht auf dem Marktplatz in Česká Lípa vorgeführt – die anwesenden Menschen sind aber eher überrascht. Kaum jemandem ist es bewusst, dass es in seiner Heimat eine Tracht gibt. Der Historiker Ladislav Smejkal vom landeskundlichen Museum in Česká Lípa versucht zu erklären:
„Es ist ein Stück Regionalgeschichte. Eine Geschichte, die ein wenig künstlich geschaffen wurde, weil wir eigentlich kein Kreis mit typischen Trachten sind.“
Dušek will vom Historiker Smejkal wissen, ob mit dieser künstlich kreierten Geschichte vielleicht eine gewisse Schuld der Bewohner kompensiert werden soll:„Das ist nicht nur die Schuld der hiesigen Bevölkerung, es ist eine Schuld der gesamten tschechischen Gesellschaft. Sie verhält sich so, als ob die Bevölkerung, die hier früher gelebt hat, wie eine indianische Kultur bereits vor langer Zeit ausgestorben wäre und nichts hinterlassen hätte.“
Eine indianische Kultur, an die sich die heutige Bevölkerung mittels falscher Trachten erinnern möchte? Dušek hat darin einen Weg erkannt, seine eigenen Wurzeln zu erforschen:
„Mir ist nur ein Weg eingefallen, wie ich meine eigene, authentische Tracht schaffen konnte: Ich musste mich von meiner privaten Vergangenheit inspirieren lassen. Von meinem Opa Leo, halb Tscheche, halb Sudetendeutscher, der für seine Frechheiten aus der Hitlerjugend rausgeflogen war, hatte ich eine Lederhose und Kniestrümpfe, die er beim Fischen trug. Zudem gab es einen Pyjama und von der Oma ein Spitzendeckchen. Vom Urgroßvater von der anderen Seite, der als Offizier der Finanzwache die Grenzen der Masaryk-Republik bewachte, besaß ich die Gürtelschnalle seiner Uniform. Auch von mir fügte ich etwas hinzu: eine Masaryk-Mütze mit einem Geschenk von Opas vertriebenen Kameraden. Und zum Schluss die Heckflügel von Opas Octavia.“
So ausgerüstet fährt Dušek dorthin, wo er sich mehr Verständnis für die Suche nach seinen Wurzeln erhofft: zum sudetendeutschen Tag in Augsburg. In einem Gespräch mit der Geschäftsführerin der Bundesgeschäftsstelle, Hanni Köglsperger, und einem Begleiter ist dieser zunächst wenig vom Kroj Dušeks angetan:„Das ist Maskerade oder vielleicht auch Satire. Aber das hier lässt sich nicht mit einer Tracht gleichsetzen. Eine Tracht, das ist etwas über Jahrhunderte Gewachsenes.“
Irgendwie wollen die beiden ihn in seiner Verkleidung nicht ernst nehmen. Als die Geschäftsführerin Dušek den Zutritt in seiner Tracht verwehren will, besteht er auf seinem Recht als akkreditierter Journalist. Köglsperger lässt ihn gewähren:
„Ich lasse sie ja rein. Wir sind ja nicht unlustig und haben für alles Humor. Die Sudetendeutschen sind ja eine humorvolle Volksgruppe. Wenn Sie also Humor reinbringen wollen, sind sie herzlich willkommen.“Dušek tanzt dann bei den Vorbereitungen zum sudetendeutschen Tag mit den Teilnehmern und erntet einige skeptische Blicke und viele Lacher. Aber die Besucher begegnen ihm durchweg freundlich und haben durchaus Verständnis, wie ein etwas älterer Mann ihm versichert:
„Sie provozieren ein bisschen, aber das ist ja nicht verkehrt. Sie bringen eine neue Note da herein, aber sie können nicht erwarten, dass die konservative Landsmannschaft da irgendwie Verständnis für hat. Ich finde ihre Idee gut, und sie haben eine neue Tracht erfunden, mit einer bayerischen Lederhose.“Auf der Suche nach Deutschen aus Česká Lípa ist er allerdings wenig erfolgreich – eine Gruppe mit Trachten aus seiner Heimat kann er nicht finden. Als er endlich eine Frau trifft, deren Mutter aus Česká Lípa war, muss sie ihn enttäuschen:
„Wir hatten eigentlich keine Tracht. Das wurde eher in den ländlichen Gemeinden getragen, in der Stadt hat man das nicht gemacht. Wir haben aber durchaus Dirndl getragen, aber keine Tracht.“Bis dahin ist Dušek auf dem Sudetendeutschen Tag ein Kuriosum. Nach dem Gespräch über Trachten in Česká Lípa wird der Dokumentarfilmer aber von einem Landsmann, einem Tschechen, verbal angegriffen. Er sei ein Spinner, der die Leute nur beleidige, und man solle ihn doch von der Polizei verhaften lassen. Martin Dušek erinnert sich auf dem Dokumentarfilmfestival nach der Premiere seines Films:
„Ich habe mich mit diesen normalen älteren Deutschen über meine Familie unterhalten. Wir haben uns amüsiert und natürlich haben die mich ein bisschen ausgelacht. Den Funktionären war es dann vielleicht zu viel, aber sie haben sich erst getraut die Polizei zu rufen, nachdem es dieser Tscheche, dieser so genannte Aktivist, gefordert hatte.“Auf jeden Fall endet der Film unschön – und das von beiden Seiten. Die Landsmannschaft präsentiert sich, entgegen ihrer Worte, humorlos, während im Hintergrund durchaus Stimmen gegen die Verhaftung Dušeks zu hören sind. Dieser leistet sich nun aber einen geschmacklosen Ausrutscher: Er ruft den Menschen zu, er werde vertrieben.
Die Angelegenheit geht aber gut aus. Die Landsmannschaft erhebt zwar zunächst Anklage wegen Hausfriedensbruch, lässt diese aber noch im Laufe des Tages fallen. Nur das Festivalgelände darf Dušek nicht mehr betreten. Seine selbstgemachte Tracht hat er noch zu Hause, das Museum in Česká Lípa wollte sie nicht ausstellen. Er berichtet bei der Premiere in Jihlava jedoch von einem interessanten Effekt:
Dušek hat einen 30-minütigen Dokumentarfilm vorgelegt, der das große und schwere Problem auf beiden Seiten der tschechisch-deutschen Grenze humorvoll und satirisch angeht. Sicherlich ist auch viel Klamauk und Übertreibung dabei, der Film entlarvt aber beide Seiten und das durchaus nicht dumm.
Der Dokumentarfilm „Mein Kroj“ soll in Zukunft auch mit deutschen Untertiteln zu sehen sein. Derzeit ist er in der Mediathek des Tschechischen Fernsehens abrufbar, und bis auf das erste Drittel in Česká Lípa ist der Ton auf Deutsch.